Pony Hü: Kulturschock in Marokko
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Wie ich wegen Banenkisten den Flieger verpasste

Die Marokkaner haben Zeit, wir haben die Uhren

(Bild: zvg. Sarah Bischof)

Die Schweiz hat die Uhren, Marokko die Zeit – etwa so könnte man einen der wohl grössten Unterschiede zwischen den beiden Kulturen beschreiben. Wieso sie nur Falten bekommen würde, würde sie sich über die marokkanische Unpünktlichkeit ärgern, schreibt Sarah Bischof in ihrem neusten Blog aus Marokko.

Bumm Bumm Bummm! 07.30 Uhr morgens. Ich werde durch ein lautes Klopfen aufgeweckt. Das Geräusch des Teppichklopfens der Nachbarin. Bei meinen bisherigen Wohnorten in der Schweiz waren es eher die vorbeirasenden Autos, Trams und Züge, das morgens um sieben startende Hämmern auf der Baustelle vis-à-vis oder das Klacksen der High Heels der Nachbarin im oberen Stock, die mich aus dem Schlaf gerissen haben.

Unterschiedliche Länder, unterschiedliche Geräusche. Eine lärmende Baustelle morgens um sieben finde ich in Marokko kaum – abgesehen von Grossprojekten, wo internationale Investoren einen 24-Stunden-Betrieb finanzieren. Fakt ist, wenn ein Arbeiter um 09.00 Uhr auftaucht, muss man sich kneifen, um zu realisieren, dass dies nicht geträumt ist.

Plus eine Stunde

Grundsätzlich gilt: Rechne für die vereinbarte Zeit mindestens eine Stunde dazu. Ausser bei Taxifahrern in Tourismusregionen, die sich der Bedeutung von Pünktlichkeit meist bewusst sind. Wobei: Auch in ihrem Taxi ist man vor dem Verpassen seines Fliegers nicht zu 100 Prozent geschützt. Denn: Überall warten versteckte Missionen und einige Dirhams Zusatzverdienst. Einmal hatte mein Taxifahrer unterwegs so «Wichtiges» zu erledigen: Bananenkisten abholen oder Zigaretten kaufen.

Als er bemerkte, wie spät er dran war, formten sich auf seiner Stirn Schweissperlen. In der Hitze des Gefechts verfuhr er sich schliesslich noch beim Stadteingang von Marrakech, weil er eine Kolonne umfahren wollte. Und so geschah es: Ich stand fünf Minuten nach Gepäckschluss am Schalter und der Flieger hob ohne mich ab. Ich konnte ein neues Ticket lösen, während der Taxifahrer genüsslich Bananen mampfend mit dem Auto die Heimreise antrat.

«Ich bin gleich da …!»

Pünktlichkeit ist nicht die Stärke von Marokkanern. Bestimmt gibt es Ausnahmen. Mein Partner gehört dazu: Er versucht stets pünktlich zu sein, um dann von den anderen wieder warten gelassen zu werden. Oft endet das dann für uns beide im Streit. Ich habe das Gefühl, dass er für alles und jedes gefühlte Ewigkeiten braucht. Dabei tat er meist nichts anderes als – warten! Ruft man den an, den man treffen sollte, heisst es: «Ich bin gleich da …!»

«Man bestellt den Arbeiter gezielt eine Stunde früher.»

Wenn man nach einer Stunde noch immer Däumchen dreht, ist das nichts Aussergewöhnliches. Macht man sich dann auf zum «Abgang», ist es meist genau dann, wenn er tatsächlich eintreffen würde. Verzwickt! So wird man ungewollt zum Warten verdonnert … oder aber man bestellt den Arbeiter gezielt eine Stunde früher als auf den offiziellen Arbeitsbeginn. Zudem sind viele Arbeiter gar nicht motorisiert, man muss sie rumchauffieren. Mit dem Bus und vielen Verlockungen und Ablenkungen auf dem Weg hätten sie Ewigkeiten.

Mentalität versus Schweizer Uhren

Vergleiche ich mit meinem Leben in der Schweiz, ist in Marokko alles sehr ineffizient. Man verliert Minuten, Stunden, Tage – so wie wir das bei unserem nachhaltigen Projekt Hakuna Matata seit mehr als einem Jahr erleben. Wenn ich jemandem aus der Schweiz davon erzähle, höre ich meist die gleiche Antwort: «Dann musst du Arbeiter eben mehr pushen, dann geht das schon.» Kommt diese Person dann nach Marokko, merkt sie: Diese Antwort ist keine Lösung. Es läuft wirklich so und viel daran ändern kann man nicht. Ja, man kann den Arbeiter früher bestellen. Ja, man kann mehr kontrollieren. Trotzdem, gegenüber einigem ist man einfach machtlos: Es sind die Mentalität und die Kultur, die den Takt vorgeben, nicht die Schweizer Uhren.

Die Marokkaner haben Zeit, wir haben die Uhren. Anfangs habe ich mich über diese Unpünktlichkeit aufgeregt. Doch man kann nur seine eigene Herangehensweise ändern. Das Beste ist, jeden Tag so zu nehmen, wie er kommt. Ärger gibt nur graue Haare und Falten. Marokko bietet täglich neue Überraschungen. Es ist hier schwierig, etwas innerhalb einer Frist zustande zu bringen. Auch wenn man lernt, dies immer lockerer zu nehmen, gibt es doch Tage, da möchte man am liebsten heulen. Tage, an denen man gerne das Geräusch des Teppichklopfens von «Bumm Bumm» in ein «Tick Tack» transformieren würde.

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Sarah Bischof hat sich ursprünglich durch ihren Videoblog «Pony Hü» einen Namen gemacht – aufgefallen ist die freischaffende Journalistin und Moderatorin aber nicht zuletzt auch durch ihre blauen Haare (Lesen Sie dazu «Ich nehm mal kurz den Globus mit» ). Inzwischen hat es die Luzernerin nach Marokko verschlagen, wo Sie ihren Traum von...
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