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Kinosterben in den Städten

Zug: Wo der Samstagabend tot ist

In der Zuger Neustadt seit 1923: das Kino Gotthard. (Bild: zvg)

Das Aus der beiden Luzerner Kinos Capitol und Moderne schmerzt (zentralplus berichtete). zentralplus-Blogger Adrian Hürlimann vermisst grundsätzlich die Wertschätzung der Innenstadtkinos. Der Co-Besitzer der Zuger Kinos sieht mit deren Sterben auch das Aus für das Leben in den urbanen Zentren gekommen.

Niemand bedauert das Sterben der Mainstream-Kinos in unseren Städten? Ich bin dieser Niemand, ich trauere ihnen nach. Ich bin zwar nicht besonders auf «Spiderman», «Uncharted» oder die «Avengers» ausgerichtet, aber mir würde etwas fehlen, wenn es nur noch kommunal und regional gestützte Arthouse-Säle geben würde. Die grossen Meisterwerke der Autorinnen-Regisseurinnen, sie wären ohne das Unterholz der A- und B-Filme kommerzieller Machart nicht denkbar. Sowohl, was die Produktion betrifft als auch betreffend der Breite der Publikumsauswertung.

Der Rolls-Royce unter den Medien

Es geht um Unterhaltung und Auseinandersetzung mit komplexen Inhalten gleichermassen. Der Zuschauer ist ein Examinator, aber ein zerstreuter, so formulierte es Walter Benjamin.

«Mach dir ein paar frohe Stunden, geh ins Kino!», so hiess das in den Fünfzigerjahren, als der Film noch als der Rolls-Royce unter den Medien figurierte und den öffentlichen Raum mit Sensationen und Klatsch besetzte. Spass und Anregung, das alles gehörte zusammen, als ein Kulturpaket, von dem alle geträumt hatten – Kafka zum Beispiel, «o hätte ich das Kino!» – und dem wir heute nachtrauern.

Kampflos zum Allerlei

Denn Film war nicht nur das gefährliche Medium, in dem gesellschaftskritische, blasphemische oder gar revolutionäre Ansichten vermittelt wurden. Sondern auch die Gefährdung Nr. 1 der Jugend. Um die «Verrohung der Sitten» bangten die Sittenwächter von Kirche und Staat. Und die Zensurbehörden schnipselten jeden nackten Knöchel einer Tänzerin wild entschlossen weg, als ginge es um den Untergang der frommen Welt. Gefürchtet war die übernationale, kaum einzudämmende Dominanz der gewagten Inhalte mit Sex and Crime, denen die selbsternannten oder beauftragten Sittenwächter vergeblich hinterherzueilen sich mühten.

Lebten sie noch, so würden sie zweifellos staunen über die Omnipräsenz der Inhalte in den Streamingangeboten, die niemand mehr aufhalten kann – oder will? Zahm, mehrheitsfähig und politisch korrekt kommt das alles daher. Den konkreten Ansprechpartner gibt es nicht mehr, Echo oder Kommentar genauso wenig. An wen sollte der Einwand, die Kritik, denn gerichtet sein? Und würde sie, kaum vorgebracht, nicht automatisch als Optimierung der Stromlinienförmigkeit ins Produkt implementiert?

Unique selling proposition

Natürlich freut es mich zu hören, dass die Digital Natives in jüngster Zeit ins Kino zurückkehren, wo sie Blockbuster wie «The Batman», «Star Wars» oder «Avatar» zu Milliardenumsätzen verhelfen. Anders als ihre Väter sind sie nicht mehr gezwungen, ihr Alter verbergend an der Kasse der Revolverküchen vorbeizuschleichen. Damals ging es um eine Kultur der Öffentlichkeit, um Schocks, Sensation und Skandal. Gelobt wurde kaum, gewarnt umso mehr. Dem steht heute die unendliche Verfügbarkeit von Produkten entgegen, die sich im unendlichen Angebot verlieren und die niemand zu fürchten braucht.

Immer schon ging es um attraktive Stoffe und Erzählungen, ob sie nun die Flucht aus dem Alltag beförderten oder zur Konfrontation mit diesem führten. Aber nur im Kino gibt es die organisierte Reise ins Ungewisse. Nur im dunklen Saal lässt sich das Publikum auf eine Erfahrung ein, analog und in Echtzeit, als Teilnehmende in einer anonymen Masse. Nur vor der Leinwand liefert es sich der intensiven Rezeption von narrativen Inszenierungen aus. Zappen gibt es hier nicht, Pausieren oder auf später verschieben auch nicht. Es geschieht alles im Hier und Jetzt und im Miteinander.

