Literatur
Blog
Niko Stoifberg über Datenschutz und Nasenbohren

Vorsicht, spielende Kinder!

Ist das Bild, auf dem die Tochter in der Nase bohrt, wirklich so peinlich, dass man es geheim halten muss? (Bild: Adobe Stock)

Unser Blogger hat Verständnis für alle, die ihre Steuern noch nicht bezahlt haben. Und für Vierjährige, die sich Popel in den Mund stecken.

Gestern habe ich einen Freund gefragt, was er am Wochenende mache. Die Steuererklärung, sagte er. Wir schreiben Anfang September; er hat sich mehrfach Aufschub erbeten. Wer würde es ihm verübeln? Wenn ich mich an meine eigene Steuererklärung erinnere, habe ich sofort Herzrasen, Nackenschweiss und Flashbacks – die klassischen Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Dieses Jahr hat der Kanton Luzern eine neue Steuersoftware eingeführt. Ich bin überzeugt, dass die Übersterblichkeit im Jahr 2021 nicht nur mit Covid-19, sondern auch damit zusammenhängt. Wie viele Menschen müssen sich zusammen mit ihren Computern aus dem Fenster gestürzt haben? Wie viele sind dabei auf unschuldige Passanten gefallen, die sich zwischen dem Wertschriftenverzeichnis und dem Verrechnungssteuerantrag etwas Luft verschaffen wollten? Niemand weiss es genau.

Der Untergang des Abendlandes

Über dieser Kolumne steht «Literaturblog», deshalb komme ich auf das Thema: Bei dem Code, welcher der neuen Steuersoftware zugrunde liegt, handelt es sich zwar nicht um einen literarischen Text, aber zum Klassiker werden könnte er dereinst trotzdem – als das Schriftstück, das den Untergang des Abendlandes einläutete. Der Code ist so schlecht, dass ich mir überlege, damit auf Comedy-Tour zu gehen und ihn vorzulesen. Das Publikum bestünde wohl nur aus Programmierern, aber davon gibt es ziemlich viele und die würden sich köstlich amüsieren.

Ich selbst wäre jedenfalls dafür, dass sämtliche steuerrelevanten Daten – wie viel ich für diese Kolumne bekomme, wie viel ich dem Regenwald gespendet habe und wohin ich wann mit welchem Zug gefahren bin – digital erfasst und zentral gespeichert würden. Dann könnte ich an einem fröhlichen Frühlingsmorgen einmal auf «Steuern bezahlen» klicken und hätte die Steuern bezahlt.

Käse und Nasenpopel

Aber das geht natürlich nicht, aus Datenschutzgründen. Den Datenschutz nehmen wir hierzulande sehr ernst, ernster noch als den Schutz artisanaler Käsesorten oder touristisch relevanter Ortsbilder. Das wurde mir neulich im WhatsApp-Chat einer Waldspielgruppe bewusst. Dessen Mitglieder – Eltern drei- bis fünfjähriger Kinder – wurden auf vielfachen Wunsch gebeten, von WhatsApp auf Threema zu wechseln. Diese in der Schweiz entwickelte Nachrichten-App schütze die Daten der Kinder besser, insbesondere die Bilder, die sie beim Spielen zeigen.

Sicher, nicht alle diese Bilder sind Kunstwerke wie Pierre Bonnards «L'enfant au pâté de sable», das im Musée d’Orsay in Paris hängt. Aber sind sie wirklich so peinlich, dass wir sie unbedingt geheim halten müssen? Auch hier bin ich persönlich eher entspannt. Haben wir uns nicht alle mal einen Popel in den Mund gesteckt, wie Leonie (Name geändert) auf dem einen Foto? Ich kann mir einfach nicht vorstellen, welcher psychisch kranke Datendieb sich an so einem Bild ergötzen würde. Oder dass eine künftige Arbeitgeberin Leonie deswegen einen Job verweigert.

Aber egal: Ich habe die Threema-App installiert. Sie hat nur 1 Franken gekostet. Und besser als die neue Steuersoftware (215’000 Franken) ist sie allemal.

Themen
Literatur
Blog
Ob Kurzgeschichten, Kolumnen, Lyrik oder Romanauszüge: In diesem Blog bieten wir Zentralschweizer Literaten eine Plattform, ihre Texte zu teilen und den aktiven Austausch zu suchen. Die Meinung von Bloggern und Gastautoren muss nicht mit jener der Redaktion übereinstimmen.
Deine Meinung ist gefragt
Deine E-Mailadresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert. Bitte beachte unsere Netiquette.
Zeichenanzahl: 0 / 1500.


0 Kommentare
    Apple Store IconGoogle Play Store Icon