Sport
Blog
Trainingslager: Wo man sich und sein Team besser kennenlernt

Durch den Sport die Welt verstehen

Sieben Kanuten, sieben Persönlichkeiten: Da kann es im Trainingslager trotz toller Kulisse schon auch einmal zu schwierigen Situationen kommen. (Bild: zvg)

Sieben Wochen Trainingslager, sieben Athleten, unendlich viele verschiedene Bedürfnisse und doch ein Team. Wie geht das? Über das gesellschaftliche Auf und Ab im Trainingslager und was er daraus mitnimmt, schreibt der Luzerner Kanute Linus Bolzern.

Donnerstagabend. Krisensitzung. Schon nach eineinhalb Wochen müssen wir ernsthaft miteinander reden, weil Unmut im Team herrscht. Ein Zurück gibt es nicht. Wir sind in Florida im Trainingslager und das schöne, heile Zuhause ist tausende Kilometer entfernt. Für die kommenden fünf Wochen werden wir noch zusammen in einem Haus leben und uns über den Weg laufen. Damit es nicht zu viele Zusammenstösse gibt, muss einiges geregelt werden. Doch zuerst mal ganz von vorne.

Jedes Jahr nach Florida

Im Kanusport ist es wichtig, auch im Winter viele Paddelkilometer auf dem Wasser zu machen, damit man das Gefühl fürs Boot nicht verliert und seine Ausdauer trainiert. Wie in den letzten Jahren fahren wir nach Florida ins Trainingslager, um dem kalten Wasser zu entfliehen. Wir mieten jeweils ein Ferienhaus direkt an einem der vielen Kanäle Cape Corals, um von dort aus direkt ins Boot steigen zu können. Kochen und putzen tun wir selbst. Ein Mietauto bringt uns wohin wir müssen. Boote mieten wir ebenfalls.

Ausser zum Training, Einkaufen und für Ausflüge an den freien Tagen kommt man nicht wirklich vom Haus weg und bewegt sich für zwei Monate grösstenteils auf denselben paar Quadratmetern. Wirklich viel zu tun gibt es im eher trägen Florida auch nicht, ausser zu trainieren selbstverständlich.

Sieben unterschiedliche Persönlichkeiten

Unser Team besteht aus sieben Athleten und einem Coach. Alles verschiedene Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Vorlieben und Bedürfnissen und vor allem hat jeder seine eigenen Vorstellungen, wie ein Haushalt zu führen ist. Das ist einerseits sehr spannend, bietet aber auch ein schönes Mass an Konfliktpotenzial.

Durch diesen Mischmasch von verschiedenen Menschen erlebt man hautnah, wie unterschiedlich Menschen denken, handeln und wahrscheinlich auch erzogen wurden. Klar, meine Teamkameraden sind mir nicht fremd, ich mag sie sehr, doch sie sind auch nicht meine engsten Freunde, mit denen ich mich blind verstehe. Wenn nun also verschiedene Meinungen aufeinandertreffen, muss man sich irgendwie arrangieren können.

Drei Stufen der Müdigkeit

Man könnte jetzt anbringen, dass es doch zum Alltag gehört, sich mit anderen Menschen und deren Bedürfnissen herumschlagen zu müssen, doch im Trainingslager ist das aber nochmal etwas anderes. Durch das Training ist man müde und daher grundsätzlich anfälliger für Streitereien.

Unsere Erfahrung zeigt, dass Müdigkeit in drei Stufen eingeteilt werden kann. In der ersten Stufe findet man alles witzig, auch wenn es das gar nicht unbedingt ist, und neigt dazu, Blödsinn anzustellen. Auf Stufe zwei schlägt das Gemüt um und man ist gereizt und hässig auf alles und jeden. Auf der dritten Stufe schliesslich ist man so müde, dass man alles über sich ergehen lässt, ob es einem nun gefällt oder nicht.

Wenn diese Stufen ungünstig aufeinandertreffen, mein Partner beispielsweise auf Stufe eins ist und ich bereits auf Stufe zwei, ist die Stimmung im Eimer. Weglaufen kann man dann nicht, denn man lebt nun einmal zusammen im selben Haus für die Zeit des Trainingslagers.

Besseres Verständnis über das Zusammenleben

Lösungen müssen her! Es kann nicht sein, dass jeder nur seinen Bedürfnissen nachjagt und sich durch das Trainingslager kämpfen muss. Um das zu verhindern, braucht es Teambesprechungen. Jeder soll seine Anliegen den anderen präsentieren dürfen und zur Diskussion bringen. Manchmal muss man auch nur etwas heisse Luft rauslassen und danach lebt es sich schon wieder viel angenehmer.

Solche Meetings sind wichtig und sind sicher etwas, das ich von meinem Sportlerleben mitnehmen werde. Nicht immer wird bei diesen Besprechungen beschlossen, was einem am besten passt. Doch so lernt man, seine Interessen auch mal zurückzustecken und sich zum Wohl der Gemeinschaft unterzuordnen. Durch diese besondere Konstellation von Menschen und äusseren Umständen lerne ich viel darüber, wie sich Menschen in einer Gemeinschaft verhalten. Und ich erlange dadurch vielleicht sogar auch ein besseres Verständnis der Demokratie oder wie sie sein sollte.

Natürlich lerne ich auch viel über mich selbst und wie ich mich in bestimmten Situationen verhalte (oder mich besser nicht verhalten würde). Das finde ich sehr spannend. Diese Erfahrungen möchte ich nicht missen und bin dankbar, sie als Teil meines Sportlerlebens machen zu dürfen. Auf viele weitere schöne Trainingslager!

Themen
Sport
Blog
Spitzensportler schreiben über ihr Leben. Mario Gyr (Rudern), Petra Lustenberger (Schiesssport), der Ringer Samuel Scherrer, Snowboarder Dario Burch, Ueli Schnider (Langlauf) und andere erzählen aus ihrem Alltag an Wettkämpfen und was der Sport für sie persönlich bedeutet.
Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


1 Kommentar
  • Profilfoto von Fietsenwinkel Pedaalslag
    Fietsenwinkel Pedaalslag, 14.03.2020, 17:04 Uhr

    Das ist ser güt

    👍0Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎0Daumen runter
Apple Store IconGoogle Play Store Icon