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Adrian Hürlimann

Un-Kraut meines Gartens

Frei wachsen, ohne Unkraut. (Bild: Emanuel Ammon/ AURA)

Ja, natürlich, ich weiss, es gibt eigentlich gar kein Un-Kraut, alle Pflanzen sind gleichberechtigt und auf ihre Weise schön. Unkraut gibt es doch, rufe ich aus, wenn ich an ihm hängen bleibe und stolpere, stachelige Lianen von etlichen Metern Länge, samenstrotzende Blütentürme, deren Fortpflanzungsmunition an den Kleidern kleben bleibt.

Ja, natürlich, ich weiss, es gibt eigentlich gar kein Un-Kraut, alle Pflanzen sind gleichberechtigt und auf ihre Weise schön. So hat es Gott vorgesehen, schliesslich ernten und säen seine Kreaturen nicht, und ernähret sie dennoch. Alles was da lebt, hat Platz in Gottes unendlichem Garten. Kein Pflänzchen ist wertvoller als das andere, keines nützlicher. Und niemand weiss schliesslich genau, wozu eine Pflanzenart im biotopischen Zusammenhang steht und mit was sie wie kooperiert und kohabitiert.

So mag es sein in Gottes grossem Garten.

Aber nicht in meinem Garten. Dort wuchert das Grünzeug, besonders in diesem sonnengeizigen Sommer, der die Topografie hierzulande zu einem einzigen Treibhaus mit gedimmter Belichtung werden liess. Unkraut gibt es doch, rufe ich aus, wenn ich an ihm hängen bleibe und stolpere, stachelige Lianen von etlichen Metern Länge, samenstrotzende Blütentürme, deren Fortpflanzungsmunition an den Kleidern kleben bleibt.

Und Georges Brassens gibt mir recht: Je suis d’la mauvaise herbe, singt er und meint gar sich selbst. Er sei das Unkraut in den Augen der braven Mitbürger, nutzlos, weil er sich nicht als Kanonenfutter zur Verfügung stellen will. Als Drückeberger und Feigling bittet er um ein klein wenig Leben, ein wenig Überleben, unauffällig und diskret irgendwo im Hintergrund.

Na also, denke ich, es gibt es also doch, das Un-Kraut. Gegen das kein Kraut gewachsen ist. Und es hat natürlich seine Daseinsberechtigung, seinen Sinn. In Gottes grosser Welt.

Aber nicht in meinem Garten. Alle paar Monate erklimme ich die steilen Hänge und reisse das Gröbste von Hand aus: Büschel, Lianen, Sträucher. Alles wächst da, ausser Gras. Einmal jährlich übergiesse ich alles mit Totalherbizid. Der grösste Teil verdorrt dann und gibt endlich Ruhe. Ich hätte lieber ein anderes Unkraut als meine Brombeerstauden, Wicken, Efeuranken und Haselschösslinge. Überall in meiner Nachbarschaft sieht das Unkraut blumiger und zurückhaltender aus. Das mag daran liegen, dass Unkraut in professionell von Gärtnern betreuten Grünflächen nur in Randzonen vorkommt, innerhalb und ausserhalb der Lebhäge etwa. Aber auch auf freiem Feld oder im Wald scheint mir die Neophytenpracht gelungener daherzukommen, irgendwie ästhetischer. 

Bei mir hat sich vor allem Einheimisches eingenistet. Grünzeug, das wie das sprichwörtliche Immergrün immer schon da war. Nichts Neuartiges, Fremdartiges, noch nie Dagewesenes. Nicht mal das lilafarbene Springkraut ist hier zu finden, das im Tessin die Flusstäler sanft möblierend überstellt und polstert. Hier gibt es eben nur heimattümelndes Unkraut. Die Sorte, die zu Alphorntönen passt und nicht zu Georges Brassens.

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