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Thomas Brändle

Swiss Alps for Members

Den Skiern ist egal, wer Mitglied ist. (Bild: AURA)

«Sind Sie Member?» «Was bin ich?» «Ob Sie Mitglied sind.» «Mitglied wovon? In erster Linie bin ich Skifahrer, jedenfalls heute.»

«Sind Sie Member?»

«Was bin ich?»

«Ob Sie Mitglied sind.»

«Mitglied wovon? In erster Linie bin ich Skifahrer, jedenfalls heute.»

«Dann stehen Sie in der falschen Reihe», orientierte mich der grobschlächtige Troll mit der zerknitterten und sehr braungebrannten Skilehrervisage herablassend. «Das hier ist die Member-Line.»

«So?!», erwiderte ich säuerlich und trat den Rückzug an, was sich in dieser sportlichen Aufmachung als recht tückisch erwies. Mindestens zehn Jahre hatte ich keinen Skianzug mit Skischuhen mehr getragen und meine Skier entsprächen weder in Farbe, Material noch Form den neuesten Erkenntnissen der Skisportforschung, wie mir Armin am Morgen ungefragt mitteilte. Normalerweise treffe ich mich mit Armin höchstens mal zum Kaffeetrinken, um dabei politische Tagesaktualitäten zu besprechen oder dann nur zum Kaffeetrinken, also ohne politische Tagesaktualitäten zu besprechen. Als Armin Anfang Woche unvermittelt den Vorschlag machte, man könnte doch angesichts der erfreulichen Schnee- und Wetterverhältnisse auch mal zum Skifahren gehen, statt Kaffee zu trinken, stimmte ich ohne zu zögern zu, womit ich mich selber überraschte. Soviel Spontaneität hätte ich mir gar nicht zugetraut.

«Du hättest mich wenigstens darauf aufmerksam machen können», warf ich Armin vor. «Sind Sie Member. Sowas hab ich ja noch nie gehört.»

Armin hielt eine Art Reiseführer für die Skiregion in der Hand, den man angeblich auch als App aufs Smartphone laden könne. Da wir beide in der Regel ohne Laptop und anderes elektronisches Zubehör zum Skifahren gehen ­– zumindest gehe ich davon aus, wenn wir regelmässig zum Skifahren gingen – mussten wir uns das mitleidige Grinsen des Schaltermenschen an der Talstation gefallen lassen.

«Ich glaub, ich hab’s gefunden», zeigte sich Armin siegestrunken.

«Was denn?»

«Also, die Reihe ganz links, die mit dem beeindruckenden Menschenauflauf, ist für die stinknormalen Skifahrer – also für uns beide, Wartezeit Minimum 30 Minuten. Die leere Reihe daneben ist für regionale VIPs und Politiker. Die nächste, eben diejenige für Member, ist für Aktionäre, Gönner …»

«Aktionäre und Gönner?», wiederholte ich irritiert.

«Ja, die ganze Skiregion gehört inzwischen einem Investorenkonsortium aus Saudi-Arabien. Privatpersonen können sich aber mit einem Jahresbeitrag analog einem Golfclub einkaufen, um die Member-Line ebenfalls benutzen zu können.»

«Aber da steht doch gar niemand an», gab ich meinem Unverständnis Ausdruck.

«Die Investoren werden wohl grad keine Zeit zum Skifahren haben», mutmasste Armin.

«Und die vierte Reihe von links?», wollte ich wissen.

«Die ist für Premium Members. Wenn man mit der Premium Card den Eingang passiert, bekommt man eine Nummer aufs Smartphone gesimst und kann in der beheizten Lounge bei Cüpli und Kaviarbrötchen warten, bis der nächste Skibügel frei wird.»

«Du meinst, wenn mal zufälligerweise grad 200 Premium-Millionäre gleichzeitig den Berg hochgezogen werden möchten», entgegnete ich sarkastisch. «Ausserdem sind das keine Skibügel, sondern Seilbahnkabinen.»

