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Was wäre, wenn Musik die einzige Kunstform wäre?

Musik, Musik, wir wollen dir nicht (ge-)horchen

Wie sähe unsere Welt aus, wenn sich alle Kunst auf die Musik konzentrieren würde? (Bild: pexels)

Nehmen wir einmal an, die Musik hätte tatsächlich die Macht, die wir ihr manchmal zuschreiben, hätten wir dann «Götter in Black und Pink»? Und wäre es dann wohl auch noch mehr oder minder erlaubt, Musik einfach zu downloaden? Ach, vermutlich könnten Sie dann gar nicht lesen …

Irgendwann muss wohl ein Menschenartiger, der ein klein wenig weniger auf die Jagd fixiert war und sich ab und zu überlegte, warum ihm das Helle vom Himmel, das auf seinen Pelz leuchtete, wohlige Gefühle vermittelte, aber nicht jenes Helle, das er von den Ästen nahm, wenn der Blitz hineingefahren war – irgendwann also musste ein solcher mal an einem Baum vorbeigekommen sein, durch den der Wind pfiff. Und weil er dieses Pfeifen durch seine Hand, die er an ein Loch im Baum hielt, aufzuhalten oder zumindest zu verändern vermochte, und weil er wusste, dass das, was im Grossen funktionierte, sich auch im Kleinen wiederholen liess (ein Steinchen rollt einen Ameisenhügel hinab wie ein grosser Stein den Hügel bergab), kam er an einem besonders kalten Wintertag vermutlich auf die Idee, den hohlen Baum mit der Zugluft im Kleinen nachzubauen – er wollte versuchen, ob er einen ‹kleinen Baum› aushöhlen könne.

Er versuchte es mit einem trotz des Winters noch relativ frischen, schmalen Zweig, da mochten ihm die Klauennägel abgebrochen sein. Er versuchte es mit einem trockeneren Zweig, der zerbrach ihm wohl zwischen den Händen.

Vielleicht gab er da auf und erst seine Tochter dachte später weiter.

Oder er beobachtete im Frühling noch genauer, was er aus der Welt lernen konnte (das Konzept «Natur» sagte ihm wohl erst nach seiner Erfindung etwas); so kam er denn eines Abends beim Schmausen eines Knochenmarks auf die Idee, dass eben nicht nur Bäume und theoretisch Äste hohl sein können, sondern eben auch Knochen, sofern man sie ausgekocht und ausgesaugt hatte.

Forschungen eines Musikinstrumentenentdeckers

Vielleicht lachten ihn die Männchen seiner Generation aus, dass er nun Abend für Abend selbst kochen wollte, aber er musste verschiedene Knochen, Handknochen, Beinknochen, Rückenmarksknochen von den verschiedensten Tieren durch Kochen ausprobieren, ob sie konnten, was ein hohler Baum konnte. Vermutlich hat ihm dann das Glück geholfen: In einem harten Winter, als er trotz allem für frisches Wasser aus der schützenden Höhle musste, fiel ihm vielleicht, ähnlich wie in einem bekannten Roman, ein erfrorener Gänsegeier vor die Füsse. Als er dessen Knochen auf ihre Brauchbarkeit untersuchte, merkte er, wie der Flügelknochen dieses Gänsegeiers die richtige Länge und Dicke hatte, mit einem Wort, passend war für seine Nachkonstruktion des hohlen Baumes.

Wenn er ihn draussen in den heftig ziehenden Wind hielt, gab der ausgekochte Knochen einen schönen Ton von sich. In der Höhle, so merkte sein Finder, ging das auch, wenn er das Teil schnell hin und her bewegte. Dabei sah er aber etwas seltsam aus und wurde wohl einmal mehr ausgelacht, bevor seine kleine Schwester kam, ihm den ausgekochten, hohlen Knochen aus der Hand nahm, und – hineinblies. Was für eine Aktion! Was für ein Ton. Was für ein Wunder. Damit liess sich doch etwas anfangen.

Denn wie er eben beim Baum nicht nur einen Ton hörte, sondern ihn durch seine Hand beeinflussen konnte, je nachdem, wie viel Luft er hineinliess oder ob er weiter oben eine zweite Öffnung zuhielt, so versuchte er das im dritten Winter auch hier: Er trieb kleine Löcher in den Knochen, der nun, wenn man die Löcher mit der Verkleinerung der Hand, nämlich mit nur einem Finger, zuhielt, und hineinblies, eine ganze Tonfolge hervorzuzaubern vermochte.

