Hundehalterinnen reagieren mit Zorn und Angst

Streut jemand Giftköder? Verdacht sorgt für Aufregung in Cham

Gemäss aktuellen Facebook-Posts sollen in Cham derzeit Giftköder ausgestreut werden. Nur: Stimmt das tatsächlich? (Bild: Adobe Stock)

Ein möglicher Vergiftungsfall macht Hundehalterinnen in Cham derzeit Angst. Dies, obwohl den hiesigen Tierärzten und der Zuger Polizei keine aktuellen Fälle bekannt sind. Ob nun bewusst gestreutes Gift oder verdorbene Lebensmittel: Es lohnt sich als Hundehalter gewisse Punkte zu beachten.

Saira geht es nicht gut. Nach einem Spaziergang musste die Labradorhündin am Donnerstag innert weniger Minuten fünfmal erbrechen. Seitdem ist der Hund schwach. Hat steife Hinterbeine, «sie ist nicht mehr der Hund, den ich kenne», wie es Sairas Halterin, Seraina Sidler-Tall formuliert.

Sie geht davon aus, dass ihr Vierbeiner präpariertes Futter gefressen hat. Während eines kurzen Spaziergangs entlang der Bahngleise, mitten in Cham. Gegenüber zentralplus erzählt sie: «Saira war nicht an der Leine und lief hinter uns her. Als ich sie rief, kam sie zunächst nicht gelaufen.»

Der Hund erbrach Schaum und fremdes Futter

Wenig später erbrach Saira nicht nur Schaum, sondern auch Futter, das offensichtlich nicht jenes war, das sie von ihrer Halterin bekommt. «Dabei ist mein Hund echt hart im Nehmen, sie hat etwa auch schon Ameisenköder und andere Substanzen erwischt und nicht einmal erbrochen. Ich gehe deshalb davon aus, dass jemand präpariertes Futter ausgestreut hat.»

Wenig später fuhr Sidler-Tall mit ihrem Hund zur Tierärztin. Viel machen konnte diese nicht. Der Magen wurde geröntgt, um zu sehen, ob sich darin noch etwas befinde. «Die Tierärztin war nicht überrascht von meinem Fall. Sie erzählte mir, dass es offenbar in Cham schon länger jemanden gebe, der Trockenfutter auslege.» Seither ist Saira zu Hause und leidet. Auch Tage später macht sich ihre Halterin noch Sorgen, ob sich ihr achtjähriger Hund ganz erholen wird.

«Dem Menschen, der das tut, wünsche ich ganz viel Liebe!»

Seraina Sidler-Tall, Hundehalterin aus Cham

Um andere Tierhalter auf die potenzielle Gefahr aufmerksam zu machen, hat Seraina Sidler-Tall ihre Geschichte auf Facebook veröffentlicht. Eine verständliche Reaktion. Ihr Post wurde geteilt, mitunter auf der Gruppe Zuger Tierfreunde. Alsbald reagierten Hundehalterinnen zu Dutzenden mit Unverständnis, Zorn und Angst.

In ihrem Post schreibt Sidler-Tall: «Dem Menschen, der das tut, wünsche ich ganz viel Liebe!» Sie ist überzeugt: «Trotz allem finde ich, dass man Hass nicht mit Hass begegnen darf.» Vielmehr konzentriere sie sich auf den liebevollen und zahlreichen Zuspruch und die vielen guten Gedanken an Saira, welcher ihr Facebook-Eintrag ausgelöst habe.

Seraina Sidler-Tall spendet ihrer Hündin Saira Trost. (Bild: zvg)

Ein höcht emotionales Thema

Die überaus emotionalen Reaktionen der Zuger Tierhalter sind nachvollziehbar. Der Gedanke, dass ein harmloser Spaziergang für einen Hund in einem qualvollen Tod endet, ist für die meisten Hundehalter schwer zu ertragen. Auch ist logisch, dass man wütend reagiert beim Gedanken an Menschen, die den Tieren mutwillig schaden wollen. Denn: Dass es solche Tierquäler gibt, ist unbestritten.

Dass aufgrund des Aufrufs bei den Chamer Tierärzten in den letzten Tagen besonders viele besorgte Hundehalter anriefen, ist darum kein Wunder. Auch zentralplus hat bei mehreren Veterinären nachgefragt.

Tierärzte wissen von nichts

Drei Arztpraxen aus der Region Cham beteuerten auf Anfrage, dass sie nichts wüssten von vergifteten Hunden. Dies, obwohl sie es wohl sehr schnell mitbekämen, wenn jemand mutwillig Giftfutter streuen würde. Gleichzeitig wurden wir darauf hingewiesen, dass viele Hunde jahreszeitbedingt aktuell Magen-Darm-Probleme hätten.

«Bestätigte Vergiftungsfälle sind bei uns selten.»

Alice Nentwig, Tierärztin

Alice Nentwig, Veterinärin bei der Ennetseeklinik, bläst ins selbe Horn wie die Kollegen der anderen Praxen. Sie erklärt, in den letzten Monaten keine Häufung von Vergiftungsfällen wahrgenommen zu haben. «Bestätigte Vergiftungsfälle, bei denen der Besitzer klar gesehen hat, dass der Hund einen Giftköder gefressen hat, sind bei uns selten.»

Regelmässig habe man jedoch Fälle, bei denen der Hund draussen «etwas erwischt» habe und anschliessend klinische Symptome wie Erbrechen, Durchfall, schlechten Appetit oder ähnliches zeige. «Bei den meisten solchen Fällen handelt es sich aber weniger um Giftköder, sondern eher um Sachen wie verdorbenes Futter, Kot von anderen Tieren, eventuell Mist und Dünger auf den Feldern, gesalzter Schnee sowie Medikamente von Besitzern oder anderen Personen», so Nentwig.

