Macht um jeden Preis
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Unser Blogger Manuel Gautschi berichtet in den nächsten drei Monaten von seinen Erlebnissen in Nairobi.
(Bild: Manuel Gautschi )Die Präsidentschaftswahl in Kenia war ein grosses und teures Politspektakel. Viele Vorurteile zum Umgang mit Demokratie in Afrika scheinen sich zu bestätigen: Einflussreiche Netzwerke halten sich mit allen Mitteln an der Macht, schrecken nicht vor Drohungen und Gewalt zurück, und ihre Eigeninteressen werden über die Bedürfnisse der Bevölkerung gestellt. Trifft dieses Bild wirklich zu?
Anfang September ereignete sich in Kenia Historisches: Das höchste Gericht annullierte die Präsidentschaftswahl aus Verfahrensgründen und ordnete eine Wiederholung an. Im Zentrum der Kritik stand die Wahlkommission, welche für die Durchführung der Wahl verantwortlich war. Ausländische Regierungen, Diplomaten, internationale Organisationen und Medien priesen die kenianische Rechtsstaatlichkeit. Der Mut des obersten Richters David Maraga wurde gelobt. Er gab einer Beschwerde der Opposition um deren Anführer Raila Odinga statt, welche Ungereimtheiten bei der Durchführung der Wahl reklamierte. Eine besonders schlechte Figur machten dabei ausgerechnet die internationalen Wahlbeobachter, die die Wahl zuvor als frei und fair bezeichnet hatten.
Rund drei Wochen vor der Wiederholung der Wahl kündigte Odinga überraschend den Rückzug seiner Kandidatur an. Gleichzeitig rief der Oppositionsführer seine Anhänger dazu auf, die Wahl zu boykottieren. Damit stand der Sieg des bisherigen Präsidenten Uhuru Kenyatta so gut wie fest. Kenia aber schlitterte in eine politische Krise. Bis unmittelbar vor dem effektiven Wahltag war unklar, ob die Wahl überhaupt durchgeführt oder noch einmal verschoben würde. Odinga rief zu täglichen Kundgebungen auf, was in der Bevölkerung zu einer grossen Unsicherheit führte. Die Verwaltung reagierte darauf mit einem Verbot sämtlicher Demonstrationen gegen die Wahlwiederholung durch die Opposition in den Städten Kisumu, Mombasa und Nairobi.
Ein richtiger Wahlkrimi
Die nächste Überraschung folgte eine Woche später, als ein Mitglied der Wahlkommission das Land fluchtartig Richtung New York verliess. Roselyn Akombe, eine ehemalige UNO-Abgeordnete, sagte in einem Interview der BBC, sie fürchte um ihr Leben. Akombe fügte an, dass freie und faire Wahlen Ende Oktober nicht möglich seien. Dank der massiven, von der Regierung angeordneten Polizeipräsenz blieb es in den Städten vergleichsweise ruhig. Die Nervosität in der Bevölkerung erhöhte sich derweil spürbar. Befürchtungen wurden geäussert, es könnte wie nach der Präsidentschaftswahl 2007 zu Auseinandersetzungen zwischen Ethnien kommen. Damals wurden bei Unruhen unmittelbar nach Bekanntgabe der Wahlresultate in Kenia schätzungsweise 1’500 Menschen getötet. Über eine halbe Million Menschen mussten vor den aufflammenden Konflikten fliehen.
Im letzten Moment – am Vortag der geplanten Wahl – wollte das höchste Gericht noch einmal eine Beschwerde gegen die Wiederholung anhören und berief eine Sitzung ein, um eventuell doch noch faire und freie Wahlen zu ermöglichen. Die Regierung aber versuchte gemäss unbestätigten Berichten, die Anhörung mit der kurzfristigen Erklärung eines zusätzlichen nationalen Feiertages zu verhindern und die Wiederholung der Präsidentschaftswahl durchzuboxen. Das Gericht tagte dann trotz des Feiertages, war aber nicht beschlussfähig. Lediglich zwei der sieben Richter waren anwesend. Die anderen fehlten aus teilweise skurrilen Gründen. Während die EU in einer Mitteilung die Regierung beschuldigte, die Richter massiv unter Druck gesetzt zu haben, kritisierte Akombe den grossen Druck, der auf die eigentlich unabhängige Wahlkommission ausgeübt worden sei. So spitzte sich die Lage weiter zu.
Militärhelikopter und Strassenbarrikaden
Seit meiner Ankunft in Nairobi Ende September war die Wiederholung der Präsidentschaftswahl das dominierende Thema, und sie beeinflusste meinen persönlichen Alltag stark. Bei angekündigten Demonstrationen wurde das Zentrum für mich zur «roten Zone». Je nach Situation herrschte in den Strassen ein Verkehrschaos oder gähnende Leere. Dazu musste ich für mögliche Polizeikontrollen immer eine Passkopie mitnehmen und erhielt ein zweites Telefon mit einer Nummer bei einem zusätzlichen Anbieter.
