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Tödliche Konsequenzen

Der saubere Tod

Einsam sterben mit dem treuen Freund und Helfer: Jack Daniels.

(Bild: pixabay)

Manche Berufe haben tödliche Konsequenzen. Das trifft auch auf Alkoholiker zu: Sie sterben an Leberzirrhose. Mal schneller, mal langsamer. Mal mit mehr oder weniger Liebe. So ist das. Jedenfalls bei Herrn Tanner und Herrn Sennhauser. 

Der Geschäftsinhaber eines Waffenladens wurde erschossen in seinem Laden aufgefunden. Ein Kunde hatte die Pistole gezogen und aus kurzer Distanz auf den Mann geschossen. Dass ein Waffenladenbesitzer erschossen wird, erstaunt nicht wirklich – die Art des Sterbens hat oft eine gewisse Logik: Der Bahnarbeiter wird von einem Zug überrollt, der Waldarbeiter von einem Ast erschlagen, der Sprengmeister unter einem Felssturz begraben und die Tierpflegerin von einem Löwen gefressen.

Bei anderen Berufsgruppen ist es ungewisser: Der Schneider stirbt vielleicht an Herzstechen, Verkäuferinnen verstauben als Ladenhüterinnen, Drummer erleiden einen Schlaganfall und Journalisten lösen sich spurlos in einer fremden Geschichte auf. Aber wie gesagt: Das sind Vermutungen.

Derangierte Herzen pflegen

Eine fast banale Logik hat die Todesursache bei schweren Alkoholikern. Sie sterben an Leberzirrhose und das kann unerwartet und schnell gehen. So schnell, dass es schon vorüber ist, bevor der Betroffene merkt, dass er gleich stirbt oder schon gestorben ist. So geschehen zum Beispiel bei Herrn Tanner, dessen Leber sich eines Nachts gegen drei Uhr plötzlich verselbstständigt hat. Sie habe sich geradezu aufgebäumt, gespuckt und geschäumt und das Blut soll ein paar Meter weit an die Wände gespritzt sein. Das hat die Frau gesagt, die ihn in den Armen hielt, während es passierte. Tanner sei zufällig bei ihr gewesen, ein guter Kumpel in schweren Zeiten. Sie beide hätten sich ab und zu gegenseitig um ihre derangierten Herzen gekümmert. «Aber Liebe war das nicht», sagte die Frau später. Wenn das nicht Liebe ist, was ist Liebe dann?

Sennhauser beschliesst den Abgang

Komplizierter und garantiert liebloser war die gleiche Sache bei Herrn Sennhauser: Auch seine Leber war kaputt, aber sie hatte es nicht so eilig wie jene von Tanner. Zuerst breitete sie sich kräftig aus und nahm einen grossen Teil seiner Bauchhöhle in Anspruch. Der eher dünne Sennhauser hatte plötzlich einen dicken Bauch, als wäre er im sechsten Monat schwanger. «Jetzt müssen Sie sich nicht mehr die Mühe zu nehmen, die Flasche in der Schreibtischschublade vor Ihrer Frau zu verstecken», sagte der Arzt und gab ihm noch einen Monat bis zum Kollaps.

Sennhauser zog aus der gemeinsamen Wohnung aus und installierte sich auf einem Campingplatz in seinem Ferienwohnwagen. Mit im Gepäck hatte er kaum etwas ausser ein paar Flaschen Whisky. Daraus trank er, wenn er vor dem Wagen sass und in die auf- und untergehende Sonne stierte. Tag für Tag spürte Sennhauser, wie seine Leber grösser wurde. Manchmal hüpfte sie im Bauch herum und versetzte ihm heftige Stiche. Als die Schmerzen in immer kürzeren Abständen auftraten und der Whisky nicht mehr dagegen half, beschloss Sennhauser, einen Abgang zu machen. Er teilte seiner Frau mit, dass er mit einer Sterbehilfeorganisation aus dem Leben scheiden werde, und leitete alle Formalitäten ein.

Sennhausers Frau bestand darauf, dass der Tod weder auf dem Campingplatz noch in der gemeinsamen Wohnung stattfinden solle – sie sorgte sich darum, dass ihre Bekannten und Freundinnen etwas davon mitbekommen könnten, ein gefundenes Fressen. Doch wo sonst könnte Sennhauser in Ruhe sterben? Man einigte sich auf die Wohnung einer entfernten Bekannten, die sich einverstanden erklärte und Verschwiegenheit gelobte.

Drapiert mit Kerzen und Räucherstäbchen

Zum ausgemachten Zeitpunkt wurde das Zimmer, in dem Sennhauser seine letzten Minuten verbringen würde, schön hergerichtet. Die zugezogenen Vorhänge sorgten für dezente Dunkelheit, im ganzen Raum wurden Kerzen und Räucherstäbchen aufgestellt. Als Sennhauser eintraf, herrschte eine schummrige und romantische Stimmung, obschon es mitten am Tag und draussen sonnig war.

Sennhauser setzte sich ächzend aufs Sofa, die Leber liess ihm mittlerweile keine ruhige Sekunde mehr. Seine Frau stellte einen Strauss Rosen auf den Tisch, zog einen Stuhl neben das Sofa und plauderte mit der anwesenden Bekannten über dies und das. Die Stimmung war geradezu aufgeräumt, als es klingelte und zwei Männer von der Sterbehilfeorganisation vor der Tür standen. Sie wurden hereingebeten und dann ging alles schnell. Sennhauser wurde gefragt, ob er seine Meinung nicht geändert habe und noch immer sterben wolle. Als er bejahte, öffnete einer der Männer die mitgebrachte Tasche, zog ein kleines Fläschchen heraus und schüttete die tödliche Mixtur in einen Becher.

Der letzte Wunsch? Vergiss es!

Beim Anblick des Fläschchens äusserte Sennhauser den Wunsch, noch einen letzten und grosszügigen Schluck Whisky zu nehmen. Doch seine Frau widersprach vehement. «Ich will, dass du wenigstens beim Sterben nüchtern bist. Trink!», sagte sie und schob den Plastikbecher ungeduldig in Sennhausers Richtung.

Sennhauser griff nach dem kleinen Becher und spülte das tödliche Getränk in einem einzigen Schluck hinunter. Mit einem Knall stellte er den leeren Becher zurück auf den Tisch und lehnte sich im Sofa zurück. Seine Frau schaute auf die Uhr. Nach wenigen Minuten wurde Sennhauser schläfrig. Er schloss die Augen und starb, ohne das Wort nochmals an seine Frau zu richten oder ihr einen letzten Blick zu schenken. Wozu auch?

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