Zehn Jahre lang war ich ein sprachlicher Sonderling
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Nein, der Luzerner Dialekt ist definitiv nicht so auffällig wie etwa das Walliser- oder Berndeutsch. Doch in der Ostschweiz kann selbst das «Lozärnerdütsch» schon einmal zu einem Redeverbot führen.
Bis vor Kurzem war mir nicht bewusst, dass auch der stressige Einkauf abends um 18 Uhr eine Wohltat sein kann. Und zwar für meine Ohren. Ein gehetztes «Usem Wäg, ech muess no Möuch choufe» oder ein genervtes «S’nögscht Mol duä ech au föredränglä a de Kassä, du Dubel», ist Balsam für meine Seele.
Ich stehe an der Kasse, und bevor ich meinen Lozärner Lebkuchen einscanne, schliesse ich nochmals die Augen und höre genau hin. «Chögelipastetli», «Sennemutschli» und «rüüdigi Fasnacht». Er ist überall. Ich liebe es. Endlich, nach all den Jahren im wilden Osten der Schweiz, sprechen alle wieder denselben Dialekt wie ich: Lozärnerdütsch. Das war jetzt mehr als zehn Jahre lang nicht mehr der Fall. Zehn Jahre lang war ich ein sprachlicher Sonderling.
Unfreiwilliger Schweizerdeutschkurs
Vor ungefähr acht Jahren. Zum Abschied von einem Arbeitgeber in Winterthur bekomme ich von den Redaktionskollegen das Dialektbuch: «Schweizerdeutsch für Anfänger» geschenkt. Bei der Übergabe des Präsents kichern sie leise vor sich hin. Dabei hatten die meisten selbst starke Dialektprägungen: Einige sprachen mit einer «Zürischnurre», andere waren Schaffhauser und ein paar «Thurgauer» waren auch noch dabei.
Doch egal, wie unterschiedlich ihre eigenen Dialekte waren, in einem Punkt hielten sie zusammen: «EN Frau» gäbe es nicht auf Mundart. Es hiesse gefälligst: «E Frau». Egal, in welchem Dialekt. Denn «EN» steht in der Nordostschweiz für das Hochdeutsche «DER», ist also männlich. Und eine Frau kann ja nicht männlich sein – so die Logik meiner damaligen Winterthurer Arbeitsgspändli. Mit der heutigen Genderdebatte hätte die Diskussion vielleicht noch anders ausgesehen, aber damals, vor ungefähr acht Jahren, war man sich einig: Jemand, der aus einem Kanton stammt, wo man «EN Frau» auf Mundart sagt, gehört sprachlich umerzogen. Und zwar subito.
Mir war damals überhaupt nicht bewusst, dass man auf Mundart sprachliche Fehler machen kann. Und dass «EN Frau», «EN Ständerlampe» oder «EN Prinzässin» den feinen Ohren der Sprösslinge einiger Schweizer Kantone nicht bekömmlich war. Mit dem besten Gewissen, die Luzernerin nun mit einer «korrigierten» Schweizerdeutschen Grammatik weiterziehen zu lassen, schenkten sie mir also dieses Dialektwörterbuch. Niemand konnte wissen, dass dort, wo es mich als Nächstes hinzog, der Kantönligeist und Dialektstolz noch viel «verreckter» war.
Flucht in den fernen Osten
«Hopp Sangalä, innä mit äm Ballä!» – Wer die St. Galler nachäfft, macht sich keine Freunde. Die St. Galler haben zwar einen verschmitzten Humor – bei ihrem Dialekt hört dieser jedoch auf.
Und so wurde bei meinem neuen Arbeitgeber als Erstes ziemlich schnell diskutiert, welche Mundarttexte ich für das Regionalfernsehen überhaupt einsprechen durfte und welche nicht. Schnell war klar: Das in der Ostschweiz traditionsreiche «Kinderfest», welches nur alle drei Jahre bei schönem Wetter stattfindet, ist ein Tabu für die neue Luzernerin. Also durfte ich filmen, jedoch nicht sprechen. Es könnte ja «EN Frau» im Satz fallen. Ich nahm es mit Humor.
Es gab aber auch ein paar wenige – aber dafür umso schönere – Gelegenheiten, meine Redaktionskollegen auf die Zentralschweizer Begrifflichkeiten aufmerksam zu machen. So kritisierte ich in einer Morgensitzung die falsch erwähnte «Chäppelibrugg»: «Es heisst imfall Chappelbrugg of Lozärnerdütsch!», korrigierte ich und fügte hinzu, dass es auf Mundart ausserdem auch nicht «Ebikon» heisst, sondern «Äbike». Doch dies waren fast die einzigen Gelegenheiten, meine Ostschweizer Arbeitskollegen über meinen «richtigen» Dialekt belehren zu können.
Ein Chrüsimüsi im Kopf
Ich erinnere mich auch an eine Begegnung etwas früher in einem grossen schwedischen Möbelhaus, ebenfalls in der Ostschweiz. Ich verkaufte dort Köttbullar und Zimtschnecken – ein Nebenjob während der Ausbildung.
«Das macht bitte elf Frankä und 95 Rappä», sagte ich und streckte die Hand aus. Die Kundin, eine Dame mittleren Alters, schaute mich an. «Wohär chömed Si?», fragte sie überrascht. Mein Dialekt sei so «komisch». «Ähm …», antwortete ich etwas verwirrt, «was dänket de Si, woher ech ben?» «Bärn?», riet die Dame. «Falsch.» «Us em Wallis?», riet sie weiter. Da musste ich grinsen.
So töne ich also wirklich für meine Ostschweizer Mitbürger? Ob sie noch nie aus dem Säntisgebiet ausgereist sei, fragte ich mich insgeheim. Aber ich sagte nichts. Ich erlöste sie mit der richtigen Antwort auf ihr Geografierätsel. Ihre Antwort kam prompt: «Ah, das dönt für mich sowieso glich wie d’Zürcher», sie zahlte und stiefelte mit ihren Köttbullar davon. Ich sah ihr verdattert nach. Ich liess mir ja vieles gefallen in meinen zehn Jahren ausserhalb der Zentralschweizer Kantonsgrenzen. Aber eines muss ich wirklich festhalten: Lozärnerdütsch hat nichts mit der Zürischnorre zu tun. Rein gar nichts. Vielleicht hätte ich ihr besser das Dialektbuch weitergeschenkt.
«Hey, hallo!» – Ich werde unsanft aus meiner Tagträumerei respektive Dialekt-Wellnes-Kur geweckt. «Lappi, mach d’Auge uf und due des Zügs fertig scanne. Ech wet in Firobig.» – «Ok, sorry», murmle ich, zahle und gehe auf die Strasse hinaus. Wie schön man auf Lozärnerdütsch sogar beleidigen kann, denke ich und trete beseelt den Heimweg an.
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