Kinogenuss in Fussdistanz

Und genau das ist der Grund, weshalb ich das Kino in der Innenstadt antreffen möchte und nicht in der Emmen-Bronx oder in Amplikon. Ich hätte es gern in Fussdistanz und mehrmals zu verschiedenen Tageszeiten. Ich möchte die Gelegenheit vor Ort und spontan wahrnehmen, ich will mich nicht Wochen vorher um Reservationen kümmern oder möglicherweise noch umziehen müssen wie beim Opernbesuch. Ohne Verabredungen sein – aus dem Alter der Flirts und Einladungen bin ich längst hinaus – und zwei Stunden lang abtauchen oder mich entführen lassen, weg vom lauten Trubel, vor oder nach dem Apéro in der benachbarten Bar. Ich bin eben Laufkundschaft.

Die unaufhaltsame Betriebsamkeit nervt zuweilen, der Verkehr sowieso. Aber plötzlich ist alles aus. Es wird ruhig am Abend in den Stadtzentren. Die Pendler sind weg, die Läden machen zu. Am Wochenende erst recht. Die Stadt Zug zum Beispiel ist an einem Samstagabend leergefegt und tot.

Die Clubszene geht woanders ab, die Stadien und Sportplätze liegen in der Agglo. Was wird geboten in der Innenstadt? Was verhindert, dass ich auf den dunklen, einsamen Seitenstrassen ermordet werde? Es ist das Kino, das mit neonhellem Schriftzug zum Besuch einlädt. Es ist immer da, auch in Zeiten, da alles geschlossen ist, jeden Abend, während der Sonntagsruhe, am montäglichen Wirtesonntag.

Niederschwellig, aber nicht gratis

Sein Angebot ist niederschwellig und lockt allerhand Volk aus den Häusern, vielleicht aus den Vorstädten ins Zentrum zurück. Wie ist das nun in Luzern, ohne das Moderne und das Capitol? Wie steht es um die vielbeschworene Attraktivität der Innenstadt? Wie ist das Schweigen der Stadtentwickler und anderer zünftiger Schreibtischtäter zu deuten? In Basel haben die Planer die städtebauliche Bedeutung des Kinos erkannt und tun etwas für den Erhalt. In Luzern begnügt man sich mit einem letzten Arthouse-Betrieb und vielen Uhrenläden. Und in Zug tut man gar nichts, um die bestehenden drei Säle zu retten.

«Wir erleben eine apokalyptische Couch-Potato-Welle», so konstatierte der langjährige Berlinale-Leiter Dieter Kosslick, «eine träge Herde, die sich auch nach den Corona-Zeiten nicht mehr aus ihren Wohnzimmern wegbewegen soll.»

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3 Kommentare
  • Profilfoto von Lutzab2
    Lutzab2, 28.06.2022, 10:18 Uhr

    Danke für den Beitrag. Schade, dass es mit den Kinos nicht gut ausgegangen ist. Als Kino im Raum Luzern gibt es noch eins neben der Mall of Switzerland.

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  • Profilfoto von Peterli1
    Peterli1, 15.03.2022, 14:42 Uhr

    Es ist simpel. Ich kann mich nicht einmal mehr erinnern, wann ich einen guten Film gesehen habe. Die letzten 4 Jahre haben, mit Ausnahme von vielleicht 2-3 Filmen, nur minderwertiges herausgegeben. Risiko wird heute nicht mehr eingegangen, sei es von den Kino-Betreibern, als auch von den Produzenten. Das führt zu Avengers 23, Spidermann 55, etc oder ganz viel CGI. Das grosse Kino wie früher wird es auch nie mehr geben, wie das Streaming die Superstars der Musik weggefegt hat. Heute gibt es viel Nische. Damit kann ein Kino wohl seine Auslagen nicht decken.

    «Die Stadt Zug zum Beispiel ist an einem Samstagabend leergefegt und tot.»
    Hier gibt es zwei Faktoren. Einerseits bist du ein Teil des Problems, denn wer nicht daran teilnimmt, ergibt sich auch kein Angebot. Es ist nicht so tot, wie man denkt, jedoch kann dieses ja leider nicht in der Öffentlichkeit stattfinden. Andererseits: Stetige Lärmklagen und Auflagen haben dazu geführt, dass einige resigniert haben (oder die Miete zu teuer?).

    Ironie, wer im Kino ist, ist auch nicht sichtbar und trägt zum leergefegten öffentlichen Raum bei.

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    • Profilfoto von Black Pearl
      Black Pearl, 15.03.2022, 17:11 Uhr

      Ich habe kürzlich Drive My Car gesehen und fand den Film grossartig. Die Zuger Kinos sind top, ganz im Unterschied zum Capitol in Luzern, welches ich in den letzten Jahren möglichst gemieden habe.

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