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Max Huwyler

Beten um Geld

Rückseite einer Goldmünze von 1726. (Bild: Money Museum Zürich)

Das Zuger Volk von früher hatte seine Heiligen, zu denen sich in Not um Hilfe beten liess: Sankt Martin und Sankt Andreas. Was wenn heutige Politiker eine Nacht um gerechten Finanzausgleich beten würden?

Herbst. Zeit für die Zinsherren, vor Jahresende die angefallenen Zinsen einzufordern. Zeit für die Abhängigen, das Gebergeld zusammenzuzählen. Zinstage lasteten oft schwer auf den Minderbemittelten. Zinstage waren der Martinstag, der 11. November, und der Andreastag am 30. November. Das fromme Volk hatte seine Heiligen, zu denen sich in Not um Hilfe beten liess: Sankt Martin und Sankt Andreas.

Martinus war aus gutem Haus, Sohn eines römischen Offiziers, also ein Heide. Er wurde Christ und Büsser, war ein Aussteiger. Er schaffte es dann doch zum Bischof von Tours. Legendär ist die Geschichte von Martin als Ritter auf einem weissen Pferd, der mit dem Schwert seinen weiten Mantel teilt, um eines Bettlers Blösse zu decken und ihn vor Kälte zu schützen. Schwertmacher und Schneider nahmen Sankt Martin zum Schutzpatron.

Andreas war Apostel, Bruder des temperamentvollen Petrus. Sie waren erst einmal Juden, dann fasziniert von diesem charismatischen Aussenseiter, Sozialreformer, ein Prophet aus einfachem Haus. Andreas war Zeuge, als Jesus mit fünf Gerstenbroten und zwei Fischen eine Masse verzweifelter Menschen zu Essen verhalf. Die Szene wird als Speisung der 5’000 in den biblischen Geschichten erzählt. Andreas wurde unter Kaiser Nero hingerichtet durch Kreuzigung am quer liegenden Kreuz, dem Andreaskreuz. Der Heilige Andreas wird angerufen von Menschen in Not.

«Wir wissen nicht, ob Andreas reich war oder arm», steht im Buch der Heiligen. In einem Sagenbuch aus dem 19. Jahrhundert steht diese Geschichte:

«Nach einem Gebrauch zu Menzingen im Kanton Zug erwartete man von St. Andreas auch Geld. Am Abend seiner Vegil zum 30. November, auf welche Frist man bis ins 18. Jahrhundert hinein Zinsen und Zehnten zu entrichten hatte, ward eine Mutte voll Wasser in die oberste Kammer des Hauses gestellt, an welcher sich dann in der Runde die Hausgenossen auf die Knie warfen, um die ganze Nacht hindurch zu beten, in der Erwartung, dass ein guter Geist ihnen Geld in das Wasser lege.»
Nehmt, geneigte Leser, das, was hier erzählt ist, nicht als abergläubischen Humbug. Nehmt es als Geschichte von verzweifelten Armen, die nicht wussten, wie sie Zinsen und Zehnten zusammenbringen sollten auf Andreastag. – Bis zur Helvetik war Menzingen eine Vogtei, Untertanenland der Stadt Zug. Den Stadtzuger Zinseintreibern ist die Französische Revolution in die Knochen gefahren. Schwer vorstellbar, dass sich heutige Stadtherren im Dachstock des Stadthauses um eine mit Wasser gefüllte Gelte versammeln, sich auf die Knie werfen und eine Nacht durch beten um gerechten Finanzausgleich.

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