Luzerner und Zuger Jungmusiker gehen neue Wege

Chor wird zum Orchester – und umgekehrt

Dirigent und Gründer des Zentralschweizer Jugendsinfonieorchesters (ZJSO): der Luzerner Joseph Sieber bei einer Probe.

(Bild: bic)

Im Zentralschweizer Jugendsinfonieorchester musizieren Jugendliche auf hohem Niveau. Mit dem jüngsten Projekt schlägt das Ensemble um den Luzerner Jungdirigenten Joseph Sieber ein neues Kapitel in der Nachwuchsförderung auf – mit Unterstützung eines internationalen Klassikstars.

Der Probesaal im Campus Sursee ist an diesem Sonntagnachmittag gut gefüllt. Mit vielen jungen Menschen, barockem Chor und Orchesterklängen. Die Energie, die sich im Raum angesammelt hat, ist fast mit Händen greifbar.

In der Mitte eines grossen Halbkreises aus Sängern und Instrumentalisten steht der Luzerner Joseph (Josi) Sieber. Der 26-Jährige aus Kastanienbaum ist Gründer und Dirigent des vor gut fünf Jahren ins Leben gerufenen Zentralschweizer Jugendsinfonieorchesters (ZJSO). Der Name Sieber ist in der Musikstadt Luzern bestens bekannt. Josi Siebers Vater Wolfgang ist Organist der Luzerner Hofkirche.

Freundschaft und Musik im Duett

Dass Sieber so viele Leute auf einmal dirigiert, ist nicht alltäglich. Denn für das aktuelle Projekt «In Memoriam» hat sich das ZJSO mit dem Schweizer Jugendchor unter der Leitung von Nicolas Fink zusammengeschlossen. Bisher wohl einzigartig und speziell dabei ist, dass die Werke von Grund auf von beiden Ensembles zusammen einstudiert werden. Mit dem Requiem von Wolfgang Amadeus Mozart hat man sich für einen Klassiker der Chor- und Orchesterliteratur entschieden.

An vorderster Front dabei ist auch die 22-jährige Charlotte Röttger aus Hünenberg. Seit gut vier Jahren spielt sie im Orchester mit. Seit vergangenem Sommer ist die Musikstudentin sogar Präsidentin des Vereins. «Das jetzige Projekt ist sehr speziell. Genau für solche Dinge bin ich im ZJSO», sagt sie mit leuchtenden Augen.

Das ZJSO sei für sie enorm wichtig. «In der Schweiz gibt es sonst kaum ein Orchester, das für geübte Laien und junge, angehende Profis eine solche Chance bietet», so Röttger. Im ZJSO spielen momentan Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 16 und 28 Jahren aus allen Kantonen der Zentralschweiz mit.

Die Klarinettistin Charlotte Röttger aus Hünenberg ist Präsidentin des ZJSO.

Die Klarinettistin Charlotte Röttger aus Hünenberg ist Präsidentin des ZJSO.

(Bild: bic)

Das Mozart-Requiem werde von Ensembles dieser Altersgruppe kaum aufgeführt. «Vor allem die Art, wie wir das Werk erarbeiten, entspricht sehr dem Charakter des Orchesters. Denn nicht nur die Musik, sondern auch die Freundschaft ist beim ZJSO ein elementarer Bestandteil», so Röttger.

Sowohl im Zwischenmenschlichen wie auch im Musikalischen sollen die Grenzen zwischen Chor und Orchester verschwinden. «Ein einziges Ensemble, ein einziges grosses Instrument wollen wir sein», sagt Röttger. «Wir jungen Musiker lernen dabei auf beiden Ebenen extrem viel», schwärmt sie.

Erlernen alter Spieltechniken

Stolz ist Charlotte Röttger, dass man mit dem Engländer John Holloway einen international bekannten Musiker für die Begleitung des Projektes gewinnen konnte. Der Geiger ist Spezialist für historische Aufführungspraxis und einer der erfahrensten Konzertmeister der Alte-Musik-Szene. Nun gibt er sowohl den jungen Musikanten wie auch den beiden Dirigenten wichtige und lehrreiche Inputs.

Die Nachwuchsmusiker lernen dabei historische Spieltechniken kennen und setzen sich mit den künstlerischen Gestaltungsmitteln auseinander, die zur Entstehungszeit eines Werkes verwendet wurden. Holloway unterstützt die Jungmusiker mit seinem Wissen beim barocken, unvollendeten Mozart-Requiem. «Es ist enorm interessant und ich habe viel Neues erfahren und mitgenommen», so Klarinettistin Röttger.

