Betreuende Eltern haben das Nachsehen

Bürokratie wegen Corona: Kitas drohen zu verzweifeln

Ob wegen Corona die Kinder zu Hause oder in der Kita betreut werden – die Kosten bleiben. (Bild: Adobe Stock)

Nach Kanton und Gemeinden will nun auch der Bund notleidenden Kitas helfen. Einige verzweifeln ob der komplizierten Bürokratie und versuchen, eigene Lösungen zu präsentieren. Das Nachsehen haben einmal mehr Eltern, die ihre Kinder in der Corona-Krise selber betreut haben.

Weil seine Kindertagesstätten sich etabliert hätten «und seriös wie auch nachhaltig geführt werden», so schrieb Claudio Conrad, Geschäftsführer der Kitas Müsliburg in Stans und Luzern, vor wenigen Tagen in einem Elternbrief, stände man «glücklicherweise nicht kurz vor dem Konkurs».

Jedoch sei man skeptisch, ob man die durch den Kanton Luzern und die Gemeinden zugesicherte Ausfallentschädigung erhalten werde, so Conrad sinngemäss. Daher wolle Müsliburg keine solche beantragen, und suche nun eine unkomplizierte Regelung, die den selber betreuenden Eltern entgegenkomme. Conrads Vorschlag: Den Erlass der halben Rechnung für den Monat Juni.

Keine Planungssicherheit

Dies löste bei einigen Eltern der drei Stadtluzerner Müsliburg-Krippen Entrüstung aus. Eine mögliche Entschädigung für zwei Wochen ist weniger, als vermutlich möglich wäre. Denn es zeichnet sich ab, dass Kanton und Stadt Luzern die Ausfälle für eineinhalb Monate ausgleichen werden. Was selber betreuende Eltern dreimal stärker entlasten könnte.

Der Müsliburg-Geschäftsführer legt im Elternbrief, der zentralplus vorliegt, dar, dass «die Zusprache oder Ablehnung der Entschädigung von noch nicht klar definierten Faktoren sowie vom Ermessen der Behörden abhängt» – weswegen er offenbar Angst hat, leer auszugehen oder mindestens auf lange Sicht keine Planungssicherheit zu haben.

Wenig konkrete Antworten

Man kann Conrad verstehen. Das Prozedere und der Zeitpunkt, zu dem Ausfallentschädigungen ausgerechnet und gegebenenfalls an Eltern weitergeleitet werden, ist ungewiss. Fragt man beim Kanton Luzern nach, wird auf ein Merkblatt verwiesen, dass sehr allgemein gehalten wird.

Verschiedene Fragen sind nicht befriedigend zu beantworten – etwa warum der Kanton die ersten beiden Wochen des Lockdowns nicht entschädigt. Dafür Ausfälle noch bis Juni abgelten will, obwohl kommende Woche wohl die meisten Kinder in die Kitas zurückkehren werden.

Betreuungsgutscheine muss man melden

Ausserdem ist ein bürokratisches Durcheinander absehbar. Die Ausfallentschädigungen werden unterstützend ausgerichtet. Hat eine Kita für Mitarbeitende Kurzarbeit angemeldet, so wird diese abgezogen, ebenso Subventionen und Zuwendungen von dritter Seite. Bis das alles abgerechnet ist, wird noch viel Wasser die Reuss runterfliessen.

Ein besondere Krux stellen die Betreuungsgutscheine dar. Diese werden in 30 Luzerner Gemeinden ausgerichtet, in denen 70 Prozent der Bevölkerung leben. Die öffentliche Hand will ausschliessen, das am Ende Eltern entschädigt werden, welche die Kitas über Betreuungsgutscheine bezahlen und nicht aus dem eigenen Sack – also sollen diese gemeldet werden müssen.

Noch will niemand verantwortlich sein

Weiter lassen die Fristen vermuten, dass hier eine unendliche Geschichte am Entstehen ist. Die Ausfallentschädigung für April kann im Kanton Luzern noch im August beantragt werden.

Zu guter Letzt schieben sich Kanton und Gemeinden die Zuständigkeit gegenseitig zu. Auf Fragen an die Stadt Luzern zu den Ausfallentschädigungen ergeht die Antwort, man solle sich an das kantonale Gesundheits- und Sozialdepartment wenden, dieses sei «im Lead». Dort, bei der Dienststelle Soziales und Gesundheit, legt man Wert auf die Feststellung, dass die Aufsicht über die Kitas weiterhin Sache der Gemeinden sei.

Warten auf die Bundesmillionen

Nicht nur rechtliche Unsicherheiten sind der Grund für die grosse Zurückhaltung, wie im Gespräch zu erfahren ist. Natürlich warten der Kanton Luzern und die Gemeinden, die je 50 Prozent der Ausfälle übernehmen wollten, darauf, dass der Bund nun in die Bresche springt. Zumal in der Corona-Sondersession tatsächlich Kita-Hilfen im Umfang von 65 Millionen Franken beschlossen wurden.