Wobei Seilbahnkabinen die Sache auch noch nicht wirklich traf, wenn man davon ausgeht, dass loderndes Kaminfeuer und ein dreiköpfiges Jodelchörli nicht zum Standard gehören. Der livrierte Seilbahnkabinen-Liftboy begrüsste jeden Passagier einzeln mit einem singenden «mind the gap» und balancierte auf einem funkelnden Tablett dampfende Tassen mit Glühwein.

 

Als wir die Bergstation endlich erreicht hatten, steuerten wir ohne uns besprochen zu haben die Sonnenterrasse an, um einen Blick ins Tal zu werfen.

«Den Ort da unten habe ich aber noch etwas anders in Erinnerung», stellte ich unerfreut fest.

«Das ursprüngliche Dorf haben sie ja auch abgerissen. Das ist jetzt ein Resort», klärte mich Armin auf.

«Leben da jetzt etwa Indianer?»

«Doch kein Reservat, du Hobel. Ein Ski-Resort halt. Das Swiss Alps Allah Ski Resort. Hast du etwa noch nie davon gehört?»

Man habe das abgelegene Tal quasi aus dem Dornröschenschlaf geküsst, gab Armin poetisch zum Ausdruck.

Nun erinnerte ich mich wieder. In den Wartezimmern meines Zahnarztes gibt es zwei Kategorien von Zeitschriften. Da sind einerseits die wissenschaftlichen Magazine, nach deren Lektüre man in der Regel etwas gescheiter ist als vorher. Sie liegen bei jedem Besuch unberührt in sorgfältig ausgerichteten Stapeln auf dem Tischchen in der Mitte. Dann gibt es andererseits die komplett abgegriffenen und zerfledderten Zeitschriften, die den geneigten Leser über das exzessive Privatleben der internationalen Prominenz oder das betont biedere Privatleben von Prominenten helvetischer Provenienz orientieren. Und in den Blättern der letzteren Kategorie wurde mir wiederholt sattsam ein in Willisau vermögender Ölscheich mit Migrationshintergrund sympathisch gemacht. Da die Schweiz ein ärmliches Entwicklungsland ist, war die allgemeine Freude verständlicherweise gross, dass dieser Traumprinz aus dem Arabischen Frühling kommend, sein Erspartes in die dringend nötige Entwicklung unserer Bergregionen investieren möchte. Endlich schaffte ein visionärer und risikofreudiger Ausländer Tausende von Arbeitsplätzen in einem Land, dessen Arbeitslosenquote seit jeher zu den höchsten der Welt gehören. Die Käufer der für eidgenössische Normalverdiener unbezahlbaren Ski-Resort-Apartments seien vorwiegend selbstsichere Russen, die Angestellten – verzweifelte Griechen –, und die verunsicherten Einheimischen waren weggezogen, weil Wohnen und Lebensunterhalt in der Region für sie zu teuer geworden sei. Nun pendeln sie allmorgendlich aus dem preiswerten Schwamendingen zum Dienst an.

«Regionale Wirtschaftsförderung nennt man das», sagte Armin und riss mich damit aus meinen Gedanken. «Das machen unsere Pensionskassen übrigens genauso.»

«Was?», hakte ich nach.

«Regionale Wirtschaftsförderung. Zum Beispiel mittels Wohnüberbauungen an der Costa del Sol oder verbrieften Hypothekarkrediten in den USA.»

«Armin, wir hätten das schon viel früher und öfter tun sollen», wandte ich deprimiert ein.

«Im Ausland investieren?», erkundigte sich Armin irritiert.

«Nein, in der Region zum Skifahren gehen. Dann wäre uns manches erspart geblieben. Jetzt gehen wir aber zuerst mal einen Kaffee trinken und einen Nussgipfel essen», meinte ich nach reiflicher Überlegung spontan.

 

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