Zuger Stadtratswahlen: Bürgerlich gegen Links

«Bürgerlich» sein: Wer hat noch nicht, wer will nochmal?

Einfamilienhaus, Wiese und Gartenzwerge. Ist das nun bürgerlich? (Bild: Emanuel Ammon)

Die SVP, die CVP, die FDP und die glp wollen alle «die» bürgerliche Partei par excellence sein. Für den Wähler in der Stadt Zug heisst das: Vor Etiketten-Schwindel muss man gefeit sein. Doch Rhetorik hin oder her, die Zuger Bevölkerung wird immer bürgerlicher, und damit steigen die Chancen für einen Sieg der bürgerlichen Allianz.

Auf der Polit-Bühne der Stadt Zug muss derzeit das Wort «bürgerlich» für vieles herhalten. Zahlreiche städtische Politiker verwenden den Begriff ziemlich inflationär. Gut möglich, dass dem einen oder anderen Wähler das Wort bis zum «Super Sunday» im Oktober zum Hals heraus hängen wird.

Erst wenn in der Stadt Zug die fünf Sitze für den Stadtrat neu verteilt sind, wird endlich die grosse Frage der Stunde beantwortet sein: «Wird in den nächsten vier Jahren eine bürgerliche Mehrheit die Stadt Zug regieren oder wie bisher die Linke?»

Der Politikwissenschaftler Michael Hermann von der Forschungsstelle sotomo sagt, dass in Zug eine «spezielle Konstellation» vorherrsche, die an der emotionalen Debatte um das «Bürgerliche» nun sichtbar werde. «Der soziale Wandel in Zug hat dazu geführt, dass der Kanton bürgerlicher wurde. Finanzstarke Personen kommen nach Zug, während solche mit geringerem Verdienst eher verdrängt werden», sagt Hermann.

Interessant sei, dass es trotz dieser «Verbürgerlichung» in der Stadt Zug zu einer linken Regierung gekommen ist. «Das löst natürlich viele Emotionen aus», erklärt der Politologe. Er zieht den Vergleich zur Stadt Zürich: Dort wurde der linke Stadtrat auch von den Bürgerlichen herausgefordert, dies habe aber kaum Emotionen geweckt, weil die linke Mehrheit darin gefestigt sei. Vorausblickend auf die Wahlen sagt er: «In der Stadt Zug ist die bürgerliche Wählerbasis gewachsen, ein bürgerlicher Sieg wäre keine Überraschung.»

Als bürgerlich bezeichnen sich in Zug alle Parteien, die eine weitere Legislaturperiode mit einer linken Regierung verhindern wollen. Das sind: FDP, glp, CVP und SVP. Nur, was heisst denn eigentlich bürgerlich? zentral+ fragte bei den Stadtratskandidaten nach.

Bürgerlich heisst: «nicht links»

Für den amtierenden Stadtrat und Stadtratskandidaten André Wicki (SVP) heisst bürgerlich «nicht links». Ausserdem bedeute es Eigenverantwortung, Gemeinsinn und Wirtschaftsfreundlichkeit. Zur bürgerlichen Politik gehört für ihn «der Schutz des Privateigentums, ein ausgeglichener Staatshaushalt und eine zurückhaltende Steuerpolitik.»

Was heisst bürgerlich?

Eine kurze Erklärung von Politgeograf Michael Hermann:

Seit der Aufklärung (18. Jh.) gibt es das Bürgertum; der Begriff «bürgerlich» spielte in der Französischen Revolution eine zentrale Rolle («le citoyen»). Das Bürgertum wollte sich gegen die Aristokratie und den Feudalismus abgrenzen. In der Schweiz ist der Begriff lange vor allem von den Liberalen gebraucht worden. Mit dem Aufkommen des Sozialismus und den Arbeiterbewegungen wurde der Begriff von allen übernommen, die nicht links stehen. Der Begriff «bürgerlich» diente historisch gesehen somit zunächst der Abgrenzung vom Feudalismus und später der Abgrenzung vom Sozialismus.

