Umgang mit afghanischer Familie unverhältnismässig

Bundesgericht heisst Beschwerde gegen Zuger Behörden gut

Wie das Bundesgericht am Dienstag entschied, haben die Zuger Behörden im Fall der afghanischen Familie nicht korrekt gehandelt.

(Bild: wia)

Die Zuger Behörden haben im Fall einer Asyl-Familie unrecht gehandelt. Weil sich die Afghanen weigerten, die Schweiz zu verlassen, wurden die Eltern inhaftiert und die Kinder ins Heim gesteckt. Nun rügt das Bundesgericht, dass dazu keine Alternativen geprüft worden seien. Die Zuger Sicherheitsdirektion widerspricht.

Eine afghanische Familie hatte sich letztes Jahr nach negativem Asylentscheid gegen ihre angeordnete Ausreise gewehrt. Daraufhin wurde die Familie getrennt (zentralplus berichtete). Die Mutter und ihr vier Monate altes Baby wurden im Flughafengefängnis untergebracht, ihr Ehemann in der Strafanstalt Zug. Die drei älteren Kinder wurden vom Zuger Amt für Migration in einem Heim einquartiert.

Während dieser Zeit war es Eltern und Kindern zudem untersagt, miteinander zu telefonieren. Einige Wochen später wurde die Familie, wie es das Dublin-Verfahren verlangt, nach Norwegen ausgeschafft, wo sie zuerst Asyl beantragt hatte.

«Ultima ratio» nicht gegeben

Das afghanische Elternpaar wehrte sich mit einer Beschwerde beim Bundesgericht gegen das Vorgehen der Zuger Behörden. Dies, nachdem das Paar beim Zuger Verwaltungsgericht mit ihrem Antrag auf Haftüberprüfung abgeblitzt war. Nun erhält es Recht.

Die Anordnung von ausländerrechtlicher Dublin-Haft gegen Eltern, unter gleichzeitiger Fremdplatzierung deren Kleinkinder, wäre angesichts der Bedeutung des Kindeswohls «nur ultima ratio und nach gründlicher Prüfung weniger einschneidender Massnahmen» zulässig gewesen, schreibt das Bundesgericht im Urteil, welches am Dienstagmittag öffentlich wurde.

Ohne Identitätspapiere wollten sie nicht zurück

Gemäss dem Urteil habe sich die afghanische Familie im Oktober geweigert, die Rückreise nach Norwegen anzutreten, da sie eigenen Angaben zufolge ihre Identitätspapiere nicht zurückerhalten hätte. In der Folge wurde der Rückführungsversuch abgebrochen. Die Eltern wurden eingebuchtet und drei der Kinder kamen ins Heim. Diese sogenannte Dublin-Haft sei nicht rechtmässig gewesen, kommt das Bundesgericht nun zum Schluss.

Dabei stützt sich das Bundesgericht auf Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), die das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens gewährt. Dem Kindeswohl komme diesbezüglich eine herausragende Bedeutung zu. Bei der Unterbringung der Kinder hätte geprüft werden müssen, ob es andere Unterbringungsmöglichkeiten gegeben hätte, etwa in einer kantonseigenen Liegenschaft oder in einem Durchgangsheim.

«Im konkreten Fall fand keine Evaluation anderer Möglichkeiten statt.»

Bundesgerichtsurteil zum Fall der ausgeschafften afghanischen Familie

«Im konkreten Fall fand keine Evaluation anderer Möglichkeiten statt.» Die separate Inhaftierung der Eltern und die Fremdplatzierung minderjähriger Kinder in einem Heim unter Trennung von den Eltern sei deshalb mit Blick auf Artikel 8 EMRK «unverhältnismässig».