Die erste Flöte der Erde war erfunden, etwa 40'000 Jahre vor unserer Zeit (so alt ist zumindest jene, die man westlich von Ulm bei der Ausgrabung der Aurignacien-Kultur im Jahr 2008 gefunden hat; natürlich müssen jene, die gerne glauben, unsere Erde wäre erst 5000 Jahre alt oder so oder anders ihrem Gott danken, der sie da zur Kurzweil der Archäologen hingelegt hatte – damit die dann etwas zu tun hätten …).

Die Flöte als Verbindungsmittel

Schnitt vorwärts (Kubrick lässt grüssen): vom Knochen aus dem Jahr 38'000 vor unserer Zeitrechnung bis zu uns und den Entdeckungen der Unterschiede innerhalb der Gattung der Homines neanderthalensis beziehungsweise Homo sapiens. Wir wissen heute, dass genau im Zeitalter der Aurignacien sich der Homo sapiens gegen seinen letzten Konkurrenten Homo neanderthalensis durchgesetzt hatte. Klar haben heutzutage vielerlei Menschen einen Genanteil vom Neandertaler, der Frauen zum Beispiel fruchtbarer sein lässt, dafür jedoch seine Träger generell etwas anfälliger macht, zum Raucher zu werden. Aber darum geht es hier nicht. Es geht darum, dass sich damals der Homo sapiens klar durchgesetzt hat.

Warum genau, darüber streiten sich Wissenschaftler schon länger prächtig miteinander. Eine wichtige Theorie lautete einmal und lautet zum Teil noch heute: Während Neandertaler nur einfache Formen von Sprache beherrschten und in kleinen Gruppen lebten, verfügte der Homo sapiens über ein deutlich umfangreicheres Kommunikationsvermögen durch Sprechen, weshalb er sich in Verbünden von bis zu 30 Individuen zu organisieren vermochte.

Die grössere Gruppe versprach mehr Sicherheit, sie machte die Inzucht schwieriger und – vielleicht das wichtigste Entscheidungskriterium, zumindest hier und jetzt für uns – ermöglichte es dieser immer umfangreicheren Gruppe und damit dem modernen Menschen, seine Fertigkeiten stets zu verfeinern: Damals gingen die einen jagen, andere erfanden neue Werkzeuge, noch andere dachten über frische Arten der Nutzung von Pflanzen nach, fertigten Kleider an (wobei ein Teil sich mehr dem Zweck der Kleidung, andere bereits dem Aussehen widmen mochten), bereiteten Speisen zu oder hüteten die Kinder.

Sprache als Konfliktschlichter

Die komplexe Arbeitsteilung verschaffte dem Homo sapiens und dem modernen Menschen einerseits einen evolutionären Vorteil (und schafft heute so spezielle Berufe wie Rockmusiker, Dogsitter, Podologe oder Arzt für den Hals-Nasen-Ohren-Bereich) – sie stellte ihn aber andererseits vor ein Problem: Je grösser die Gruppe, desto schwieriger wurde es, Konflikte einzuhegen. Damit die Gemeinschaft nicht auseinanderfiel, brauchte es etwas, um damit umzugehen. Hier wurde früher von Wissenschaftlern eben immer das Instrument der Sprache angeführt, das es erlaubt habe, Konflikte zu schlichten.

Neu weiss man aber, dass es nicht einzig die Sprache gewesen sein kann, da auch Neandertaler eine – wenn auch rudimentärere – Sprache besassen, ja, dass sie eventuell sogar so etwas wie Symbole kannten (man fand wenige geritzte Formen im Fels, die wie 1:1-Zuteilungen funktionieren: Ein gezeichnetes Quadrat meint eine Umzäunung für Schafe o. ä.). Was konnte es sonst aber gewesen sein? Nein, auch nicht die Religion. Denn selbst das kannten Neandertaler: die Fragen der Fragen durch Fragen. Aber was also sonst?

Heute bildet sich mehr und mehr die Meinung heraus, dass es in einem ersten Schritt vermutlich die Fähigkeit war, Musik zu machen. Denn mit der Musik hatte der Homo sapiens etwas gefunden, das über die Sprache hinaus Identität und Verbundenheit schuf. Als die Menschen nach der Jagd und allgemein nach der Tagesarbeit die wenigen Jahre, die sie lebten, abends am Feuer sassen, fühlten sie sich durch das gemeinsame Musikhören mutmasslich angeregt und in der Gruppe wohl.