Nach dem Fall der Mauer 1989 ist der Gegensatz zwischen links und bürgerlich zeitweise in den Hintergrund getreten. Das Feindbild Sozialismus existierte nicht mehr. Europa, gesellschaftliche Fragen und das Aufkommen der SVP liessen Allianzen jenseits von links und bürgerlich entstehen («Allianz der Vernunft», «Neue Mitte»). Seit die soziale Verteilungsfrage wieder stärker ins Zentrum gerückt ist, verläuft der Diskurs wieder hauptsächlich entlang der Linie links gegen bürgerlich.

Eigenverantwortung nennen auch die glp-Stadtratskandidatin Michèle Kottelat (neu) und der FDP-Kandidat Stefan Moos (neu) in ihrer Definition von bürgerlich. Die glp-Kandidatin erwähnt ausserdem die «Wahrung der Kultur und des Rechtsstaats, Eigentumsgarantie und Hilfe zur Selbsthilfe.» Ebenfalls bedeutet für sie bürgerlich, dass der Service Public nur dort sein sollte, wo er unbedingt notwendig ist.

Für den «sogenannten» Mittelstand politisieren

Auch FDP-Stadtrat und Finanzvorsteher Karl Kobelt hat seine eigene Definition: «Bürgerlich bedeutet für mich eine Grundhaltung, wonach den nicht-staatlichen Teilen unserer Gesellschaft grundsätzlich zugetraut und zugemutet wird, passende Lösungen und Antworten auf die Herausforderungen unserer Zeit zu finden. Eine bürgerliche Gesellschaft ist angehalten, den Menschen dazu die notwendigen Freiräume zu gewähren, sie aber auch zu einem solch selbstverantworteten Leben und Gestalten zu befähigen.»

Etwas weniger liberal argumentiert der CVP-Kandidat Urs Raschle (neu). Er sagt, eine bürgerliche Politik betreffe die «Menschen im sogenannten Mittelstand. Wirtschaftliche, soziale und politische Entscheidungen sollten also zum Wohle dieser Menschen gefällt werden», so der Kantonsrat.

«Die SVP ist eine populistische Anti-Partei»

Die laut glp-Kandidatin Michèle Kottelat «eher rechts-konservative Vereinigung Bürgerlicher Stadtrat 2014 (BS14!)» definiert in ihrer «Charta» den Begriff bürgerlich kurz und knapp als wirtschaftsfreundlich. «Wirtschaftsfreundlich ist immer auch bürgerfreundlich und grundlegende Voraussetzung für die Unterstützung von Schwächeren», heisst es in der Charta. Das Ziel des Vereins ist es, die linke Mehrheit im Stadtrat von Zug bei den Wahlen im Oktober zu stürzen.

Dieser Verein ist Kottelat ein Dorn im Auge: «Die Vereinigung BS14! hat versucht, den Begriff ‹bürgerlich› zu monopolisieren und verleiht das Etikett ‹bürgerlich› an Leute, die es nicht verdienen.» Damit meint sie allen voran die SVP. Diese nenne sich bürgerlich, sei aber weit davon entfernt. «Die SVP hat sich zu einer populistischen Anti-Partei entwickelt. Man ist gegen Humanismus, Kultur, Umweltschutz, Völkerrecht, Ausländer, Frauenrechte und Abtreibung.» Die SVP propagiere ein konservatives Gesellschaftsbild mit den Frauen am Herd, so Kottelat.

«Die Vereinigung BS14! hat versucht, den Begriff ‹bürgerlich› zu monopolisieren.»

Michèle Kottelat, Stadtratskandidatin (glp)

«Es hatte nicht nur mit den Finanzen zu tun»

Politgeograf Michael Hermann betont, dass bürgerlich traditionsgemäss nicht nur mit der Frage der Finanzen zu tun hatte (siehe Box). Früher seien Gemeinsinn und Verantwortung in der Gesellschaft genauso wichtige Bestandteile der bürgerlichen Werte gewesen. «Bürgerlich heisst eigentlich nicht neo-liberal oder anti-etatistisch», so Hermann. Zug sei aber sehr wirtschaftsorientiert und darin hätten die bürgerlichen Parteien so etwas wie einen gemeinsamen Nenner gefunden. «In Zug wird bürgerlich gebraucht im Sinne von: Wir treten geschlossen gegen die Linke auf.»

