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Wie Bücher von damals noch heute beeinflussen

Die Literatur und die Frauen

Die Solothurner Literaturtage und eine Weglektüre inspirierten Franziska Greising zu diesem Blog. Sie schreibt über Frauen in der Literatur, über den Einfluss von Büchern auf das gesellschaftliche Frauenbild sowie über den Umkehreffekt.

Wer gerne liest oder schreibt, begegnet sich jedes Jahr am Auffahrtswochenende in Solothurn. Auch diesmal schlürften Autorinnen und Autoren an der Aare zusammen ein Bierchen, ein Glas Wein und konsumierten herrliche kleine Sommergerichte. Die neusten Bücher stapelten sich in der Halle der Buchhändler und Buchhändlerinnen, Geschichten wurden gelesen; in vollen Sälen wurde gelauscht, es wurde viel geredet, gegessen, signiert und applaudiert, es wurden Preise vergeben, vermutlich auch Verträge geschlossen oder wenigstens in Aussicht gestellt.

Frauen in der Literaturszene noch immer unterrepräsentiert

Im neu renovierten Stadttheater von Solothurn referierten indessen Annette Hug und Silvia Ricci zusammen mit einem Mann, der vom Buchhändler- und Verlegerverband abgesandt war, zum Thema Machtstrukturen im Literaturbetrieb. Ja, das gibt es. Rund um das stille schöne Buch rattert ein Riesenräderwerk.

Die beiden Frauen zeigten auf, wie es darin so zu- und hergeht. Sie hatten hervorragend recherchiert und nannten eindringliche Zahlen sowie die notwendigen Statistiken dazu. Der Mann schnitt dabei mässig ab mit seinen Argumenten. Die üblichen männlichen Stellungnahmen halt zum Thema Macht im Bereich Männer und Frauen. Frau kennt diese Voten alle. Aber er zeigte, lobenswert, den ihm eigenen Humor.

Um es kurz zu machen: Männer bekommen regelmässig prozentual mehr Preise, mehr Auftritte, mehr Aufmerksamkeit (sprich: Buchbesprechungen in Zeitungen, Aufträge für Presse, Theater, TV oder Radio), in den Jurys sitzen prozentual ebenfalls mehr Männer, und diese sitzen auch noch in weiteren Jurys. Logisch, dass daher mehr Schriftsteller als Schriftstellerinnen Stipendien oder gesponserte Auslandaufenthalte beziehen dürfen.

Und bei den Aufgezeichneten handelt es sich nicht um ein paar wenige Prozente, die man auf die leichte Schulter nehmen könnte. Nein, die fallen ins Gewicht und trafen schon zur Zeit der grossartigen Annette Droste von Hülshoff oder Rahel Varnhagen in viel schlimmerem Mass zu. Mit exakten Zahlen und Fakten veranschaulichten die beiden Frauen auf dem Podium, wie schwierig die Lage weiblicher Schreibender bis heute ist.

Weshalb Frauen in der Literaturszene zu wenig Beachtung finden

Und warum passiert das immer wieder? Und immer noch? Zählt nicht in allererster Linie bei jeglicher Auswahl die Qualität? Antworten darauf gibt es mehrere. Die naheliegendste ist, dass selten die ganze Jury dasselbe Buch mag. Wäre es mal der Fall, käme das Buch selbstverständlich in die vordersten Ränge. Und gesetzt den Fall, es ist von einer Autorin, würde Mann sagen: Schaut her, es geht doch, was habt ihr nur?

Eine andere Antwort auf die Frage, warum immer wieder Frauen übervorteilt werden, wäre beispielsweise der Hinweis auf die gesamtgesellschaftliche Beharrlichkeit des Phänomens, die sich so unendlich schwer überwinden lässt. Sich so unendlich zäh behauptet. Und zwar aus demselben Grund, aus dem die Löhne nicht paritätisch sind, die Chancen nicht gerecht auf Männer und Frauen verteilt werden, aus dem Preise, Buchbesprechungen, Aufträge nicht beiden Geschlechtern zu gleichen Teilen zuerkannt werden.

Und seit die Frauen schreiben – und ich spreche von guter Literatur –, ist diese konstante Ungerechtigkeit einer der Gründe, warum Frauen an ihren Werken zu sehr zweifeln, viele sich vor Lesungen scheuen oder gar nicht dran denken, einen Verlag zu suchen, einen Agenten zu engagieren. Zu oft musste ich während meiner jahrelangen Tätigkeit als Kursleiterin für literarisches Schreiben von Frauen den Satz hören: «Was ich geschrieben habe, ist nicht gut, nur ein Versuch, bitte nicht lachen.»

Mangelndes Selbstbewusstsein weiblicher Autorinnen

Und dabei ging es um nichts weniger als ihre eigene Arbeit, in der sie gewagt hatten, ihr Innerstes preiszugeben. Aber nicht im Stil der Männer, nicht mit deren Selbstbewusstsein. Sie hatten sich in eine fremde Höhle gewagt und trauten dennoch ihren Schritten und ihrer Stimme nicht.

