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Luzern wird grau – und nicht der Nebel ist schuld

Luzern ergraut. Aber anders als du denkst. (Bild: Adobe Stock/zentralplus)

Der Nebel gehört zu Luzern wie der Urknall zur Fasnacht. Tatsächlich ist unserer Autorin nach ihrer Rückkehr aus der Ostschweiz aufgefallen, dass Luzern ziemlich grau daherkommt. Der Grund ist aber ein anderer.

Ich habe mir vor Kurzem ein Spiel zum Zeitvertreib im ÖV ausgedacht: Bei jeder Fahrt zähle ich die Anzahl der silbergrauen Hinterköpfe meiner Mitfahrenden. Ziemlich oft ist diese Haarfarbe knapp in der Überzahl. Ein anderes Spiel ist das Zählen der Rollatoren vs. der Kinderwagen – an Bushaltestellen, am Bahnhof, in der Migros. Hier stelle ich fest: Die Rollatoren überwiegen.

Oder bilde ich mir das nur ein? Ist der Kanton Luzern in den vergangenen zehn Jahren dermassen gealtert, oder sehe ich vor lauter Rollatoren und silbernem Haarwuchs den Wald nicht mehr? Ein kurzer Blick in die Statistik gibt mir leider recht.

Alt, älter, am ältesten

Die in meiner Kindheit jüngste Gemeinde im Kanton Luzern – Adligenswil – ist ergraut. Während in den 90er-Jahren nur rund 4 Prozent der Adliger pensioniert waren, sind es heute ganze 24,4 Prozent. Somit hat sich Adligenswil bis ins Jahr 2023 zur drittältesten Gemeinde im gesamten Kanton gemausert.

Auf dem ersten Podestplatz der Überalterung liegt die direkte Nachbargemeinde: Meggen. Dort ist fast jeder dritte Einwohner über 65 Jahre alt – das macht mehr als 2100 Pensionierte auf insgesamt gut 7700 Megger. Kein Wunder, ist mir bei meiner Rückkehr in die Heimat vor einem Jahr fast als Erstes aufgefallen, wie stark sich das demografische Bild verändert hat. Es ist also keine seltsame Fixierung auf ältere Hinterköpfe, sondern vielmehr ein Fakt: Die über 65-Jährigen machen inzwischen die grösste Altersgruppe in vielen Gemeinden aus.

Unfreiwillige Gehhilfen

Logisch auch, dass sich die Kundschaft der Migros am Standort Würzenbach – zwischen den Gemeinden Meggen und Adligenswil – auffällig verändert hat. So gleicht sie inzwischen eher einem «Heim für Senioren» mit Einkaufsregalen als einer Migros-Filiale. Ich beobachte, wie Einkaufswagen kurzerhand zu Gehhilfen umfunktioniert werden. Fehlt nur noch, dass die Migros-Verkäufer ihre orangen T-Shirts gegen weisse Pflegerkittel eintauschen. Dasselbe gilt für die Hausarztpraxis aus meiner Jugendzeit, direkt an derselben Strasse. Altersschwächen aller Art werden dort nun am häufigsten behandelt.

Während ich diese Zeilen schreibe, unterstreicht im Hintergrund eine Youtube-Playlist namens «Happy Bach» – mit dem silberhaarig abgebildeten Musiker auf dem Thumbnail – die Dramatik der Situation. Ich muss daher kurz die Pausentaste drücken und an dieser Stelle festhalten, dass Pensionierte eine sehr geschätzte und oft unterschätzte Altersgruppe ist. Denn dies hier soll kein Alters-Bashing werden. Vielmehr bin ich der Meinung, dass die öffentlichen Strukturen und Dienstleistungen nicht im gleichen Tempo angepasst werden, wie die Bevölkerung überaltert. Und das halte ich für ein gefährliches Versäumnis – für alle Altersgruppen.

Die Alterspyramide steht kopf

Die Gemeinden, Kantonsregierungen und natürlich auch der Bund müssen endlich hinschauen: Die Alterspyramide ist nicht nur gekippt, sie steht kopf. Da hilft es auch nicht, wenn in einer gewissen Luzerner Gemeinde ein neues Altersheim gebaut wird, welches bereits kurz nach der Eröffnung eine kräftige Finanzspritze der öffentlichen Hand benötigt, da man sich im Pflegebedarf verrechnete. Ausserdem munkelt man im selben Dorf, dass einige Senioren sich grosse Sorgen machen, in den nächsten Jahren keinen Platz im dortigen Altersheim mehr zu bekommen – wegen der bereits hohen Belegung.

Natürlich gibt es inzwischen in Luzern auch spannende neue Projekte, die zeigen, dass das Miteinander der Generationen nicht nur möglich, sondern auch bereichernd ist. Vom Mehrgenerationenhaus bis hin zu Outdoor-Fitnessparks, die für Jung und Alt zugänglich sind – diese Ansätze zeigen, dass ein Umdenken machbar ist. Denn vielleicht sind die «silbernen Hinterköpfe» nicht nur ein Zeichen der Veränderung, sondern auch Anreger für eine Zukunft, in der Jung und Alt wieder mehr voneinander profitieren.

Gemeinsam statt einsam

Die Zeit ist ein Dieb. Auch ich habe heute Morgen schon wieder drei neue graue Haare auf meinem Kopf entdeckt. Und es sind nicht die ersten. Auch ich werde älter und werde irgendwann zu den Ü65ern in der Statistik zählen. Doch ich hoffe, dass der Anteil der Kinder, die dann in meiner Gemeinde wohnen, meine Altersgruppe zahlenmässig überragt. Die Zeit macht vor niemandem halt. Mir gibt die Überalterung der Bevölkerung zu denken. Um mich abzulenken, erfinde ich vielleicht einfach ein neues Spiel für den Zeitvertreib im ÖV.

Wie wäre es mit einer «ÖV-Flüsterpost»? Ich überlege mir ein völlig absurdes, aber harmloses Gerücht, wie zum Beispiel: «Ich habe gehört, dass im Bus eine Geheimgesellschaft von Senioren existiert, die heimlich Bingo spielt.» Dieses Gerücht murmle ich dann so halblaut vor mich hin und beobachte, ob es weiterzieht und dem einen oder anderen ein Schmunzeln ins Gesicht zaubert. Denn bei Humor spielt das Alter keine Rolle.

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Rahel Röthlin ist nahe der Stadt Luzern aufgewachsen. Doch das Schicksal wollte es, dass sie sich plötzlich in der Ostschweiz wiederfand. Dort hat sie zehn Jahre verbracht, bevor das Heimweh zu stark wurde. Wie es für sie ist, nach einem Jahrzehnt wieder zurück in der Heimat zu sein, schildert sie in ihrem Blog.
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