Es hat damit ihr Vertrauen in die anderen gestärkt. Musik wurde kollektive Selbstvergewisserung und damit zum wichtigsten Instrument einer Zivilisation, die nicht nur eine kleine Gruppe bleiben wollte, sondern eine Gemeinschaft, die auch auf der Erde leben können sollte, wenn wir Milliarden sind. Musik als effektives Zaubermittel.

Von der Flöte und den Schlaginstrumenten zu weiterer Kunst

Im Negativen kennen wir das ja bis heute: bei den Nationalhymnen der Nationalstaaten, wie sie eigentlich schon längst überholt sind. Positiv kennen wir es durch die feinsten Kompositionen der unglaublich beschaffensten Komponisten, wenn etwa die meisten Stücke aus dem Köchelverzeichnis, während sie einem Kind im Mutterleib durch einen Saugnapflautsprecher vorgespielt werden, die ungeborenen Kinder beruhigen (Herzschlagmessung) oder sie währenddessen gar so etwas wie ein Lächeln zeigen (Ultraschall). Ja, es könnte sogar sein, sagen einige Studien, dass solche Kinder und jene, die mit Beatles-Songs beschallt wurden, später weniger psychische Probleme hätten als andere Kinder.

Aber zurück zu den frühesten Flötenspielern. Man nimmt an, dass sie sehr bald einmal schon von Schlaginstrumenten begleitet wurden. Einesteils, weil diese einfach zu erfinden und zu basteln waren: Ziemlich alles tönt irgendwie, wenn man draufhaut. Andernteils, weil Rhythmen eben nicht nur in der Musik eine Rolle spielen, sondern vermutlich schon früh auch beim Sprechen: etwa bei rituellen Verrichtungen, bei denen betont werden sollte, dass dem Sprechen hier eine viel wichtigere Aufgabe zukam als nur die der Kommunikation untereinander.

Die Erfindung von Literatur

Genau auf diese Weise werden wohl auch die allerersten Gedichte entstanden sein, als Teil von Zaubersprüchen und Beschwörungsformeln. Denn nachdem das Gedicht einmal zwar nicht mehr als so wichtig wie ein ritueller Spruch angesehen wurde, aber als anormaler als die gängigen Kommunikationen, weitete sich die «Literatur» aus. Vielleicht ja auch, weil einige in der Musik gar nicht begabt waren, sei es jetzt im Spielen oder im Hören.

Hier befinden wir uns übrigens noch nicht auf zwangsweise falschem Gebiet. Die Erfindung von Literatur vollzog sich laut den meisten Wissenschaftszweigen (gemäss Sprachwissenschaftlern wie etwa auch laut den Ethnologen usw.) tatsächlich auf diese oder sehr ähnliche Art und Weise. Und besass man einmal solch spezielle Arten, wie man ausserhalb von sich selbst etwas derart Kunstvolles hinterlassen konnte, eben die Musik und die Literatur, wird der nächste Schritt – wie später vom Bild zum Foto zum Film – von diesen zweien zu weiteren Kunstarten und Kunstsparten nicht mehr total überraschend gewesen sein: zum bildenden Künstler (töpfern, steinhauen etc.) oder zum Maler (mit Steinen Muster in Felsen ritzen über ein Skizzieren weiter zum Gestalten auf einer Unterlage wie Pergament bzw. Leinwand etc.) oder zum Schauspieler für Szenen, Theater, Film und bei den bereits bekannten Arten zum derart extrem spezialisierten Kulturschaffenden wie einem Filmmusikkomponisten oder Notengeldgestalter.

All diese verschiedensten Kulturzweige haben vielleicht unbewusst den Sinn, dass eine einzige nicht zu übergreifende Macht erhält und die anderen langsam auslöscht (obwohl der Film in den letzten Jahrzehnten gefährlich überwiegt – das könnte schon mal problematisch werden; doch ist mit ihm meist noch die Musik vermengt und zum Teil die Sprachkunst; aber vielleicht wäre es in der Tat nicht so dämlich, die Versuche mit Düften in Kinos noch weiter voranzutreiben – oder zumindest weiter Popcorn zu verkaufen und die Sessel so zu bestellen, dass der Zuschauer haptisch in der Welt des Nichtfilms immerhin ein wenig Rückhalt findet), oder sie wurden vielleicht sogar bewusst geschaffen, damit die Sparte, die alles begonnen hat, nicht die einzige bliebe – und damit vermutlich zum Zaubermittel geworden wäre, mit dem Menschen sogar hätten getötet werden können, einfach so, ohne dass es ein Messer gebraucht hätte oder eine bestimmte Situation, sondern zu Hause, im Bett, während sie gerade eben ihrer Lieblingsmusik gehorcht hätten und dann wäre eine andere dazwischengeschaltet worden.

