La coccinella oder: der Käfer unserer lieben Frau
Eine Weinachtsgeschichte von Max Huwyler, unserem Literatur-Blogger.
Es gibt ein kleines Tier, nur ein paar Millimeter lang ist es, ein hartflügeliger Käfer, dem man ganz besondere gute Kräfte zuschreibt und von dem die Menschen sagen, er sei nützlich. Er hat in vielen Kulturen einen besonders ehrenvollen Namen. Im Deutschen trägt er den Namen einer jungen Frau, die, fast ein Mädchen noch, unter nicht gerade komfortablen Umständen ihr erstes Kind gebar.
Sie war mit ihrem Mann in einer fremden Stadt in eine Notabsteige geraten, als die Wehen einsetzten. Der Mann wusste nicht wie und was, hatte keine Ahnung von Geburtshilfe. Er betete um Hilfe, derweil die schöne junge Frau presste und schwitzte und presste. «Jesses Maria», sagte der Mann, als des Kindleins Kopf aus seiner Frau herauskam. Und dann: «Ein Bub!» Sie schnaufte tief. «Jah, Gott sei Dank.» Und nach einer Weile, als sie sich ein wenig erholt hatte: «Wir haben es ja gewusst. Hast du vergessen, der Engel?» – «Ah ja, dein Engel. Klar, ein Bub.» Sie waren miteinander glücklich, dass es so gut gegangen war. Er holte Wasser. Er holte trockenes Heu für die Liege. Er war froh, dass er zu tun hatte. «Schon gut, ein Bub.» Er war Handwerker, Zimmermann, konnte sich einen Sohn besser vorstellen in der Werkstatt als ein Mädchen. Er dachte handfest und lebensnah.
«Ja, lieber Josef, ein Bub», sagte sie glücklich. Vielleicht hatte ihr der Engel eine Art Gewissheit gegeben, denn vom Leben kannte sie noch wenig. Sie wusste oder ahnte: Mit einer Tochter wäre es schwieriger geworden mit dem Muttergotteswerden. Sie legte ihr Kind an die Brust, und der Kleine wusste sofort, was er zu tun hatte. Auch die grössten Propheten haben einmal ganz bescheiden an der Mutterbrust angefangen.
Der kleine Käfer, der den Namen dieser jungen Frau trägt, kommt sein ganzes Leben lang nicht übers Saugen hinaus. Es saugt um sein Leben, das Marienkäferchen, das Käferchen mit den vielen Namen.
Marienkäferchen, Muttergotteskäferchen
Madonnenkühlein, Frauenkühlein
Johanneskäfer, Herrgottskäfer, Herrgotts Hühnlein,
Herrgottskuh, Marienkälbchen, Himmelkindchen
Herrgottsmugge, Madonnenvogel, Ladybird
Coccinelle settepuntata, la coccinelle, la bête à Bon Dieu
In Frankreich setzen die Kinder la bête ä Bon Dieu auf die Fingerspitze und rufen: «Flieg auf zum Himmel. Reserviere mir einen Platz beim Lieben Gott.»
Von den ehrenden Namen, mit denen der kleine Nützling bedacht wird, hat Maria noch nicht wissen können. Zuerst musste sie ihrem Kind den Namen geben. «Du bist Jesus», sagte sie und war überrascht, dass sie das einfach so gesagt hatte. «Jesus. Ist’s recht, Josef?» – «Musst doch nicht fragen, Maria. Hast es ja vom Engel.» – «Ich wollte doch nur, dass du auch …» – «Ist schon gut, liebe Maria.» Josef ging zu Maria hin, strich dem Kind übers Köpfchen, neigte sich zu ihr und gab ihr einen Kuss. «Nicht jetzt, Josef», sagte sie. Sie hatte gesehen, wie hinter dem Rücken ihres Mannes ein paar Hirten hereinkamen mit Schafen dabei. Das war der Anfang vom Ende ihres privaten Glücks.
Predigt zur Weihnacht
Ihr Ochsen und Esel
Wieder einmal
Seid ihr zur Krippe geströmt
und meint
hier fressen zu können
O nein. Nicht fressen
warm schnaufen
Amen