Pony Hü: Kulturschock in Marokko
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Weit und breit nur Sand und Strand

Genug gechillt: Hilfe, ich habe nichts zu tun!

Yoga am Strand

Zum Reisen ist Marokko wundervoll. Die satten Farben, der atemberaubende Sternenhimmel und die reichen Düfte der Gewürzberge. Abgesehen vom hektischen Treiben in den Medinas merkt man bald, dass in Marokko die Uhr anders tickt. Viel langsamer. Sarah Bischof darüber, wie es ist, wenn man sprichwörtlich nichts zu tun hat.

Es tut gut, mal einfach nichts zu tun. Nichts mit Leistung Verbundenes, keine grosse Anstrengung, mal einfach im Moment sein. Den Wellen zuschauen, wie sie sich vom Ende des Horizonts ganz sanft nähern, sich aufgipfeln, überschlagen und mit donnernder Gewalt Richtung Ufer vorpreschen. Die Düfte des Ortes einatmen. Eine Mischung aus kochender Tajine – dem bekannten Lehmtopf, in welchem die Marokkaner fast alles kochen –, salzigem Meeresduft und manchmal brennendem Abfall.

Die Sonne und die leichte Brise auf der Haut spüren. Die Mischung aus Kreuzkümmel, Kurkuma, Paprika, Olivenöl, Salz, Pfeffer und verkochtem Gemüse im Gaumen fühlen. Nach den Jahren voller Arbeit, Projekten und Zielen, später dem verbrauchenden Partylifestyle, einmal bei mir selber ankommen und mich spüren.

In der Einöde gestrandet

Dazu eignet sich das traditionelle marokkanische Dorf, in welches es mich verschlagen hatte, perfekt. In dem Berberdorf, in der Nähe von Agadir, gibt es ausser surfen nicht sonderlich viel zu tun. Es gibt gerade mal ein paar Shops, die das verkaufen, was man für das tägliche Leben braucht, zwei Metzger, eine Charcuterie, drei Surfshops und einen Shaper, zwei Coiffeurs, ein paar Läden mit Plastiksachen, zwei Apotheken, drei Moscheen, einige Essecken, einen Campingplatz, Cafés mit Plastikstühlen, wo nur Männer sitzen, zwei Hamams, eine Geldwechselstube, einen Autoverleih, einen Eisenwarenhändler sowie zig Surfcamps und Hostels.

Die Region ist bekannt für ihre Surfspots, Arganbäume und ein nicht ganz einfaches Berbervolk. Auch tat es mir gut, niemanden – ausser meinem Partner natürlich – zu kennen und keine Verpflichtungen zu haben.

«Nette Cafés oder Kino? Fehlanzeige!»

Agadir selbst hat kulturell wenig zu bieten. Ein paar klotzartige Nachtclubs mit schrecklicher Musik. Nach all den musikalischen Höhenflügen meiner artistischen Freunde in Zürich oder Berlin verdreht es mir hier schon nur beim Vorbeigehen den Gehörgang. Nette Cafés, spannende Museen, Workshops oder Kino? Fehlanzeige!

Auch hat die Stadt nicht den Charme von Essaouira oder Marrakesch. Die «Flaniermeile» in der Marina lädt nicht wirklich zum Verweilen ein. Dafür ist vor allem ein Erdbeben von 1960 verantwortlich. Bei der schwersten Naturkatastrophe in der Geschichte Marokkos wurde die Hafenstadt fast vollständig zerstört. Auch liegt es aber an der Kreativlosigkeit der Soussis, des Teils des Berbervolks, das an der marokkanischen Küste lebt. Unter den Marokkanern wird gesagt, dass sie die Schönheit der Berberkultur durch ihre Gier nach Geld verloren haben.

100 Mal «auf die Nase» gefallen

Sand und Strand – schier endlos. Dafür keine Ablenkung. Das war meine Win-Situation zu Beginn. Doch irgendwann hatte ich genug gechillt. Da kam es mir gerade recht, dass Marokko einen notgedrungen zur Erfinderin macht. Denn viele Sachen, die ich mir von zu Hause gewohnt bin, gibt es hier nicht. Oder Dinge, die in der Schweiz ein ganz klares Prozedere haben, funktionieren hier nicht. Ständig muss man Lösungen finden, um zum Ziel zu kommen. Das klingt spannend, kann aber auch haarsträubend sein.

In der Schweiz würde ich schnell in einen Laden gehen oder einen Freund oder eine Freundin um Rat fragen. In Marokko aber gibt es A) vieles erst gar nicht zu haben. Respektive man verbringt erst Stunden, wenn nicht Tage, um zum Beispiel die gute Farbe für das Streichen einer Wand zu finden. Vielleicht findet man schnell Farbe, auch wird behauptet, es sei die gute – aber das Gegenteil ist meist der Fall. Und ich hasse schlechte Qualität. Was bringt es mir, wenn etwas billig ist, aber ich es dann auch gleich wieder ersetzen muss?

«Es kam mir wie eine Lüge an meine eigene Überzeugung vor.»

Und B) gibt es auf viele Fragen gar keine Antwort. Zwar tut jeder wissend, doch nachdem man 100 oder 200 Mal «auf die Nase gefallen» ist, beginnt man auch als Optimistin, mal lieber im Internet zu forschen, anstatt die Einheimischen zu fragen. Denn ja, jeder hat eine Meinung oder kennt jemanden, der es angeblich «weiss». Doch meist entpuppt sich das Ganze als Hochstapelei.

Um etwas zu machen, begann ich, in Surfcamps Yoga zu unterrichten. Doch der reine Fokus der Surfkunden auf das Äusserliche, das Stretching und die damit geforderten sehr athletischen Stunden stimmte nicht mit meiner Sichtweise von Yoga überein. Yoga ist viel mehr als Asana, die körperliche Praxis. Es kam mir wie eine Lüge an meiner eigenen Überzeugung vor.

Auch war ich müde von den immer und immer wiederkehrenden Touristenfragen wie: «Wieso bist du hier? Was machst du hier? Wie hast du deinen Freund getroffen?» Schon wurde es mir wieder zu viel oberflächliche Interaktion. Dann habe ich mich lieber wieder isoliert. So, wie es die meisten Marokkanerinnen machen. Doch für wie lange? Darüber im nächsten Blog mehr …

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Sarah Bischof hat sich ursprünglich durch ihren Videoblog «Pony Hü» einen Namen gemacht – aufgefallen ist die freischaffende Journalistin und Moderatorin aber nicht zuletzt auch durch ihre blauen Haare (Lesen Sie dazu «Ich nehm mal kurz den Globus mit» ). Inzwischen hat es die Luzernerin nach Marokko verschlagen, wo Sie ihren Traum von...
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