Ausflug in das ruinierte Paradies
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Das Städtchen Lamu liegt auf einer Insel an der Küste des Indischen Ozeans.
(Bild: Manuel Gautschi)In Kenia ist das Leben gefährlich. Busse verunfallen immer wieder, im politisch angeheizten Klima wird manchmal massiv Gewalt angewendet. Dazu verbreiten Terroristen hin und wieder Angst und Schrecken. Besonders betroffen ist der Lamu-Archipel, den ich auf einem Ausflug kennenlernte.
Natürlich wollte ich neben meinem Praktikum bei Special Education Professionals (SEP) in Nairobi auch etwas in Kenia herumkommen. Während eines Projektbesuchs durfte ich die Therapeuten von SEP zum Beispiel ins fruchtbare Rift Valley nördlich von Nakuru begleiten. In dieser Region beeindruckten mich besonders die ausgedehnten Wälder, die kräftig grüne Landschaft und die vielfältige und ertragreiche Landwirtschaft.
Noch viel prägender aber waren die Eindrücke, die ich an der kenianischen Küste des Indischen Ozeans sammelte. In Malindi besuchte ich eine Sozialpädagogin, die für Comundo vor Ort in einem Kinderhaus arbeitet. Dort kümmern sich die Mitarbeitenden um missbrauchte und ausgebeutete Kinder.
In Lamu, einem Archipel 100 Kilometer südlich der somalischen Grenze, verbrachte ich schliesslich als Tourist ein paar entspannte Tage. Dass es sich bei Malindi als auch bei Lamu angeblich um Hochburgen von Terroristen handeln soll, habe ich erst vor Ort durch Gespräche erfahren. Gemerkt habe ich davon nichts. Die Reise an die Küste machte mir allerdings bewusst, welche besonderen Gefahren in Kenia drohen.
Italianità am Indischen Ozean
Ein Beispiel sind Busfahrten über grosse Distanzen auf schmalen kerzengeraden Strassen über Land, die Chauffeure zum Rasen einladen. Zehn Stunden war ich so unterwegs ins kleine Hafenstädtchen Malindi. Erst vor wenigen Tagen starben bei einem schweren Verkehrsunfall wieder 30 Menschen, als ein Bus frontal mit einem Lastwagen zusammenstiess. Ich nahm das Risiko trotzdem auf mich und wählte für meine Fahrt bewusst die als sicher und pünktlich geltende Gesellschaft von Modern Coast aus.
Erleichtert stieg ich in Malindi aus dem Bus und atmete zuerst einmal tief die frische Meeresluft ein. Die schlanken hoch aufragenden Kokospalmen, das türkisblaue Wasser und die breiten kilometerlangen und schneeweissen Sandstrände vermittelten einen paradiesischen Eindruck. Dazu überall bunte Blumen und Blüten.
Früher war Malindi ein bekannter Ferienort. Vor allem Italiener verbrachten hier ihren Urlaub. Davon zeugen heute noch zahlreiche italienische Restaurants mit perfekt zubereiteten Pizzen. Als ich mir jedoch endlich wieder einmal eine Pizza in einem dieser Restaurants im Zentrum gönnen wollte, schreckten mich die starren Blicke der pensionierten Italiener an den Tischen ab und ich entschied mich für ein weiteres Curry beim freundlicheren Inder nebenan.
Ausbleibender Tourismus
Der paradiesische Eindruck, den Malindi auf den ersten Blick machte, täuschte allerdings. Viele Villen stehen mittlerweile leer. In den Schwimmbädern der grossen Gartenanlagen sammeln sich Algen. Die Anlagen verfallen. Das gleiche Schicksal hat grosse Hotelanlagen eingeholt. Sie sind heute geschlossen. Die Touristen verbringen ihre Ferien nun in den Resorts südlich von Mombasa. Zurückgeblieben ist eine grosse Anzahl ehemaliger Angestellter, die heute mehrheitlich arbeitslos sind und versuchen, sich irgendwie über Wasser zu halten.
Einheimische schärften mir ein, nach Einbruch der Dunkelheit ja nicht zu Fuss unterwegs zu sein.
Manuel Gautschi
Einheimische schärften mir ein, nach Einbruch der Dunkelheit ja nicht zu Fuss unterwegs zu sein. Die Gefahr eines Überfalls sei sehr gross. Passiert ist mir zum Glück nichts. Und von den angeblich von Malindi aus operierenden somalischen Terroristen habe ich auch nichts gesehen. Erst vor wenigen Wochen hat die internationale Polizei aber bei einer gross angelegten Razzia in diesem Küstenabschnitt mehr als 20 Personen verhaftet. Einmal täglich patrouillierte zudem ein grosser Polizeihelikopter entlang der Küste. All dies weckte in mir ein mulmiges Gefühl, denn als Ausländer kann man ja kaum einschätzen, wie gross die Gefahr wirklich ist.
