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Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt

Geliebte Betrüger, Provokateure der Aufmerksamkeit

Gustave Doré: Le chat botté, Holzschnitt von 1862. (Metropolitan Museum, N.Y.)

Blogger Adrian Hürlimann wird in seinem Archiv fündig, als es darum geht, Pioniere der Öffentlichkeitsarbeit dem Vergessen zu entreissen. Er stösst dabei auf einen Unsterblichen.

Hochstapler fand und findet man zu allen Zeiten, Hochstaplerinnen ebenfalls. Ob Werner K. Rey oder Mata Hari, ihre Geschichten füllten die Seiten der Boulevardblätter und verblüfften die vor der Tagesschau versammelte Schweiz. Mal der sogenannten Realität zugehörig, mal der Phantasie von Literaten und Filmemacherinnen entsprungen, haben sie das Zeug, uns zu überraschen und prächtig zu unterhalten.

Einige dieser Lebenskünstler und Abenteurerinnen verschwinden nach dem Blitzlichtgewitter sofort im Dunkel der medialen Entsorgung, andere aber erleben unzählige Remakes und sind bald einmal unsterblich.

Erstere erleben vielleicht ein begrenztes Aufflackern ihrer Existenz, wenn sie innerhalb eines Gerichtsverfahrens nochmals die mediale Bühne betreten dürfen, oft im dekorativen Gefängnisambiente aufgespürt, Letztere verlieren ihre einer bestimmten Epoche verhaftete Identität und mutieren unaufhaltsam zu mythischen Gestalten, die immerfort wiederzukehren pflegen, weil sie niemals tot sind.

Der Auftritt solcher Zauberkünstler und Täuschungsartistinnen hat selbstverständlich etwas von Schauspielerei, von Rollenspiel und Fiktion, von strategischer Ablenkung und von der Kunst des Hinters-Licht-Führens.

Schutzbehauptung Schauspielerei

So ist es denn nicht weiter erstaunlich, dass einer der Grossen seines Fachs, einer der unsterblichen Meister der Hochstapelei, sich als biederer Schauspieler ausgibt. Zur Hochstapelei gehört eben die raffinierte Täuschung mittels gezielter Tiefstapelei. Dabei muss diese, die ins Märchenfach abgeschobene Figur des Gestiefelten Katers, doch als Erfinderin der modernen Public-Relations-Strategien angesehen werden.

Ganz wie etwa der SVP-Stratege Alexander Segert hält er sich bescheiden im Hintergrund und lässt dafür seinen Mandanten auf Breitleinwand auftreten. Aber wie ausgefeilter und durchschlagender sind doch die Effekte seines gewitzten Narrativs, wenn wir sie, gerne auch illustrativ umgesetzt, mit Segerts stümperhaften Plakateditionen um weisse und schwarze Schafe vergleichen, deren Ablaufdatum den Tiefflug der Partei nicht überleben wird!

Der Auftraggeber weiss von nichts, ahnt auch nichts von der Täuschung. Sein Text ist vorgespurt und bedeutungslos: Sein Drahtzieher führt ihn ohnehin ins überraschende Ziel.

In meinem Archiv stiess ich jüngst auf ein Gespräch mit diesem Pionier, das die Bedeutung seiner nachhaltigen Performance deutlich werden lässt und aufschlussreich die Szenarien umreisst, die für die Vorgehensweise eines ganzen Berufsstandes prägend geworden sind. Dieses Gespräch habe ich selber geführt, es zählt zu den erfreulichsten Erinnerungen in meinen Journalistenleben.

Wie Sie aus dem Datum der Illustration von Gustave Doré folgern können, handelt es sich bei dem Interviewten um eine zeitlose Aberjahrhundertgestalt. Wie es sich für Geheimagenten geziemt, reiste er bereits damals, in den Siebzigerjahren, inkognito und hatte sich dafür eine fiktive Biografie zugelegt, diesmal die eines Politikers.

Zeitgenossen im Gespräch

heute: Der gestiefelte Kater

- Herr Minister, wie sind Sie eigentlich zu ihrem Namen gekommen?

Nun ja, sie müssen doch zugeben, gestiefelte Kater sieht man nicht besonders oft …

- … und Katzen in hohen politischen Ämtern wohl auch nicht. Wie kam es denn zu dieser beispiellosen Karriere?

