Als die Esel noch sprechen konnten
Esel gelten als gutmütig und ein bisschen stur. Über Weihnachten haben Sie immer besonders viel zu tun, wer sonst soll all diese Geschenke zu den Weihnachtskindern schleppen. Dass einem dabei mal die Puste ausgehen kann, liegt auf der Hand, wie Bloggerin Katja Zuniga Togni weiss.
Was kommt Ihnen in den Sinn, wenn Sie an Esel denken?
Gleich das Schimpfwort «dummer Esel»?
Denken Sie an ein Esel-Trekking? An den Samichlaus?
Je heisser die Spur wird, desto kälter wird es für die genügsamen Esel. Denn diese Geschichte handelt nicht von dummen und störrischen Exemplaren. Sie ist auch keine Abhandlung über Abstammung und Habitate dieser Huftiere.
Dies ist ganz einfach eine Dezembergeschichte. Sie hätte gerade so gut von Kamelen handeln können, oder von Quallen. Doch die kommen im nächsten Jahr dran.
Heute lesen Sie die wahre Geschichte der Esel, die wie alle Tiere einmal sprechen konnten.
Immer im Dezember
Früher, als die Tiere noch sprechen konnten, gab es auch Esel. Die Esel hatten kein Fell. Sie hatten einfach eine Haut. Eine warme, feste Haut, wie Schlangen sie haben. Oder junge Eidechsen. Ihre Haut schimmerte in bräunlich-goldenen Tönen, sie glitzerte in gräulich-weisslichen Nuancen oder glänzte gar in nächtlichem Schwarz. Die Esel waren stolz auf ihr geschmeidiges Aussehen. Sie brauchten neben ein paar Strohhalmen gar nicht mehr zum Leben, denn in den kalten Nächten verkrochen sie sich tief in ihre Höhlen und schmiegten sich an ihre Artgenossen. So musste kein Esel frieren.
Die ganze Geschichte mit dem Fell begann eigentlich erst im Dezember.
Ein Esel schleppt Geschenke, bis er bricht …
Damals wurden die Esel zum Gepäckdienst eingeteilt. Sie schleppten unermüdlich Säcke voller Geschenke. Sie arbeiteten für Bischöfe, für Samichläuse und auch für Weihnachtsmänner. Kaum wehte der stürmische Herbstwind die Blätter von den Bäumen, wurden die Esel in Herden zusammengetrieben und in die Wälder entführt.
Vor allem im hohen Norden mussten sie lange nach Sonnenuntergang noch arbeiten, und die Höhlen, wo sie hätten übernachten können, waren zugefroren. So standen sie schutzlos in der klirrenden Kälte. Ihre glatte Haut war rau geworden, schmerzhafte Risse und Schürfungen machte den Gepäckdienst zu einer unerfreulichen und quälenden Angelegenheit, die Esel litten, und die Trauer wich nicht mehr aus ihren Blicken.
Die Bitte des Esels
Da trottete ein Eselsbote zum lieben Gott und sprach:
«Lieber Gott, bitte hilf uns!»
«Oh, ein Esel! Was kann ich für dich tun?», antwortete dieser. «Du weisst, wir arbeiten sehr gern und möchten weiterhin auch dort arbeiten, wo Schnee liegt und Dunkelheit herrscht. Aber mit unserer Haut ist das so eine Sache. Die schützt uns einfach überhaupt nicht vor Kälte.»
«Soll ich sie doppelt so dick machen, diese Haut? Das wäre ganz einfach!», versprach der liebe Gott.
«Das hilfst uns nicht weiter!», klagte der Esel. «Wenn es ganz dumm kommt, so wird die Haut durch den Regen und den Schnee eisig glatt und die uns aufgeladenen Säcke rutschen immer wieder zu Boden.»
«Hmmmmm! Ich sehe!», sprach der liebe Gott, obwohl er die Augen geschlossen hielt. «Keine Angst, ich kann euch helfen!» Er hob seinen Blick und schaute tief in die braunen, traurigen Augen des Esels.
«Du weisst», fuhr er fort, «allen Tieren, die sprechen können, steht ein Wunsch frei. Ich werde dir und somit allen Eseln diesen Wunsch nach einer wärmeren Haut also erfüllen, aber ihr werdet in Folge die menschliche Sprache nicht mehr sprechen können.»
Esel gut, alles gut
«Ja, das geht schon in Ordnung. Hauptsache, wir frieren nicht mehr so», antwortete der Esel in seinem schönsten Bariton und kehrte zufrieden zu seiner Herde zurück.
So geschah es, und Gott schenkte den Eseln ein dichtes Fell. Im Winter wuchsen ihnen zusätzliche wollige Haare, damit sie in der Nacht draussen stehen bleiben konnten und nicht mehr froren.
Von diesem Tag an sprachen die Esel nicht mehr die Sprache der Menschen. Sie konnten sie aber weiterhin verstehen. Und wenn die Menschen nicht achtsam mit ihnen umgingen, so bockten sie und liessen sich erst durch sanftes Zureden beschwichtigen. In manchen Nächten aber, vor allem, wenn die Sonne nicht untergehen wollte und sich eine bleierne Hitze über die schlaflosen Menschen legte, hörten diese die Esel sprechen und glaubten sie zu verstehen.
Und dann sprach ein erwachsener Mensch sogar in der Eselssprache mit ihnen, als ob er einer von ihnen wäre.