In Memoriam

Das Konzert «In Memoriam» wird dreimal in der ganzen Schweiz aufgeführt. Folgende drei Werke warten auf die Konzertbesucher:

Benjamin Britten (1913–1976)

«Sinfonia da Requiem»

Gustav Mahler (18601911)

«Urlicht»

(Bearb. Clytus Gottwald für Chor a cappella)

Wolfgang Amadeus Mozart (17561791)

 «Requiem in d-Moll»

(Fassung nach Xaver Süssmayr) für Solisten, Chor und Orchester

Konzertdaten: 9. April, KKL Luzern (Konzertsaal); 21. April, Eglise St. Michel, Fribourg; 22. April, Fraumünster Zürich

Neue Perspektive eröffnet

«John Holloway konnte uns ganz neue Perspektiven auf das Werk liefern und Elemente dieser Musik aufzeigen, die man in den Noten nicht darstellen kann», ergänzt ZJSO-Dirigent Josi Sieber. Mit welchen Gedanken und Eindrücken muss man an diese Musik herangehen? Welche musikalischen, kulturellen und gesellschaftlichen Aspekte und Traditionen stecken hinter einem Werk? Welche Wirkung erzielt diese Musik? Und mit welchen Mitteln und Techniken kann man diese Wirkung erreichen?

«Dies sind Fragen, mit denen wir jungen Musiker uns während des Projektes auseinandersetzen», führt Sieber aus. «Es ist insbesondere für ein Jugendorchester eine grosse Chance und ein riesiges Privileg, mit Persönlichkeiten wie John Holloway zusammenzuarbeiten», sagt er.

Projekt entstand eher zufällig

Doch wie kam es überhaupt zu dieser speziellen Kooperation der beiden Ensembles? «Die Idee für das Projekt kam uns in einer Lagerküche», erinnert sich Nicolas Fink, Leiter des schweizerischen Jugendchors.

ZJSO-Dirigent Josi Sieber war als Sänger bei mehreren Projekten des Chors dabei. So kam man miteinander ins Gespräch. «Wir haben gemerkt, dass wir ähnliche Vorstellungen von Musik und Musikprojekten haben», sagt der 26-Jährige aus Kastanienbaum.

«Für die Zusammenarbeit haben wir uns rasch auf das Mozart-Requiem geeinigt», so Sieber. Dies vor allem deshalb, weil viele Stellen des Stücks «colla parte» gespielt werden. Das bedeutet, dass Orchester und Chor weitgehend dasselbe spielen. «Dies fördert das gegenseitige Verständnis zwischen Instrumentalisten und Sängern.»

John Holloway, Nicolas Fink und Josi Sieber diskutieren eine schwierige Passage des Mozart-Requiems.

John Holloway, Nicolas Fink und Josi Sieber diskutieren eine schwierige Passage des Mozart-Requiems.

(Bild: bic)

Bei Profiorchestern und -chören finde bestenfalls ein musikalischer Austausch statt, sagt Nicolas Fink. Das Zwischenmenschliche bleibe aber meistens auf der Strecke. Dies sei im aktuellen Projekt jedoch ganz anders. «Auch wir Dirigenten können auf diese Art und Weise viel mehr Einfluss nehmen, als wenn wir mit Chor und Orchester separat proben würden», erklärt Fink.

Sieber und Fink können sich nicht an andere Projekte dieser Art erinnern. Zumindest nicht in der Schweiz. «Eine Trennung zwischen Chor und Orchester, wie wir sie anstreben, ist oft schwer zu überwinden», sagt Fink. Das Projekt habe deshalb geradezu revolutionären Charakter, führt Sieber stolz aus.

Sänger werden zu Instrumentalisten

Das aktuelle Projekt geht aber noch weiter. Neben dem Mozart-Requiem werden mit der «Sinfonia da Requiem» von Benjamin Britten und Gustav Mahlers «Urlicht» – in einer speziellen Chorfassung – auch je ein Orchester- und ein Chorwerk aufgeführt.

Dabei werden Sänger, die ein Instrument spielen, im Orchester mitwirken, während sich im Gegenzug einige Orchestermusiker dem Chor anschliessen, wie Josi Sieber erklärt. «Sowas hat es sehr wahrscheinlich noch nie gegeben», vermutet Chorleiter Nicolas Fink.

Dass sich die beiden Ensembles gefunden und sofort verstanden haben, sei wohl weitherum einzigartig, betonen Sieber und Fink unisono. «Ich glaube nicht, dass wir das Ganze mit einem anderen Orchester auf ähnliche Art und Weise hätten realisieren können», ergänzt Fink. Die Luzerner und Zuger Jugendlichen leisten zusammen mit ihren Kollegen also Pionierarbeit.

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