Was hätte die Knochenflöte alles auslösen können?

Mit dieser Aussage befinden wir uns jetzt aber mitten im Thema dieser Kolumnenreihe: Mitten in den «falschen» Überlegungen, die so ja gar nie eingetroffen sind, was wir gesichert wissen – und die so auch kaum hätten eintreffen können … vermutlich! Doch lenken wir unsere Gehirne also wieder ab vom Wahnsinn der Welt, tauchen wir ein in ein mögliches Alternativuniversum:

Was wäre wohl geschehen, wenn vom Homo sapiens, der Aurignacien-Kultur folgend, einfach bloss die Musik vergöttert worden wäre und keine weiteren Kunstsparten mehr angedacht und dann erfunden worden wären? Was wäre mit einer Kunstform passiert, die selbst mit allen ihren Konkurrenten nebenher derart weit gediehen ist, dass man mit Musik nicht nur foltern kann (Metallica wird unter anderem von den US-Folterern in Guantanamo verwendet, immer und immer wieder dasselbe Lied), sondern umgekehrt auch Schmerzen lindern: Schmerzpatienten, die ein Musikstück hören, zu dem sie einen immens positiven Bezug haben, nehmen in der Zeit, in der sie das Stück hören, Schmerzen weniger wahr, die Schmerzen sind effektiv schwächer.

Wohin hätte dies noch führen können, wie gesagt, wenn sich alles nur um Musik gedreht hätte? Das meint nicht nur die Komponisten, die dann vielmehr auf dem hätten aufbauen können, was vor ihnen getan wurde (das bekannte Standing on the Shoulders of Giants, das so vielleicht ein Standing on the Shoulders of Super-Giants geworden wäre), sondern auch bei den Zuhörern, die dadurch, dass es nur eine Kunstform geben würde, ein Vielfaches an Rezeptionsorganen auf diese Kunstform hin ausgebaut hätten und ihr ganzes Leben zudem genutzt haben würden, von dieser Kunst zu lernen, sie mehr und mehr aufnehmen zu können, in ihr Inneres.

Musik als «universelle» Sprache?

Vielleicht wären dann schon mal nicht verschiedene Musikstile in verschiedenen Weltgegenden entstanden (weil ja keine weiteren Kunstformen aufgebaut worden wären, hätte dementsprechend eventuell auch keine Diversifizierung innerhalb der Musik stattgefunden), wie es sie in unserer Welt zumindest mal gegeben hat. Und zwar sind die Stile in unserer Welt immer noch derart weit auseinander, dass Versuchspersonen aus dem Kongo, die unsere westliche Musik nicht kannten, regelmässig daneben lagen, wenn man sie fragte, ob ein Musikstück eine heitere Stimmung evozieren solle oder eine traurige.

Genau wie Nordamerikaner, die Musik der Kongolesen daraufhin beurteilen sollten. Die Idee der Musik als «universelle» Sprache der Gefühle gilt da also (noch) nicht. Dafür hat man etwas anderes festgestellt: Ein Volkslied der Koreaner, das lange Zeit und bis heute populär ist, und zwar bei Süd- wie Nordkoreanern, klingt heute in den beiden Ländern anders – auch wenn es weiter mit denselben Instrumenten gespielt wird. Die Version aus Nordkorea entspricht weitgehend dem tonalen Gefüge, mit welchem dasselbe Stück in den 1920er-Jahren von deutschen Forschern aufgenommen wurde. Die Version aus dem Süden hingegen klingt, als sei sie in einer europäischen Durskala notiert. Das Lied hat sich also durch den Kontakt mit dem Westen verwestlicht, wie Forscher erstaunt feststellten!

Musik als Waffe in einer Gegenwelt

Und daraus ziehe ich eben auch die Annahme: Wäre Musik die einzige Kunst, würde die Intonation noch viel eher weltweit dieselbe sein, unbehelligt von anderen Kunstsparten eines spezifischen Landes. Diese Musik wäre dann wirklich universell. Die Menschen hätten dann noch mehr Unterschiede zu den Tieren gehabt.

