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Erfahrungsbericht aus dem Pendlerwahnsinn

Von wegen Romantik: Willkommen in der Luzerner Postautohölle

Postautofahren ist zu einer Herausforderung für die Nerven geworden. (Bild: Wikimedia Commons/zentralplus/Rahel Röthlin)

Postautofahren ist in der Schweizer Kultur wohl genauso fest verankert wie Fondue oder das Raketenglacé. Doch während Letztere noch immer Spass machen, hat sich das beim Postautofahren geändert. Zumindest in Luzern. Ein Erlebnisbericht aus der Postautohölle.

«Tü-ta-to, Postautooo, fahrt i Dräck, ohni Späck!», tönt es in meinem Kopf, während ich ins Posti einsteige, das ab Bahnhof Luzern Richtung Verkehrshaus fährt.

Wie habe ich es früher geliebt, nach der Schule mit dem Postauto nach Hause zu fahren. Das schöne Luzerner Seeufer zu bestaunen, das Glitzern der Wellen des Vierwaldstättersees zu beobachten und Simple Plans «I’m just a Kid» auf dem iPod zu hören.

Ich mochte das «Posti-Fahren»: Tiefenentspannt sass ich da und liess mich bequem von Haustür zu Haustür chauffieren. Meistens auf meinem Lieblingsplatz, einem Zweiersitz, am Fenster, in der zweithintersten Reihe. Aber heute, heute blutet mein Postautoherz. Seit ich zurück in der Zentralschweiz bin, hat sich meine alte Liebe, der ÖV, verändert.

Vom Charme vergangener Tage

Heutzutage ist es nichts mehr mit romantischer Postautofahrt am Seeufer entlang. Beim Einsteigen drängen sich die Massen ins gelbe Gefährt, als stünde der Bahnhof abermals in Flammen. Pendler über Pendler. Meinen Lieblingssitz kann ich so oder so vergessen, da eine Rentnerausflugsgruppe sich zu anderen allem noch gegenseitig die Plätze freihält. In den Vierern sitzen breitbeinige Teenager am Handy, die Döner essen und nach Pubertät riechen.

Nachdem sich drei Hunde, ein Rennradfahrer mit seinem Göpel, zwei Rollatoren der Rentnerausflugsgruppe und ein Kinderwagen in die Aussparung mit dem Schild «Rollstuhlfahrer» gezwängt haben, stehe ich mitten im Gang – ohne Möglichkeit, mich irgendwo festzuhalten. Naja, vielleicht ist dies auch nicht nötig – ich stecke dermassen zwischen einer opulenten Frau mit rotem und einem Geschäftsmann mit grauem Mantel fest, dass ich gar nicht mehr umfallen kann.

Dass der Bus losfährt, merke ich am resignierten: «Bitte stönd Sie vo de Töre wäg», das durch die Lautsprecheranlage dröhnt. Dass wir gleich über die Seebrücke fahren, dass die Schiffe im Sonnenschein an- und ablegen und dass womöglich ein Schwan einem Chinesen, der ihn mit Brot füttern will, in den Finger beisst – all das bekomme ich nicht mit. Denn ich sehe trotz meiner Körpergrösse von stolzen 1,75 Meter die Fenster nicht.

Haltestelle «Alle sind genervt»

Es muss ungefähr auf Höhe des Casinos sein, als das Postauto langsamer wird und schliesslich stehen bleibt. Passend dazu fällt mir die ursprüngliche Variante des eingangs genannten Reims ein: «Tü-ta-to, Postauto, fahrt i Dräck, chunt nüm wäg». Ein Vers, der zwar aus der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts stammt, mir jedoch gerade sehr aktuell erscheint. Denn von Postauto fahren kann nicht mehr die Rede sein.

