Konsum in Marokko: Hauptsache, es ist billig!
Lebensmittel sind in Marokko billig: Das Kilo Tomaten 2 Dirhams (20 Rappen), das Brot 1.50 Dirhams (15 Rappen). Doch wenn es um das qualitativ Hochwertige geht, muss man verhältnismässig tief ins Portemonnaie greifen – und hartnäckig sein. Wieso, schreibt Sarah Bischof in ihrem Marokko-Blog.
Kaufst du etwas, geht es in Marokko – und nicht nur hier – hauptsächlich darum, das Billigste zu finden. So tickt die Mehrheit. Stolz erzählt man sich gegenseitig, wie man den Preis für das T-Shirt, das Auto oder den Secondhand-Teller drücken konnte. Im Laden, auf dem Markt oder unter der Hand, man hört die eine Frage an jeder Ecke: «Jääääh, kannst du uns nicht einen kleinen Preis machen?» Das sogenannte «Määrte» gehört in Marokko dazu.
Auch in Marokko gibt es Einheimischen- und Touristenpreise
Es steckt in den Genen, denn die Marokkaner sind Händler. Fast jeder hat irgendwo noch irgendein Geschäft am Laufen – sei es traditionell auf dem Markt, unter Freunden E-Zigaretten oder Surfklamotten zu verticken, Wohnungen zu vermieten oder aber aus Europa importierte Elektrowaren und Kleider zu verkaufen.
Von meinen Indienreisen bin ich es gewohnt, dass sich das meiste auf die Hälfte des Erstgebots des Verkäufers runterhandeln lässt, nicht aber in Marokko. Ein bisschen markten lässt sich, aber nicht allzu viel. Und klar gibt es auch hier die Einheimischen- und die Touristenpreise.
Auch wenn Brot, Tomaten oder eine Tajine mit Getränk im Restaurant billig sind, für vieles muss man auch in Marokko tief ins Portemonnaie greifen – besonders bei Importwaren, offiziellen Bewilligungen und Qualitätswaren.
Dennoch: Es ist ein Wettbewerb um den billigsten Preis. Viele Gespräche auf der Strasse drehen sich darum, wo man nun was am billigsten kriegt. Und jeder hat eine Meinung dazu und jeder scheint es genau zu wissen. Ob das «Schnäppchen» dann auch eine lange Lebensdauer hat, ist egal. Der Moment zählt.
Geduldsprobe für Qualität
Tanzt du aus der Reihe und willst eben nicht das Billigste, sondern das qualitativ Beste, wird es unter Umständen ganz schön anstrengend. Letzthin haben wir für unseren Umbau Farbe bestellt. Wir haben dem Händler exakt die Malfarbe genannt, die wir wollten, und ausdrücklich betont: die beste. Insgesamt fünf (!!!) Mal ist er mit der falschen Farbe angetrabt.
Erst meinte er: «Ja, aber das ist die billige …», wir: «Das ist uns egal. Wir wollen die beste.» Beim nächsten Versuch: «Die geht auch, die ist nur ein bisschen anders …!», wir: «Danke, wir möchten aber die andere …!» Und so weiter.
Man muss beharrlich sein, um das zu kriegen, was man will. Oft genug haben wir uns vom Billigargument überzeugen lassen oder hatten schlicht und einfach nicht die Nerven, noch länger zu warten, und haben notgedrungen dann das gebrachte Teil genommen.
Leider! Im Nachhinein haben wir es bereut. Das billige Stück Holz als Besenstab bricht nach ein paar Tagen, die Farbe der günstige Porzellanteller splittert ab, der Schlüsselanhänger mit der Hand der Fatima verliert seine Zottel schon nach einem Tag … um nur einige Beispiele zu nennen. Zurück zu unserem Fall mit der Farbe: Den gewünschten Kübel haben wir dann doch noch erhalten – nach einem Tag des Wartens.
240 Franken Mindestlohn
Viele Verkäufer können es nicht glauben, dass einem Qualität wichtiger als der Geldbeutel ist. Doch: Was bringt es mir, wenn ich nur ein paar marokkanische Dirhams ausgebe, die Farbe dann aber gleich wieder abblättert? Auf der anderen Seite ist es verständlich, dass man nach dem Billigen sucht, wenn der staatliche Mindestlohn lediglich um die 240 Franken im Monat beträgt.
Zwar sind die Lebenshaltungskosten in Marokko massiv günstiger, da die meisten Familien etwa in Dörfern ihre eigenen Häuser besitzen, wo der ganze Clan wohnt. Dadurch entfallen Mietkosten, gekocht wird zu Hause und staatliche Verpflichtungen wie die teure Krankenkasse in der Schweiz existieren nicht. Und dennoch: 240 Franken pro Monat sind unglaublich wenig, will man nicht nur von Tajine und Brot leben und sich auch mal etwas leisten oder sogar mal verreisen.
Assoziation billig
Das Paradoxe: Auch im Westen, bei uns, steht man auf Billiges. Denn dort wird Marokko mit Wüste, Tee, Kamelen, aber auch billigen Preisen assoziiert. Diesem Vorurteil begegnen mein Partner und ich bei unserer Schuhproduktion.
Wir lassen im Anti-Atlas-Gebirge wunderschöne, einzigartige Lederschuhe fertigen, wobei wir auf Qualität und faire Bezahlung achten. Es sind Einzelstücke, die von Hand gefertigt sind – nicht wie die billigen Kopien auf dem Markt, die innen mit Karton statt Leder ausgestattet sind und bei denen das Leder für den Schuh von der billigsten Lederschicht stammt.
Und: Qualität hat eben seinen Preis. Touristen aber sind sich die günstigen Preise vom Markt gewöhnt – dass besagte Kopie auf dem Markt nur 10 Franken kostet, interessiert sie. Dass das Paar Schuhe aber nach Kurzem bereits auseinanderfällt, interessiert die Touristen in dem Moment nicht. Eben, der Moment zählt.