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Thomas Brändle

Figugegl mit Al Dente Capone

Der legendäre Al Capone. (Bild: CP Photo Archive)

Canale Palermo Culinaria ist mehr als Pizzabacken, Pastaschlemmen und Weinverkosten. Der amerikanische Kultsender ist hartgesotten, abgebrüht und kocht alles und jeden weich. Enjoy your meal!

Canale Palermo Culinaria ist mehr als Pizzabacken, Pastaschlemmen und Weinverkosten. Der amerikanische Kultsender ist hartgesotten, abgebrüht und kocht alles und jeden weich. Enjoy your meal!

«Frühstück zwischen sieben und acht. Um neun muss das Zimmer geräumt sein», befahl der hässliche Kobold über den klebrigen Tresen der Rezeption hinweg, drückte mir den Zimmerschlüssel, eine Rolle staubiges Toilettenpapier und die klebrige Fernbedienung für die Glotze in die Hand und deutete mit einer läppischen Handbewegung zum Fahrstuhl: «12. Stock.»

Ich war erleichtert, in New York City doch noch eine erschwingliche Bleibe gefunden zu haben, ohne dafür einen Kleinkredit aufnehmen zu müssen. Es war ja nur für eine Nacht. Morgen sollte ich heim in die Schweiz fliegen.

Ich stand eine Viertelstunde unter der Dusche, schwang mich anschliessend aufs Bett und zappte flink durchs amerikanische Fernsehangebot, wo es einfach für jede noch so exotische Zielgruppe einen eigenen Spartensender gab. Den Kanal mit den wiedergeborenen Elvissen kannte ich schon von meinem letzten Amerikaaufenthalt, die Fernsehprediger mit den zuverlässig präzis verfehlten Weltuntergangsprophezeiungen schienen eine nach wie vor ungebrochene Nachfrage zu befriedigen und auch der Sender «Literatur für Analphabeten», moderiert von Parisette Milton, war mir in zweifelhafter Erinnerung geblieben.

Dieses Mal blieb ich bei einer dieser Kochsendungen hängen, wie sie sich im globalen TV-Dschungel schon seit längerem inflationär vermehrten. Alles schien sich neuerdings nur noch in der Küche abzuspielen. Küchen waren zu den Nabeln der Welt aufgestiegen. Selbst die regelmässig wiederkehrenden Nahostfriedensgespräche fanden inzwischen in der Küche von Camp David statt. Israel versiebte die Vorspeise, die Palästinenser versalzten den Hauptgang und der US-Präsident liess dann einmal mehr den Pizzaservice kommen. Schnell hatte ich mir einen Überblick über das Sendekonzept verschafft. Eine rustikale Kochstube in sizilianischem Ambiente war die Bühne für den Gastgeber Al «Dente» Capone, angeblich ein Enkel des legendären Paten von Chicago. Beim geselligen Kochen pflegte er ein nettes Geplauder mit einem prominenten Gast aus der Welt des organisierten Verbrechens oder einem artverwandten Verband über Godfather und die Welt.

«Lange hatte er mich hingehalten. Ich freue mich sehr. Begrüssen Sie mit mir unseren heutigen Stargast Joseph Butler, den Sonnenkönig des Weltfussballverbandes VIVA!», brüllte der Gastgeber dem erwartungsvollen Studiopublikum begeistert entgegen, das ihm mit frenetischem Applaus antwortete.

Capone, ein charmanter, schlanker Beau mit stark gegeltem, schwarzem Haar, in weite Flanellhose und massgeschneidertes Seidenhemd gekleidet, umarmte den pummeligen Herrn mit dem dünnen Haarkranz herzhaft und schmatzte ihm einen gehörigen Kuss auf die feiste Wange.

«Schön, dass du nun endlich meiner Einladung nachgekommen bist, Jo.»

«Ich danke dir, Al. Ich freue mich hier zu sein.»

«Was hast du uns mitgebracht? Was kochen wir beide heute Feines?»

«Ein traditionelles Schweizer Käsefondue, so wie es meine Grossmutter immer gemacht hat.»

Applaus brandete durchs Studio.

Nachdem der illustre Gast die einzelnen Zutaten auf dem Tisch ausgebreitet und vorgestellt hatte, begann Capone auf Anweisung den Knoblauch zu schälen und Butler mit einem Holzspatel in der Käsemischung zu stochern.

«Erstaunlich, wie du deinen Laden im Griff hast, Jo», lud der Gastgeber seinen Küchengast zum Gespräch über dessen Arbeit ein.

«Man muss die Dinge mit Liebe tun, wenn sie gelingen sollen», parierte Butler mit telegenem Grinsen. «Ich habe ein gutes Team. Man muss die Menschen, mit denen man Grosses bewegen will, ab und zu auch loben, positiv motivieren.»

Ich griff nach meinen Käsecrackern, die ich aus dem Automaten im Flur mitgebracht hatte.

«Wer bekommt denn nun den Zuschlag für die nächste VIVA-Fussballweltmeisterschaft?», fragte Capone forsch. «Gibt es schon eine Tendenz?»

«Du meinst die im Jahr 2034, Al?»

«Ist 2026 schon vergeben?»