Ich war und bin in erster Linie Schauspieler. Wie Ronald Reagan oder Arnold Schwarzenegger schafft so mancher in diesem Beruf den Sprung in die Politik …

Als Schauspieler war es mir von Beginn meiner Laufbahn an wichtig, einen bestimmten Typus, eine Kunstfigur zum Leben zu erwecken, eine Ikone zu werden.

- Nun, das will ja jeder. Um zu solchem Erfolg zu kommen, bedarf es aber der Leistungen, der Netzwerke, der Macht auch …

Am Anfang standen die Marktanalyse und die USP. Als ich vom Wunsch des Köngishofs erfuhr, Rebhühner auf den Tisch zu bringen, war es mir ein Leichtes, mich am Hof beliebt und unverzichtbar zu machen. Es schien mir aber ratsam, diese Verdienste als Weidmann nicht sinnlos mir selbst zuzuschanzen, sondern meinen armen Herrn etwas besser dastehen zu lassen. Als spendablen Lebenskünstler nämlich. Selbstlosigkeit wird ja von vielen als Tugend angesehen.

- Na, übertreiben Sie mal nicht. Wie ging es dann weiter?

Informiertheit ist alles. Als ich eines Tages erfuhr, dass der Kutscher mit der Prinzessin zum See fahren sollte, zögerte ich nicht, meinen grossen Coup zu landen.

- Sie meinen das mit den verschwundenen Kleidern?

Richtig. Ich bot meinen Herrn auf und brachte ihn dazu, sogleich ein Bad im See zu nehmen. Dann versteckte ich seine Kleider und wartete darauf, dass er, nackt wie er war, panikartig herumzetern würde.

Wie erwartet fuhr die Kutsche samt König und Prinzessin am Ufer vorbei. Ich stoppte das noble Gefährt und rief um Hilfe, weil mein Herr, ein veritabler «Graf», um seine vornehmen Kleider gekommen sei. Kleider machen Leute und so kam es, dass mein Herr, vom Hof bestens eingekleidet, in der Kutsche sozusagen per Anhalter befördert wurde und erst noch bei der Prinzessin einigen Eindruck hinterliess.

- Nun hatte ja dieser sogenannte Graf weiter rein gar nichts zu bieten …

Kein Problem für eine geschickte PR-Aktion. Als ich erfahren hatte, dass die regionalen Wiesen, Felder und Wälder alle dem Zauberer gehörten, schärfte ich den Landarbeitern ein, sie sollten den bald anrollenden König wissen lassen, dass all dies «dem Grafen» gehöre. Diese armen und eingeschüchterten Leutchen taten sofort wie geheissen.

- Mit PR-Lügen kommt man im Allgemeinen nicht sehr weit …

Deshalb wurde es ja auch Zeit für meinen nächsten Coup. Ich fand selbstverständlich das Schloss des Zauberers und mit diesem machte ich kurzen Prozess.

- Hört, hört! Und wie wollen Sie das eingefädelt haben?

Der Zauberer war nun mal ein eingebildeter Selbstdarsteller. Es bedurfte nur einiger Schmeicheleien, seine Verwandlungskünste betreffend, und einiger Strategie, um ihn schachmatt zu setzen: Nachdem er mit grossen Tieren bluffte, forderte ich ihn mit der Aufgabe heraus, mal die Gestalt einer Maus anzunehmen. Er fiel darauf herein und bot sich mir sozusagen zum Frass an.

Den Rest der Geschichte kennen Sie ja. Mein Herr installierte sich im Schloss und heiratete bald einmal die Prinzessin. Und ich gab mich, bescheiden, wie ich nun mal bin, mit einem Ministerposten zufrieden.

- Stiefel und Tarnanzug hatten sie ja bereits. Ihnen gefällt die Rolle des Drahtziehers im Hintergrund eben besser!

Tarnanzug, sehr witzig! Ja, wir Schauspieler taugen nun mal nicht fürs wirkliche Leben. Die Bühne ist alles und der Schein ist unsere grosse Kunst. Ob wir nun Regie führen oder selber eine Rolle spielen. Aber bitte besser als dieser untalentierte Zauberer! Der gekonnte Schein ist mehr als die plumpe Macht. Ich tarne mich als Apparatschnik, bin aber eigentlich ein Star!

- Davon haben sie uns überzeugt. Danke, Herr Minister, für dieses aufschlussreiche Gespräch.

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