(Bild: Manuel Gautschi)
Traurige Berühmtheit
Aus Sicherheitsgründen entschied ich mich dann auch, nach Lamu zu fliegen. Der alternative Landweg gilt aufgrund der nahen Grenze zu Somalia als sehr unsicher. Der Lamu-Archipel erlangte vor einigen Jahren traurige Berühmtheit. Auf mehreren Inseln kam es zu Entführungen. Botschaften rieten von Besuchen des Ferienparadieses dringend ab. Der Tourismus brach zusammen. Viele ehemalige Souvenirläden in den schmalen autofreien Gassen stehen heute leer. Wenige haben durchgehalten. Im Hauptstädtchen Lamu selber kam es dabei aber nie zu Zwischenfällen, obwohl dieses den zweifelhaften Ruf eines Zentrums des radikalen Islams hat. Die Reisewarnungen wurden übrigens erst 2017 wieder aufgehoben.
Das ehemalige, jetzt ruinierte Paradies ist zudem neuen Bedrohungen ausgesetzt: Die kenianische Regierung baut mit der Unterstützung von China einen neuen Tiefseehafen mit einer neuen Ölraffinerie. Die Zufahrt für die hochseetauglichen Frachtschiffe führt mitten durch den Archipel. Weil dieser bis anhin zu seicht war, baggern grosse Schiffe nun den Sand aus. Dass dabei alle Riffe und für den Tourismus so wichtige Schnorchelplätze zerstört werden, spielt offenbar keine Rolle. Auch die Fischer haben ihre Lebensgrundlage verloren. Die versprochene Entschädigung haben sie von der Regierung gemäss eigenen Angaben bisher nicht erhalten.
In naher Zukunft scheint es für das paradiesische Lamu aber zumindest einen Funken Hoffnung für einen neuerlichen Aufschwung zu geben. Zumindest der 27-jährige Moran Munyuthe arbeitet daran. Zusammen mit einem lokalen Schreiner entwirft und baut er Holzmöbel. Die handgefertigten und von der traditionellen arabischen Architektur inspirierten Stücke verkauft er in einem Geschäft in den engen Gassen von Lamu, das er erst vor wenigen Wochen eröffnet hat. Vielleicht ist der Architekt und Designer Moran der Vorbote dieses Aufschwungs auf der Hauptinsel im tropisch-idyllischen Archipel am Rande von Somalia.
Das Leben als Ausländer eröffnete mir neue Perspektiven.
Manuel Gautschi
Rückblick auf das dreimonatige Abenteuer
Die Reise an die kenianische Ostküste bereicherte mein Praktikum in Kenia. Ich habe während den drei Monaten viele Menschen kennen und schätzen gelernt, erhielt einen Einblick in gesellschaftliche Prozesse und durfte die Präsidentschaftswahl vor Ort erleben. Dabei erfuhr ich viel über die kenianische Politik. Das Leben als Ausländer eröffnete mir neue Perspektiven, wobei ich in Zusammenhang mit der kenianischen Geschichte viel über die koloniale Vergangenheit lernte.
Ich tauchte in den weniger hektischen, aber lauten und geschäftigen Alltag von Nairobi ein und musste mich mit Hürden und Barrieren auseinandersetzen. Ich lernte gute und schlechte Beispiel aus der Entwicklungszusammenarbeit kennen und sah mich mit unterschiedlichen Gefahren konfrontiert, die (zum Glück) nicht immer unmittelbar erkenn- und spürbar waren. Meine Ziele, die ich im ersten Beitrag formulierte, habe ich jedenfalls erreicht.
Die drei Monate waren gespickt mit Herausforderungen. Ich machte aber auch unglaublich viele aufschlussreiche Erfahrungen und erlebte spannende Begegnungen mit anregenden Gesprächen. Die ursprünglich aufgeworfenen Fragen zur Entwicklungszusammenarbeit stellen sich mir immer noch. Um sie zu beantworten, müsste ich noch intensivere Nachforschungen betreiben. Dafür fehlte mir aber während des Praktikums die Zeit.
Ich hoffe, dass die jetzt veröffentlichten acht Blog-Beiträge einen neuen Blick auf Kenia und seine Metropole Nairobi ermöglichen. Mein Bild von Afrika hat sich jedenfalls einmal mehr verändert!