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Filme meiner Jugend

Wie ein besetzter Staat das «Märchenland» eroberte

(Bild: Richard F. Estermann)

Wenn ein Staat von einer fremden Nation besetzt wird, ist das ganze Volk betroffen. So war es auch in der ehemaligen Tschechoslowakei. Besonders hart traf es die Filmindustrie.

Die Genossen der Filmindustrie in meiner ehemaligen Heimat, der Tschechoslowakei (CSSR), hatten damals ein Problem: Systemkritische Filme waren von der Regierung verpönt. Ausgenommen waren Filme über die tapfere Arbeiterklasse, über die Heldentaten der russischen Armee im Zweiten Weltkrieg oder Berichte über die Erfolge des Sozialismus im Ostblock. Dokumentarfilme mit einem wahren geschichtlichen Hintergrund waren unerwünscht.

«Die Genossinnen und Genossen des vereinigten landwirtschaftlichen Betriebes in Sered haben ihren Plan für dieses Jahr zu 150 Prozent erfüllt!» So oder ähnlich lauteten die Nachrichten in der Tagesschau. Das Land war noch erfolgreich, friedlich und alle hatten ihr Soll erfüllt. Doch es kriselte schon mächtig im damaligen Ostblock, als ich noch ein Teenager war. Das war ein offenes Geheimnis des arbeitenden Proletariats. Nur die oberen zehntausend und die Parteibonzen spürten nichts davon. Wie sollten sie auch? Sie wohnten abseits des normalen Volkes, lebten in einer eigenen Welt und waren mit sich zufrieden…

Aus der Not wird eine Tugend

Die Filmindustrie hatte es deshalb nicht leicht, denn ihre Tätigkeit war durch diese Situation stark eingeschränkt. Einige Regisseure emigrierten in die USA, andere wurden später weltberühmt, wie etwa der zweifache «Oscar»-Gewinner Milos Forman («Einer flog über das Kuckucksnest» / «Amadeus») oder Karel Zeman («Krabat»). Wer in der CSSR bleiben und Filme produzieren wollte, hatte im Prinzip nur ein Genre zur Verfügung: Komödien und Märchen. Da konnte sich die Filmindustrie so richtig austoben. Mit viel Engagement und Liebe wurden im Laufe der Zeit in diesem Sektor Weltklassefilme produziert!

Eine Klasse für sich war der Regisseur Vaclav Vorlicek. Wer kennt nicht sein Meisterwerk «Drei Haselnüsse für Aschenbrödel», mit der stimmungsvollen Musik von Karel Svoboda. Aber auch «Prinz und Abendstern», «Wie man Dornröschen wachküsst» oder «Die Märchenbraut», sind Kreationen des gleichen Regisseurs. Die schauspielerischen Leistungen und die tollen Kostüme waren und sind immer noch einsame Spitze – auch hier im Westen! Sie sind in ganz Europa ein Dauerbrenner. Weihnachten ohne das beliebte «Aschenbrödel» kann man sich kaum vorstellen. Auch «Das Mädchen auf dem Besenstiel» ist ein Werk von Vaclav Vorlicek.  Die Junghexe «Saxana» konnte im Film hervorragend auf einem Besen reiten und hatte auch sonst so einige Tricks auf Lager…

Mehr als sehenswert waren auch die Serie «Pan Tau» oder der Film: «Wie soll man Dr. Mracek ertränken? Das Ende der Wassermänner in Böhmen». Dieser Film bringt gute Laune – auch denjenigen, die nicht wissen, dass es früher tatsächlich Wassermänner in Böhmen gab… Eher etwas zum Nachdenken war der Film «Gevatter Tod», produziert 1960.

Schwarz-Weiss-TV: Platz für Fantasie

Über die Weihnachtstage, damals in meiner Jugendzeit, sassen wir oft vor dem schwarz-weiss Fernseher und liessen unserer Fantasie freien Lauf. Das Gerät hatte seine Macken und produzierte ab und zu einen Bildlauf. Doch wir fragten uns damals: Welche Farbe hat wohl die Schleppe der Prinzessin oder das Kleid der Königin? Welche Farbe haben wohl die Augen des gut aussehenden Prinzen? Solche Fragen stellen sich heute im «Farbfernseh-Zeitalter» leider nicht mehr…

Obwohl die meisten dieser Filme jedes Jahr wieder über den Bildschirm flimmerten, wurde mir nie langweilig. Neben dem Weihnachtsbaum, der Mitternachtsmesse, den vielen Familienbesuchen und dem feinen Duft der Festtagsspeisen gehörten die Fernsehklassiker einfach dazu.

Leiden mit den Helden

Wenn ich aber die heutigen Filmproduktionen für Kinder ansehe, bin ich froh, dass ich kein Kind mehr bin. Wir hatten noch mit den guten Helden gelitten, uns gefürchtet oder gefreut. Das Böse war da, aber es wurde stets mit einer Fee oder einer guten Hexe im Zaun gehalten. Notfalls kam ein Zauberer zu Hilfe. Heute werden viele Kinder mit Trickfilmen über einäugige Monster mit zwei Zähnen grossgezogen. Sie müssen mit ihnen irgendwie erwachsen werden. Leider ist keine gute Fee dabei, die sie bei Gefahr beschützt, wie das damals bei uns noch der Fall war…

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Die Luzerner Nationalrätin schlägt eine Brücke aus ihrem früheren Leben in der Tschechoslowakei und ihrem heutigen Leben. Dabei gibt Yvette Estermann Einblicke in das Leben hinter dem «Eisernen Vorhang». Dass es dabei auch mal politisch wird, verspricht sich von selbst. Ihre Meinung muss nicht mit derjenigen der Redaktion übereinstimmen.
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