Denn wie die Fähigkeit, Tonfolgen eigenständig in präzise rhythmische Muster zu ordnen eine Gabe ist, die dem Menschen vorbehalten ist – nicht einmal die anderen Primaten beherrschen sie –, und wie diese bereits bei den Römern missbraucht wurde, um in den Galeeren den rudernden Sträflingen einen Rhythmus beim Rudern aufzuzwingen, bis sie teilweise verstorben sind vor Anstrengung, oder wie sie das US-amerikanische Militär zum Beispiel bei Panzerfahrern missbraucht, die im Krieg Musik über ihre Kopfhörer nicht nur hören dürfen, sondern hören sollen, damit sie wie bei einem Computergame einfach funktionieren, statt sich zu überlegen, was sie da eigentlich gerade tun (die Musik blendet also die Realität zu einem Stück aus), so könnte man vielleicht heute die Musik, wenn es die einzige Kunst geblieben wäre, missbrauchen im x-fach-potenzierten Sinne: Indem man jemandem ein Stück abspielt, was den dann sofort zur Mordwaffe macht.

Oder ihn innert Sekunden in den Suizid treibt. Oder man könnte Menschen schlimmer betäuben als mit Kokain (bei Marathonläufern ist Musik seit 2007 verboten, weil sie bei Versuchen tatsächlich als Doping mehr genutzt hat als Kokain – meine «falschen» Überlegungen sind demnach so abwegig nicht). Oder wir Menschen hätten Zusammenhänge ungeheuer schnell erfassen können: Wenn ein Bild mehr sagt als tausend Worte, dann könnte heute ein Musikstück in einem solchen Universum vermutlich mehr sagen als tausend Bilder!

Eine sonst nicht erlebbare Überwältigtheit

Alles nach der aurignacischen Kultur hätte sich rasant entwickelt, alles in Musikform Gesagte wäre sofort von allen jederzeit und überall vollkommen verstanden worden – und wir wären allesamt Musiker und hätten geschlossen einen Gehörschaden. Und sollten wir so je von Ausserirdischen besucht worden sein, so hätten die ausserirdischen Anthropologen aufgrund unserer auch nach aussen glasklaren Kompositionen sofort schliessen können, wie hinterhältig wir sind und man hätte uns für ewig ausgelöscht.

Denn wer mag uns heute? Wer sollte uns mögen, wenn wir alles auf eine Sache konzentriert hätten? Wenn die Ärzte uns vermutlich operieren würden, indem sie Rockmusik abspielten, natürlich in schicken schwarzen Kitteln, nicht in Weiss. Die bunten Farben wie Pink wären eher den Lustdienern überlassen: Man ginge zu ihnen und schon nur der Song, den sie spielen würden, liesse die oder den Besuchenden ein sexuelles Erlebnis haben, das durch die Musik direkt ausgelöst würde, eine Endorphinausschüttung einer sonst nicht erlebbaren Überwältigtheit. (Was uns alle auch so etwas wie das Lesen schnell einmal verlernen lassen würde: Wer bräuchte das denn noch? Dafür wäre das Downloaden solcher Musik per Todesstrafe verboten. Nur ausgebildetes Fachpersonal dürfte sie zur Anwendung bringen ...).

Eine Urform der Musik

Es ist also eigentlich schön, dass gewisse Rockmusik in den Ohren eines Hörenden als Musik erfasst wird und auch bei lautem Hören erwiesenermassen nicht zwangsläufig einen Hörschaden hervorrufen muss, während sie beim Nachbarn, der das Stück nicht kennt und kennen will, genau dies bewirken würde: effektiv einen Hörschaden (auch das ist wissenschaftlich abgestützt).

Das einzige, was offenbar heutzutage auf unserer Erde alle Menschen jederzeit erkennen, sind Lullabies, also Schlaflieder für Kinder. Vermutlich deshalb, weil sie nicht von Menschen stammen: Musikforscher glauben, Wiegenlieder auf einen Archetypen der musikalischen Kommunikation zurückführen zu können: auf die Laute, die eine Affenmutter von sich gibt, wenn sie ihr Junges zur Seite legt – und den Entzug der körperlichen Nähe durch akustische Signale auszugleichen versucht. Eine Urform der Musik, die sagen soll: Du bist nicht allein.

Also: Immerhin wird uns das Dilettantentum der meisten Menschen im Musikbereich eventuell dereinst vor der Annihilation retten, wenn die Ausserirdischen mal kommen, nachdem sie die Golden Records entschlüsselt haben, die wir der Voyager II mitgegebenen haben, auf ihrem Weg in den äussersten Winkel des Universums, leider mit Nixons Stimme darauf, aber immerhin auch mit der Musik von Johann Sebastian Bach und Wolfgang Amadeus Mozart, der mit seiner Arie der Königin der Nacht vertreten ist, kein Wiegenlied zwar, aber immerhin ein Lied der Nacht.

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