«Bald. Es kann sich nur noch um zehn bis zwölf Millionen handeln», entgegnete Butler knapp.

«Wird es dann Fussbälle mit Computerchips und den Videobeweis zur Unterstützung des Schiedsrichters geben?»

Butler verlangte etwas ungehalten nach den gehäuteten Knoblauchzehen.

«Genauso musst du das Caquelon ausreiben, damit das Fondue gelingt», wies er seinen Gehilfen an. «Videobeweis? Ich bitte dich. Wem nutzen Beweise? Wie kann man auf dieser Basis dann noch vernünftig verhandeln? Vielfältige Optionen beleben die Freude am Sport nachweislich.»

Ich biss mir auf die Zunge und prüfte das Haltbarkeitsdatum der Crackers. Sie wurden noch vor der letzten WM in Argentinien abgepackt.

«Jo, und wie war das jetzt genau mit diesem Schiedsrichter? Erzähl doch mal.»

«Schiedsrichter? Was für ein Schiedsrichter?», erwiderte Butler unwirsch und rührte behutsam den Weisswein in die Käsemischung. «Nicht zu viel auf einmal, ja. Du musst das sehr vorsichtig machen. Das ist übrigens ein Walliser Produkt, ein Chardonnay. Man könnte natürlich auch Apfelwein oder Schampus verwenden.»

«Beim Final zwischen … Mexiko? … ach, du weisst schon … dessen Auto ausgebrannt ist», half Capone nach.

«Ein bedauerlicher Unfall. Ganz dumme Sache. Ich vermute, ein fehlerhaftes Fabrikat. Die Zündung.», stotterte Butler unkonzentriert, «Der Pfeffer ist wichtig, frisch gemahlen muss er sein.»

Ich klaubte den Schokoriegel aus der Jackentasche, den ich am Flughafen gekauft hatte.

«Wie läuft das eigentlich jetzt mit den Fussballwetten? Das scheint etwas ausser Kontrolle geraten? Mein Cousin hat viel Geld verloren. La Famiglia hat keine Freude», hielt Capone das Gespräch in Gang.

«Rühren. Ständig rühren. Am besten wie eine Acht. Eine runde, gleichmässige Bewegung. Bis es köchelt», gab Butler vor, zog Capone zum Herd, damit er sich nun darum kümmerte und wusch sich ausgiebig die Hände, während er mit grossen Augen ins Publikum blickte.

«Das Käsefondue ist für meine Heimat wie die Pizza für Italien oder der Burger für euch Amerikaner», betörte er die Studiozuschauer sympathie-heischend.

Stürmischer Applaus.

«Cousin Giuseppe?», fragte Butler den rührigen Capone flüsternd.

«Luigi», korrigierte Capone. «Cousin Luigi.»

«Schon wieder Luigi? Dumme Sache. Ärgerlich.»

Er, Joseph Butler, müsse dem Fussball noch eine ganze Weile erhalten bleiben. Der Fussball brauche jetzt Stabilität und Bewegung gleichermassen, keine Aufregungen, Streitereien oder Ähnliches, schmeichelte er in die Kameras.

«Also kein Nachfolger in Sicht?», erkundigte sich Capone penetrant.

«Rühren. Nicht vergessen zu rühren», betonte Butler, nahm Capone etwas grob den Kochlöffel aus der Hand. «Es darf keinesfalls anbrennen.»

Begeistertes Klatschen erfüllte den Raum.

«Wir führen Gespräche, machen Abklärungen. Loyalität ist wichtig. Fairplay. Ein Mann mit Referenzen, und einem veritablen Leistungsausweis. Solche Persönlichkeiten sind dünn gesät, mein lieber Al.»

«Luigi wäre möglicherweise interessiert», warf Capone mit ironischem Unterton ein und grinste bis hinter die Ohren, was Butler mit einem milden Lächeln quittiert.

«Gute Idee. Könnte man prüfen. Denken momentan eher an einen nordafrikanischen Diktator. Da sind jetzt einige frei geworden. Noch etwas Pfeffer?»

Butler begann das Brot flink in Würfel zu schneiden, tunkte einen davon prüfend in die dampfende Käsesuppe. «Die Afrikaner lieben den Fussball. Das ist wichtig. Muskat?»

Der Schokoriegel roch eindeutig nach Schuhcreme. In der Minibar entdeckte ich gesalzene Erdnüsse. Leider tiefgefroren.

Ein Stapler rollte ins Fernsehstudio. Auf der Rampe kauerte in einer Blechwanne ein dünner Hüne, gefesselt und mit breitem Klebeband über dem Mund. Butler leerte das Fondue in die Wanne. Cousin Luigi glänzte der Angstschweiss auf der Stirn.

«Ohne Maizena wird das bombenhart, todsicher. Der kommt vor der WM 2030 nicht mehr an die Wasseroberfläche», beteuerte Butler.

Grandioser Applaus.

«Schalten Sie nächste Woche wieder ein, wenn es heisst ‹Kochen mit Al Dente Capone›. Unser Gast ist dann Kardinal Demetrio Calabrese, ein Vertreter der ältesten Famiglia der Welt», verabschiedete sich Capone bei den Zuschauern.

Im Handgepäck fand ich noch ein Hühnerfleischsandwich. Gottseidank!

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