Täglich donnerten riesige Militärhelikopter im Tiefflug über unsere Wohnung. Massive Polizeifahrzeuge mit Wasserwerfern markierten an strategisch wichtigen Orten wie Verkehrsknoten oder bei Fernsehstationen Präsenz. Twitter und Facebook wurden mit Nachrichten und Bildern zu Demonstrationen regelrecht überflutet. Auf mehreren Fernsehkanälen wurden Abend für Abend die neusten Details zum Wahlkampf präsentiert. Während einer Stunde zeigten die vier nationalen Fernsehsender in aktuellen Bildern, wo gerade wieder demonstriert und Strassen verbarrikadiert wurden und in welcher Region die Kandidaten gerade Wahlkampf betrieben. Ich verfolgte das Geschehen im Unterschied zu vielen Einheimischen nicht stündlich und liess mich lieber von Kolleginnen und Kollegen aufdatieren.
Das grundsätzliche Interesse an Politik und Partizipation ist generell recht gross. Dies gibt Hoffnung für die Zukunft.
Manuel Gautschi
Augenzeugen ermöglichen eine alternative Perspektive
Die hohe Kadenz der Neuigkeiten machte es schwierig, die Entwicklungen zu überblicken. Die vielen kursierenden Gerüchte erschwerten dies zusätzlich, da sie zu zahlreichen Spekulationen und Falschmeldungen führten. Prägnante Analysen, klare Szenarien und Fakten gingen in der Schaumschlägerei und Polemik oft unter. Beiträge und Berichte in Zeitungen, im Fernsehen sowie die über Facebook und Twitter verbreiteten Informationen wurden von einer kriegerischen Rhetorik geprägt. In Nairobi aber herrschte nie auch nur annähernd ein mit Krieg vergleichbarer Zustand. Die für mich wertvollsten Informationen erhielt ich durch Gespräche mit Augenzeugen, die in den besonders betroffenen Gebieten Kibera, Mathare oder Kwangware wohnen. Sie berichteten von kriminellen Aktivitäten, dem verbreiteten Einsatz von Schusswaffen und Tränengas durch Sicherheitskräfte sowie über das scheinbar brutale Vorgehen der Polizei.
Auch Amnesty International Kenia kritisierte, dass die schwer bewaffnete Polizei in verschiedenen Städten gesetzeswidrig und unverhältnismässig Gewalt gegen Demonstranten angewendet haben soll. Als Beispiel führte die Organisation den übertriebenen Einsatz von Schusswaffen zur Auflösung der Demonstrationen an. Die Anschuldigungen basieren auf Beobachtungen vor Ort sowie auf Gesprächen in Spitälern mit Personen, die durch Polizeigewalt verletzt wurden. Die Organisation beschuldigt die kenianischen Sicherheitskräfte, in einer regelrechten Kampagne in den Gebieten der Opposition die Bevölkerung für ihre Proteste gegen die Wiederholung der Präsidentenwahl gezielt bestraft zu haben. 44 Personen haben seit August im Zusammenhang mit der Wiederholung der Wahl ihr Leben verloren.
Differenzieren statt pauschalisieren!
Die Wiederholung der Präsidentschaftswahl vor Ort zu erleben, war für mich interessant und anstrengend zugleich. Sie lehrte mich einmal mehr zu differenzieren. Während im Stadtzentrum von Nairobi zahlreiche Menschen gegen die Regierung demonstrierten, die Polizei sie mit Tränengas, Wasserwerfern und Waffen auseinandertrieb (SRF-Beitrag: «Kenias Wahlkrise»), ging das Leben in meinem nur zwei Kilometer entfernten Wohnquartier seinen gewohnten Gang. Während sich vorwiegend junge Männer Strassenschlachten mit der Polizei lieferten, demonstrierten wenige Stunden später am selben Ort Frauen mit weissen Kopftüchern friedlich. Während die ärmste Bevölkerung in den Slums Gewalt und Zerstörung durch Polizei und Jugendgangs ausgeliefert war, wurde in den behüteten und bewachten Bürovierteln Nairobis normal gearbeitet.
Viele Kenianerinnen und Kenianer in meinem Umfeld beschwerten sich zudem über das Vorgehen der politischen Führungspersonen und deren Wahlkampf. Das Verhalten der Parteiführer war für sie nicht nachvollziehbar. «Silly politics» kommentierte eine Bürokollegin dieses Politspektakel, das mit der Amtseinführung des wiedergewählten Präsidenten Uhuru Kenyatta seinen nüchternen Höhepunkt erreichte.
So hat zwar die Präsidentschaftswahl – wie einleitend festgestellt – verschiedene Vorurteile bestätigt. Das Ganze kam mir gelegentlich wirklich wie ein absurdes Theaterspektakel vor. Einige Vorurteile wurden während der letzten Tage und Wochen aber auch widerlegt: Die Verhältnisse unter den Ethnien sind nicht von Gewalt geprägt. Differenzen werden aber gerade in politisch angespannten Zeiten zum öffentlichen Thema. Viele Kenianerinnen und Kenianer wünschen sich aber eine freundschaftliche Verständigung über ethnische Gräben hinaus. Die Politik folgt ausgeprägten demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien, die nicht nur mit Füssen getreten, sondern auch respektiert werden. Und schliesslich: Das grundsätzliche Interesse an Politik und Partizipation ist generell recht gross. Dies gibt Hoffnung für die Zukunft.