Seit ich von Luzern weggezogen bin, hat sich der ÖV verändert. Heute muss ich fix einen 15-Minuten-Puffer einberechnen für die Busfahrten in und um Luzern, wenn ich auf eine Anschlussverbindung angewiesen bin. Jetzt könnte man meinen, das Problem läge halt am Feierabendverkehr, wenn die Busse mitunter bis zu 50 Minuten Verspätung haben. Ich habe diese These getestet und muss leider festhalten: Nein, auch um 14.30 Uhr nachmittags oder um 10 Uhr morgens muss mit Verspätungen gerechnet werden.

Verspätung Postauto in Luzern.
«Unregelmässiger Betrieb»: Dieser Hinweis ist in Luzern auch ausserhalb der Stosszeiten zum Alltag geworden.

«Das war früher nie so!», pfutteret die «innere alte Frau» in meinem Kopf. Aber es stimmt halt wirklich: Ich pendelte während der Oberstufe und meiner anschliessenden Berufslehre jeden Tag durch die Stadt Luzern – von einem Ende zum anderen. Und die Busse waren stets pünktlich. Dass der ÖV in der Stadt und Agglomeration von Luzern plötzlich dermassen unzuverlässig ist, hat mich massiv erstaunt, als ich nach zehn Jahren in der Ostschweiz wieder in die Zentralschweiz zog. Auch hat es meiner Meinung nach viel mehr Passagiere im ÖV.

Auf der Überholspur der Verzweiflung

Was habe ich mich als Teenager während eines Sprachaufenthalts in Südengland lustig gemacht über das britische ÖV-System, bei dem man gar nicht erst die Abfahrtszeiten beachten musste, sondern einfach zu einem beliebigen Zeitpunkt an die Haltekante stand und hoffte, dass der Bus vor dem Regen kam.

Heute, so scheint es mir, ist es mit den ÖV-Linien hier nicht besser. Wir wurden «britannisiert»! Doch wenn dies so wäre, hätte ich bei Stau im ÖV auch bitte gerne eine Tasse Tee mit einem englischen Butterkeks dazu gereicht. Im Stehen, versteht sich. Vielleicht würde ich sogar der Dame im roten Mantel etwas davon abgeben. In herausfordernden Zeiten sollte man ja zusammenhalten.

Es knackt in den Lautsprechern – der Chauffeur meldet sich: «Es xet so us, alss das mier no lenger im Stau stönd. Werum, weiss ech ned. Wer wöt, cha jetzt usstiige und laufe, ech mache d’Türe uf.» Das finde ich sympathisch, aber für diesen Ticketpreis (6.80 Franken) bleibe ich trotzig stehen und hoffe auf ein Stauwunder. Im Schritttempo rollt die Kolonne weiter. Nach dem Verkehrshaus löst sich der Stau auf und der Chauffeur tritt auf das Gaspedal.

Ab jetzt geht es hektisch zu und her: Wer sich an der nächsten Haltestelle nicht schnell genug zur Türe hinausquetschen kann, hat halt Pech. Nun scheint das Credo zu sein: den Fahrplan aufzuholen. Mir soll's recht sein. Ich stecke sowieso immer noch fest wie eine Sardine in der Büchse.

Das ausführlichste Lied zum kultigen Postauto-Vers ist übrigens vielen unbekannt. Doch während das viel zu späte Posti an meiner Haltestelle endlich mit quietschenden Reifen anhält, fast einer Notbremsung gleich, tönt es durch meinen Kopf wie ein Stossgebet: «Tü-ta-to, ds Postauto, goht uf Reisli, zu dene Geissli, zu dene Gemsli, hoffentli hets gueti Bremsli.»

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Rahel Röthlin ist nahe der Stadt Luzern aufgewachsen. Doch das Schicksal wollte es, dass sie sich plötzlich in der Ostschweiz wiederfand. Dort hat sie zehn Jahre verbracht, bevor das Heimweh zu stark wurde. Wie es für sie ist, nach einem Jahrzehnt wieder zurück in der Heimat zu sein, schildert sie in ihrem Blog.
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