Und wenn wir ehrlich sind, lesen viele von uns, wenn wir die Wahl haben, eher ein Buch von einem Mann. Wir finden einen Männernamen, selbst wenn wir ihn nicht kennen, vielversprechender.

Wir haben zwar in unserem Bücherregal ein paar sehr berühmte Frauennamen wie Astrid Lindgren, Virginia Woolf oder Toni Morrison, aber muss man sie unter den vielen Autorennamen nicht regelrecht suchen?

Es wurde schon viel über die Gründe für dieses Unglück der Frauen nachgedacht und weltweit wurde es erforscht. Und da es so breit und so tief verankert ist, und dabei so wenig auffällt, scheint noch lange kein Ende absehbar zu sein. Wir graben nach den Wurzeln, den Ursprüngen und finden ein gewaltiges Universum von Verknüpfungen und Verwachsungen, ja, auch Verwechslungen und unendlich viele Vorurteile gegenüber Frauenkörpern und Frauenhirnen.

Einseitige Frauenrolle in der Literatur

In den Tagen vor Auffahrt, im Zug nach Solothurn und zurück las ich wieder einmal Hiob von Joseph Roth. Ich nehme es als Beispiel, wie solche Vorurteile unter anderem entstehen konnten. Der Roman ist in zwei Teilen geschrieben. Im Untertitel preist Roth ihn als Roman eines einfachen Mannes an und erzählt vom Juden Mendel Singer.

Dieser lebt bescheiden mit seinen vier Kindern und Deborah, der Frau, in einer schlichten Hütte in einem einfachen Dorf. Sein Jüngster will kaum wachsen, spricht nicht und läuft nicht, denn sein Kopf ist zu gross. Die zwei Ältesten prügelt Mendel, seine zarte Tochter liebkost er.

Deborah arbeitet viel, scheuert jede Woche vor dem Sabath die Böden, kratzt den Schmutz zwischen den Dielen hervor, lüftet das hölzerne Bett, die Strohsäcke. In der Dämmerung zündet sie die Kerzen an und bereitet mit Sorgfalt das ärmliche Festmahl. Sie liebt den verwachsenen Jüngsten, während die Geschwister ihn mehrmals zu töten versuchen. Sie spart sogar vorsorglich unter einem Dielenbrett etwas Geld.

Mendel Singer ist Lehrer und unterrichtet im eigenen bescheidenen Haus. Er ist überaus fromm und beruft sich gern und oft auf Gott. Sein Eheleben aber lässt nichts zu wünschen übrig, bis er beschliesst, dass es jetzt vorbei sei mit Sex. Während er sich früher sehr am Fleisch Deborahs ergötzen mochte, wie Roth schreibt, beschliesst er, als die Söhne zum Militär eingezogen werden, damit sei jetzt Schluss.

Frauenrolle auch in der Weltliteratur unvorteilhaft

Roth zeichnet ein so negatives Bild dieser alternden Frau, die, laut Roth, keine Gelegenheit vorüberziehen lässt, um boshaft zu sein, dass es mir nur mit Anstrengung und viel gutem Willen gelingt, sie mir liebenswert oder zärtlich zu denken. Die Tochter, anfänglich ein kleines Flittchen, aufmüpfig und frech, endet, wie so viele Frauen in der klassischen Literatur, im Irrenhaus.

Statt sie zur interessanten Figur werden zu lassen, weiss Roth nichts mehr mit ihr anzufangen. Mit den Männerfiguren dagegen schon, die mag man mehr und mehr beim Lesen. Roth ist ein kraftvoller leidenschaftlicher Erzähler, es ist schwer, sich seinen Suggestionen zu entziehen.

Wir haben uns viele unvorteilhafte Bilder weiblicher Rollenträger einverleibt, dachte ich im Zug nach Hause. Sind wir nicht, entweder freiwillig oder durch Pflichtlektüren, immer wieder solch zweifelhaften literarischen Frauengestalten begegnet? Und längst nicht nur bei Joseph Roth. Es fängt ja – mit wenigen Ausnahmen – bereits in den Kinderbüchern an. Jungen wie Mädchen haben das alles meist kritiklos gelesen, ja bisweilen inhaliert.

Mit der Folge, dass das Beschriebene für alle Zeit ihr und unser Unterbewusstsein formte. Und später weiss man nicht mehr, wie es zu gewissen Voreingenommenheiten eigentlich gekommen ist. Während die Frauen unermüdlich gegen allerlei Klischees ankämpfen, wird das Denken vieler Männer u.a. von solch angelesenen Eindrücken gelenkt.

Darum ist es von Bedeutung, dass auch die Literatur sich ernstlich fragt, was sie dazu beiträgt, wenn Frauen und ihre Bücher immer noch nicht als ebenbürtig und vollwertig erkannt werden, und warum sie, die Literatur, immer noch nach dem neuen Max Frisch sucht und nicht beispielsweise nach der neuen Iris von Roten.

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