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Was der Ostschweizer Hausberg der Rigi voraus hat

Der Säntis ist besser als die Rigi – zumindest in einem Punkt

Der Säntis (rechts) hat der Rigi etwas voraus. (Bild: zentralplus)

Die Rigi und der Säntis. Beides wunderschöne Berge, die einem ein grossartiges Panorama bieten. Trotzdem gibt es zwischen den beiden Hausbergen einen sehr markanten Unterschied, der die Nerven ordentlich strapazieren kann. Und es ist nicht der Dialekt, der darauf gesprochen wird.

Was für die Zentralschweizer die Rigi ist, ist für die Ostschweizer der Säntis. Zum Sehnsuchtberg pilgert der Ostschweizer ab Herisau, von wo die Appenzeller Bahn fährt: ein schnittiges, rotes Zügli, welches munter durch das urchige Appenzell tuckert. Ein Anblick, der kein Wunsch eines Reisenden oder gar eines asiatischen Touristen offenbleiben lässt – könnte man meinen. Doch obwohl vor lauter Schweizer Idylle jederzeit Heidi und ihr Peter um die Ecke hüpfen könnten, sucht man grosse asiatische Touristenströme auf dem Weg zum Säntis vergebens. Am Fusse der Rigi jedoch zeigt sich heutzutage das gegenteilige Bild.

Appenzeller Bahn
Idyllisch geht's kaum. Die asiatischen Touristen sind trotzdem lieber in der Zentralschweiz. (Bild: Wikimedia Commons/Flipperst)

Das hatte ich anders im Kopf

Nach meinem Umzug zurück in die Zentralschweiz wollte ich die Rigi neu entdecken. Zusammen mit meiner Familie reise ich also an einem Donnerstagmittag nach Vitznau. Und plötzlich stehe ich mitten in einer koreanischen Reisegruppe, bestimmt 60 Personen stark, die ebenfalls auf die Zahnradbahn wartet. Der Führer der Touristengruppe fuchtelt wild mit einem blauen Fähnchen vor meiner Nase herum. Für die Reisegruppe ist extra ein eigenes Abteil reserviert, das aussen an der Bahn auf Koreanisch beschriftet ist.

Wie ich, wollten die Touristen wahrscheinlich raus aus dem zähen Nebel, der das gesamte Mittelland dieser Tage in einen grau-weiss-schwarzen Schleier hüllte. Etwas enttäuscht bin ich, als die moderne Zahnradbahn heranrollt – ich hatte noch die alte, offene Zahnradbahn in Erinnerung, bei der der Allerwerteste auf den harten Holzbänken so richtig schmerzte. Aber das gehörte halt zum Rigi-Erlebnis dazu. Irgendwie scheint mir damals in der Ostschweiz entgangen zu sein, dass die Rigi-Zahnradbahnen seit ein paar Jahren neues Rollmaterial haben.

Die Rigi Bahn
Heute kommt die Rigibahn etwas moderner daher als in meiner Erinnerung. (Bild: Adobe Stock)

Aber gut, ich freue mich trotzdem sehr auf die Rigi – denn dort sollte laut Webcam heute die Sonne scheinen. Leider war die Zahnradbahn aber so überfüllt, dass ich stehen musste. Hier zeigt sich klar der Unterschied zu der Zeit vor meiner Auswanderung in die Ostschweiz, also vor zehn Jahren. Damals gab es in meiner Erinnerung nur selten grosses Anstehen für die Rigibahn, geschweige denn grosse Touristenmassen. Es war definitiv ruhiger am Berg.

Dies unterstreichen auch eindrücklich die Zahlen: Während 2013 rund 607'000 Gäste die Rigibahnen benutzten, waren es im Jahr 2023 überwältigende 910'000 Besucher. Das ist eine prozentuale Steigerung von fast 50 Prozent! Etwas zerknirscht gucke ich auf die bequem sitzende Touristengruppe. Ich stehe inzwischen mit anderen Einheimischen und meinem Rucksack im Gang der überfüllten Zahnradbahn und versuche mich irgendwo festzuhalten.