Was tun, damit der Hund nichts vom Boden frisst?

Auch erklärt die Tierärztin, worauf Hundehalter achten können, damit ihre Vierbeiner draussen nichts Ungutes fressen. Sie weist zunächst darauf hin, dass die Möglichkeiten je nach Hund unterschiedlich seien. Doch sei etwa ein Giftködertraining möglich, ebenfalls könne man dem Hund ein Abbruchkommando antrainieren.

Etwas radikaler: Das Überziehen eines Maulkorbs, damit der Hund nichts Ungewolltes zu sich nimmt. Weiter könne man Hunde an «verdächtigen» Orten anleinen oder etwa Orte meiden, an denen sich viele Leute aufhalten. Beispielsweise bei Grillstellen, Vitaparcours, oder See- sowie Flusspromenaden.

Vergiftungssymptome sind vielfältig

Und wenn es nun trotz aller Vorsichtsmassnahmen hart auf hart kommt und der Hund etwas Ungutes gefressen hat? Dann lohnt es sich, den Hund gut zu beobachten, denn, so Nentwig: «Die Symptome sind unterschiedlich, je nachdem, welche Vergiftung vorliegt. Oft zeigen Hunde Magen-Darm-Symptome: fehlender Appetit, Erbrechen, Durchfall, Bauchweh.»

«Auf dem gesamten Kantonsgebiet sind extra präparierte Köder die Ausnahme.»

Frank Kleiner, Mediensprecher Zuger Polizei

Es gebe aber auch Vergiftungen, die zu neurologischen Symptomen führen wie Apathie bis hin zur Bewusstlosigkeit, Zuckungen und Anfällen. «Beispielsweise bei Rattengift kann es zu inneren Blutungen kommen. Gewisse Giftköder beinhalten zudem Rasierklingen oder ähnliches, was zu inneren Verletzungen führen kann.»

Der Zuger Polizei ist kein aktueller Giftköder-Fall bekannt

Eine Meldepflicht bei Giftköderfällen gibt es im Kanton Zug nicht, erklärt die Zuger Polizei auf Anfrage. Frank Kleiner, der stellvertretende Medienverantwortliche, erklärt jedoch: «Hundehalterinnen und Hundehalter, aber auch Spaziergänger ohne vierbeinige Begleitung sollen sich beim Auffinden von Giftködern oder bei verdächtigen Situationen umgehend bei der Polizei melden, damit wir die Ermittlungen vor Ort aufnehmen und allfällige Spuren und Hinweise sichern können.»

Ähnlich wie bei den Tierärzten heisst es bei der Zuger Polizei: «Auf dem gesamten Kantonsgebiet sind extra präparierte Köder die Ausnahme. Allgemein handelt es sich bei den allermeisten Giftködermeldungen um vorgefundene Fleisch- oder Speisereste, die entweder weggeworfen oder den Milanen als Futter vorgelegt, von diesen verschleppt und irgendwo fallen gelassen wurden.»

Letzter bestätigter Zuger Fall vor einem Jahr

Der letzte bestätigte Giftköderfall wurde im Januar vor einem Jahr festgestellt, so Frank Kleiner. Damals habe ein Hund auf einem Spaziergang etwas Unbekanntes gefressen. «Die Hundehalterin brachte das Tier zu einer Tierärztin, die dem Vierbeiner ein Mittel verabreichte, welches ihn erbrechen liess. Im Erbrochenen wurde neben Futter auch eine unbekannte grüne Substanz festgestellt.» Genauere Untersuchungen im Labor hätten ergeben, dass es sich bei der grünen Substanz um Schneckenkörner handelte.

Kleiner weiter: «Ob die Schneckenkörner bewusst präpariert und wissentlich an dieser Stelle deponiert wurden, kann nicht abschliessend gesagt werden.» Generell scheint dies schwierig zu beweisen sein, wie ein älterer Fall aus Unterägeri zeigt (zentralplus berichtete).

Vorsicht ja, Panik nein

Was können Hundehalterinnen als Fazit zum vorliegenden Fall mitnehmen? Sicherlich, dass es sich lohnt, potenziell brenzlige Situationen aktiv zu vermeiden. Auch wenn Hundehalter wissen dürften, dass das schlichtweg nicht immer möglich ist.

Warnungen, wie sie Seraina Sidler-Tall zum Fall in Cham auf Facebook gemacht habe, darf man sicher ernst nehmen. In Panik und Wut zu verfallen, lohnt sich jedoch nicht. Insbesondere, wenn man nicht mit Sicherheit weiss, ob es sich um einen willentlich gelegten Giftköder handelt, oder eben «nur» um verdorbene Lebensmittel. Und wer tatsächlich etwas Verdächtiges sieht: ab zur Polizei damit.

Verwendete Quellen
  • Telefonat mit Seraina Sidler-Tall
  • Telefonate und schriftliche Anfragen bei vier lokalen Tierärzten
  • Medienanfrage bei der Zuger Polizei
  • Facebook-Einträge bei «Zuger Tierfreunde»
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Hans Hafen
    Hans Hafen, 03.02.2022, 06:33 Uhr

    Zorn und Angst sind auch auf der Seite der Nicht-HundehalterInnen und Nicht-HundeliebhaberInnen – ich spreche jetzt von der Situation auf Luzerner Allmend – wo sich so gut wie niemand – vom Bireggwald bis zum Eichwäldli und zurück – an die Leinenpflicht ausserhalb der Hundefreilaufzone hält – omnipräsent. Das Problem besteht also durchaus auf beiden Seiten! Hundefreizonen wären die Lösung!

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