«Die Kitas müssen jeden Fall einzeln belegen und es wird auch Kontrollen geben.»

Andreas Hostettler, Zuger Regierungsrat (FDP)

Um jetzt schon klarer zu sehen, fragen wir beim Kanton Zug nach, wo die Corona-Ausfallentschädigungen für Kitas schon früher beschlossen wurden und wo die Koordination der nur 11 Gemeinden leichter ist.

Schematische Darstellung der Hilfe

Zug entschädigt die Ausfälle während des Lockdowns vom 17. März bis 11. Mai – aber nicht länger. Die Fristen für Ausfallsgesuche sind enger gesetzt, das Prozedere festgelegt. Doch die Schwierigkeiten sind die gleichen: Auch hier werden Entschädigungen für Kurzarbeit in Abzug gebracht, was dauern kann. Auch hier kennen die vier grössten Gemeinden das System der Betreuungsgutscheine.

Die zuständige Direktion des Innern hat daher eine Art Bedienungsanleitung gebastelt, welche Kitas die Vorgehensweise schematisch erläutert. Demnach beantragen die Kitas die Ausfallsentschädigung für all ihre Kinder beim Kanton. Der klärt bei den Gemeinden ab, welche Kinder Betreuungsgutscheine oder Subventionen erhalten. Dann bezahlt er 80 Prozent der Ausfälle an die Kitas und teilt ihnen mit, wer Betreuungsgutscheine erhält. Die Tagesstätten verrechnen darauf die Gutscheine mit den Gemeinden, die ausserdem auch noch 20 Prozent der Ausfälle an die Kitas bezahlen.

Viel bürokratischer Aufwand

Durch dieses System wird sichergestellt, dass die Kitas die Entschädigung für selbst betreuende Eltern am Ende nur an jene weiterleiten, welche die Kitas selber bezahlen.

«Die Kitas wurden von der Dienststelle Soziales und Gesellschaft eingeladen, die Elternbeiträge zu erlassen.»

Edith Lang, Chefbeamtin des Kantons Luzern

«Das verursacht viel Aufwand und wird einige Kitas enorm fordern», sagt der zuständige Zuger Regierungsrat Andreas Hostettler (FDP). Bedenken hat er weniger bei den grossen Kita-Ketten, sondern bei kleinen, karitative Kita-Vereinen, die keine grossen Buchhaltungsabteilungen haben.

Rechnungen müssen weiter bezahlt werden

Zweierlei ist sicher: Die Kita-Beiträge müssen von den Eltern weiter bezahlt werden, bis die Ausfallentschädigungen fertig abgerechnet sind. Und: Wie die Kitas die berechtigten Eltern am Ende entschädigen – durch eine Rückzahlung von Geld, oder durch den Erlass von Rechnungen oder die Gutschrift von Betreuungszeit – wird laut Hostettler im Kanton Zug den einzelnen Kitas überlassen. «Jedoch müssen die Kitas jeden Fall einzeln belegen, und es wird auch Kontrollen geben», versichert Hostettler.

Doch zurück zur Kita Müsliburg in Luzern: Darf sie auf den Antrag auf Ausfallsentschädigungen verzichten und stattdessen einen Rabatt auf zwei Wochen Kinderbetreuung ausrichten? Müssen die Eltern darauf eingehen? Vermutlich ja. Edith Lang, Leiterin der Dienststelle Gesundheit und Soziales sagt dazu lediglich: «Die Kitas wurden von der Dienststelle Soziales und Gesellschaft eingeladen, die Elternbeiträge zu erlassen.»

Kita Müsliburg will über die Bücher gehen

Claudio Conrad von der Müsliburg GmbH will seinen Lösungsvorschlag nicht auf Teufel komm raus durchstieren. «Wir wollten den Eltern jetzt eine klare und sichere Lösung bieten», sagt er. Man sammle nun die Elternfeedbacks, frage beim Kanton nach und kläre die Möglichkeit des neuen Bundeszuschusses. «Danach werden wir die Lage nochmals analysieren», sagt Conrad. Wichtig sei, «die Angelegenheit möglichst fair und zügig für alle zum Abschluss zu bringen». Danach will er wieder nach vorne schauen und «die Ressourcen im Kerngeschäft einsetzen».

Die Aufregung um seinen Vorschlag sieht Conrad einem Missverständnis geschuldet. Die kantonale Ausfallentschädigung sei nicht in erster Linie für die selbst betreuenden Eltern gedacht, wie diese vielleicht annehmen würden. Sondern sie seien für die Kitas vorgesehen, um Krippenschliessungen zu verhindern und systemrelevante Betriebe zu schützen. 

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