Und wie reagiert die zuständige Zuger Sicherheitsdirektion? Ein wenig trotzig. So schreibt diese in einer Stellungnahme: «Die Sicherheitsdirektion nimmt das Urteil zur Kenntnis, das den Fokus auf zentrale grundrechtliche Fragen richtet. Allerdings lässt das Bundesgericht wichtige Aspekte zum betreffenden Fall offen.» So sei etwa das Risiko des Untertauchens nicht in die Erwägungen des Bundesgerichtes eingeflossen. Die Eltern hätten mehrfach bekräftigt, dass sie nicht gewillt seien, die Schweiz zu verlassen. Sie hätten sich auch dementsprechend verhalten. «Dieser Umstand spielte für das Handeln des Amts für Migration in diesem Fall eine zentrale Rolle», schreibt die Sicherheitsdirektion.

«Selbstverständlich evaluierte das Zuger Amt für Migration dabei sorgfältig auch andere Massnahmen.»

Zuger Sicherheitsdirektion

Dem Vorwurf des Bundesgerichts, die Behörden hätten nicht ausreichend abgeklärt, ob es geeignetere Unterbringungsmöglichkeiten für die Kinder gegeben hätte, widerspricht die Sicherheitsdirektion: «Selbstverständlich evaluierte das Zuger Amt für Migration dabei sorgfältig auch andere Massnahmen, die in diesem Fall aber verworfen werden mussten.»

Die Zuger Sicherheitsdirektion unterstütze, dass das Bundesgericht dem Kindeswohl höchste Bedeutung beimesse. Dennoch betont der Zuger Sicherheitsdirektor: «In diesem delikaten und anspruchsvollen Fall haben die involvierten Behörden hervorragend und mit sehr viel Fingerspitzengefühl zusammengearbeitet. Das Wohlergehen der Kinder hatte dabei immer allererste Priorität.»

Sicherheitsdirektion: Gesetzeslücke sei nicht geschlossen

Weiter spricht man in Zug von einer Gesetzeslücke, die nicht geschlossen sei. So kläre das Urteil nicht über erlaubte Alternativen zur Sicherstellung der Ausreise von Familien auf. Ausserdem sei es in den vorhandenen Zuger Unterkünften und im Durchgangsheim nicht möglich, eine Bewachung oder Begleitung rund um die Uhr sicherzustellen.

Auf Anfrage von zentralplus kommentiert Beat Villiger das Urteil wie folgt: «Das Urteil lässt leider ein paar Fragen ungeklärt. Denn wenn wir künftig so vorgehen wollen, wie das Bundesgericht fordert, können wir Dublin-Ausschaffungen von Familien, die untertauchen, ab jetzt vergessen.»

Für Villiger sei der Entscheid auch eine Aufforderung an die Politik. «Wir müssen Wege finden, wie wir in Zukunft mit solchen Dublin-Fällen umgehen. Da sind sowohl der Bund als auch die Kantone gefordert.»

Kritik von Amnesty International am Dublin-System

Auch Amnesty International hat sich zum Bundesgerichtsurteil geäussert. Laut deren Asylrechtsexpertin Denise Graf habe «das Bundesgericht ein wegweisendes Urteil gefällt. Dublin-Haft mit Trennung der Kinder von den Eltern, um eine Ausschaffung zu erzwingen, wird es in Zukunft in der Schweiz hoffentlich nicht mehr geben».

«Die Dublin-Verordnung wird viel zu strikt angewandt.»

Denise Graf, Asylexpertin Amnesty International

Der Fall zeige, mit welcher Härte heute bei der Ausschaffung vorgegangen werde. «Die Dublin-Verordnung wird viel zu strikt angewandt», sagt Graf. So hätte die Schweiz im vorliegenden Fall aus humanitären Erwägungen auf dieses Asylgesuch eintreten können, da sich die Mutter der Asylbewerberin, zwei Geschwister und mehrere andere Familienmitglieder (Onkel, Tanten, Cousins und Cousinen) in der Schweiz aufhalten und grösstenteils die Schweizer Staatsbürgerschaft haben.

Und was bedeutet nund dieser Bundesgerichtsentscheid für den Kanton Zug? Finanziell praktisch nichts. Der Kanton hat den Anwalt der Beschwerdeführer einzig mit 2’500 Franken zu entschädigen. Weil es sich um ein Verfahren auf bundesgerichtlicher Ebene handelt, werden keine Gerichtskosten erhoben.

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