Man könnte es auch so sagen: Weil niemand wirklich eine Ahnung hat, was bürgerlich eigentlich heissen soll, kreiert jede Partei ihre eigene Definition. Und spricht den anderen Parteien das Bürgerliche ab. So kann jede Partei das abgenutzte Wort für sich beanspruchen und es solange zurechtformen, bis es exakt auf ihre Wähler passt.

Was folgt, ist der gegenseitige Vorwurf des Etiketten-Schwindels. Stefan Moos von der FDP ist der Meinung, der Begriff sei schwammig geworden, weil er nicht korrekt verwendet werde und für vieles herhalten müsse. Die Bedeutung des Begriffs würde dadurch ausgedehnt und der Begriff strapaziert.

«Bürgerlich gibt nicht mehr viel her»

Dasselbe lastet die Linke ihren bürgerlichen Gegenspielern an. Stadtpräsident Dolfi Müller (SP) sagt: «Der Begriff bürgerlich ist so schwammig geworden, dass er nicht mehr viel hergibt.» Für Müller ist mit dem kürzlich verstorbenen, ehemaligen Stadtpräsidenten Walter A. Hegglin (CVP), der letzte wichtige Repräsentant der eigentlichen Zuger Bürgertums gestorben.

«In der Stadt Zug scheint mir, ist der Begriff ‹bürgerlich› zu einem ideologischen Label geraten.»

Vroni Straub-Müller, Stadträtin (CSP)

Die amtierende Stadträtin Vroni Straub-Müller (CSP) distanziert sich deutlich vom Gebrauch des Trend-Begriffs: «In der Stadt Zug scheint mir, ist der Begriff ‹bürgerlich› zu einem ideologischen Label geraten. Eine Art Kampflabel, unter dem einige wenige Exponenten ihre alte Machtstellung wieder zurück haben wollen.»

«Da mache ich nicht mit», sagt Straub. Für sie stehe Sachpolitik am Gemeinwohl orientiert und nicht egoistische Interessens- und Machtpolitik im Vordergrund. 

Welche Partei in Zug verkörpert das Bürgerliche am besten?

Das sagen Stadtratskandidaten

Urs Raschle (CVP) sagt: «Natürlich die CVP: Staatstragend, gut verankert, nah bei den Bürgern, gewerblich orientiert und vor allem für die Familie.»

Michèle Kottelat (glp) sagt: «Neben der glp sicher der liberale Flügel der FDP, zum Teil die CVP. Obwohl es bei FDP und CVP auch rechts-konservative Mitglieder gibt, die der SVP nahestehen und sich nicht mehr ‹bürgerlich› nennen dürften.»

André Wicki (SVP) sagt: «Das ist selbstverständlich die SVP.» 

Jolanda Spiess-Hegglin (Alternative-Die Grünen) sagt: «Die FDP. Geldfixiert und ohne Gewissen. Oder immer mehr auch die glp. Diese Partei ist stockbürgerlich und tarnt sich mit einem ‹g› im Namen. Man kann nicht grün sein und die Geschäfte von Glencore Xstrata verteidigen, Punkt.»

Stefan Moos (FDP) sagt: «FDP und SVP.»

Dolfi Müller (SP) sagt: «Im vorigen Jahrhundert hatte das gewerbliche Bürgertum in der Stadt Zug massgebenden politischen Einfluss. Der vor Kurzem verstorbene ehemalige Stadtpräsident Walther A. Hegglin war bis in die 80er Jahre hinein der letzte wichtige Repräsentant dieser Gruppe. CVP und FDP verstanden sich damals gleichermassen als Vertreter des gewerblichen Bürgertums.»

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