Per Livestream auf die Rigi

Anders sieht meine Reise auf den Säntis aus. Ich strecke meine Füsse aus und stelle meinen Rucksack auf den Nachbarsitz – schliesslich habe ich ein ganzes Viererabteil für mich alleine. Im Zug der Appenzeller Bahnen Richtung Säntis kann man gut verweilen. Die Landschaft ist malerisch und aus den Lautsprechern tönt urchige Musik. Ich packe mein übliches Reise-Sandwich aus, das ich immer schon vor dem eigentlichen Ausflug verdrücke, und geniesse die Ruhe und den Komfort auf dem Weg in den Alpstein.

Zurück auf dem steilen Weg zur Rigi: Auch hier ist die Aussicht malerisch – nur sehe ich sie kaum. Sobald die mystischen Nebelschwaden sich lichten, drängen sich die Touristen an die Fenster. Sie drücken ihre Handys ans Glas, um jede Sekunde des Panoramas zu dokumentieren. Ich frage mich, wie viele Menschen soeben den Livestream des einen Koreaners zu Hause mitverfolgen.

Klar, ich muss zugeben: Das Panorama, das sich nach und nach auftut, ist mehr als spektakulär. Zuerst die zaghaften Strahlen der Wintersonne, die durch die verschneiten Tannen drücken, dann der Durchbruch des kristallblauen Himmels oberhalb von uns, und schliesslich der Blick zurück auf das riesige Nebelmeer unter uns. Weiter hinten sieht man die glitzernden und mit Eis und Schnee bedeckten Spitzen der Berge, die den Horizont rahmen. Es ist ein Genuss. Genau deshalb wollte ich auf die Rigi. Wie die vielen Touristen anscheinend auch. Es ist ihnen kaum zu verübeln.

Zwei Berge, zwei Welten

Vielleicht hat es deshalb viel weniger asiatische Touristen auf dem Säntis, weil die Anreise weniger bequem ist. Zuerst fährt man von St. Gallen mit der S-Bahn nach Herisau, dann steigt man in Urnäsch auf das Postauto um. Auf der Schwägalp angekommen, kann man dann noch die Schwebebahn auf den höchsten Punkt des Berges nehmen. Das Panorama ist aber wie auf der Rigi, auch hier wahnsinnsschön. Man hat bei klarer Sicht einen Blick auf sechs Länder: Schweiz, Deutschland, Österreich, Liechtenstein, Frankreich und Italien. Zum Vergleich: 2023 beförderte die Säntis-Schwebebahn rund 367'000 Passagiere, während die Rigi-Bahnen im selben Zeitraum 910'000 Passagiere zählten.

Vielleicht hatten die Appenzeller Glück, dass die 1875 geplante Idee, den Säntis mit einer «Säntisbahn» zu erschliessen, nie umgesetzt wurde. Während die Rigi mit Wellness-Angeboten, zum Teil einfachen Wanderungen, Entspannung und Romantik punktet, erwartet einen auf dem Säntis das Abenteuer der rauen Natur und hochalpines Feeling. Während ich auf das Schuhwerk der asiatischen Touristen schiele, das meist aus einfachen Halbschuhen ohne Profil besteht, denke ich: Vielleicht sind sie auf der Rigi tatsächlich besser aufgehoben.

Und wenn sie den Säntis doch noch gerne erleben möchten, können sie dies tun – zumindest aus der Ferne. Bei klarer Sicht reicht der Blick von der Rigi nämlich bis hinüber zum Säntis.

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Rahel Röthlin ist nahe der Stadt Luzern aufgewachsen. Doch das Schicksal wollte es, dass sie sich plötzlich in der Ostschweiz wiederfand. Dort hat sie zehn Jahre verbracht, bevor das Heimweh zu stark wurde. Wie es für sie ist, nach einem Jahrzehnt wieder zurück in der Heimat zu sein, schildert sie in ihrem Blog.
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