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Edwin Beeler

Zentralschweizer Filmpolitik: Abstellgleis oder Warteschlaufe?

(Bild: Emanuel Ammon/AURA)

Von 188 Filmförderzusagen, die der Bund im letzten Jahr ausgesprochen hat, gingen vier in die Zentralschweiz. Das Motto: Sparen, statt die Zentralschweiz zu fördern und zu wachsen. Lieber in einen Tiefbahnhof investieren.

In den Bahnhof Luzern führen fünf nationale Eisenbahnlinien. Die Zufahrt durch den engen Gütschtunnel Richtung Kopfbahnhof am heutigen Europaplatz ist völlig ausgelastet. Man plant einen Tiefbahnhof. Dank intensivem Lobbying der betroffenen Zentralschweizer Kantone dürfte sich der Bund massgeblich an den Kosten des Tiefbahnhofs von voraussichtlich 2,4 Milliarden Franken beteiligen. Die Mittel sollen aus dem Topf zur Finanzierung und des Ausbaus der Bahninfrastruktur kommen (FABI, im Jahr 2014 vom Schweizer Volk an der Urne angenommen). Angesichts der vielen anstehenden, sich gegenseitig konkurrenzierenden Bahninfrastruktur-Projekte in Regionen der ganzen Schweiz mit entsprechend zersplitterter Interessenlage ist das ein beachtlicher Erfolg der Bemühungen der hiesigen Politik.

Von 188 Filmförderzusagen, die der Bund im letzten Jahr ausgesprochen hat, gingen vier in die Zentralschweiz.

Millionen an Bundesgeldern stehen zur Verfügung

Die Bundesgelder zum Ausbau der Bahninfrastruktur existieren. Ebenso existieren die Bundesgelder zur Filmförderung. Und viele Regionen haben ihre Filmförderungen gebündelt, Millionen stehen zur Verfügung. Und Millionen fliessen von Bundesbern in die Regionen. Alle machen Filme, alle profitieren. Fast alle. Eine Region im Herzen der Schweiz, die Zentralschweiz, liegt abseits der Geldströme von Bund und SRG. Weil sich die Regierungen der Zentralschweizer Kantone erfolgreich gegen eine gemeinsame Filmförderung wehren. Es darf auf keinen Fall mehr Bundesgeld in die Zentralschweiz fliessen. Die Zentralschweiz leitet erfolgreich Subventionen nach Zürich, Bern und in die Romandie um. Man verzichtet freiwillig, man will schliesslich Argumente fürs Sparen haben, nicht fürs Wachsen.

Lieber sparen statt wachsen

Eine alte Leier, die man eigentlich nicht mehr hören mag. Doch es ist offiziell und nachzulesen im der Broschüre des Bundesamtes für Kultur, verfasst von der Sektion Film, betitelt mit «Die Filmförderung im Jahr 2014: Facts and Figures»: Von 188 Filmförderzusagen, die der Bund im letzten Jahr ausgesprochen hat, gingen vier – 4! – in die Zentralschweizer Kantone. Alle anderen 184 Zusagen sind anderen Regionen in Aussicht gestellt worden. Das heisst: Unsere Kantonsregierungen verzichten bewusst auf Bundessubventionen, die sowieso schon vorhanden sind.

Einerseits baut man auf künftige, bundesgeförderte Arbeitsplätze im Verkehrsbereich, andererseits vernichtet man à la longue bereits existierende Arbeitsplätze im Kultur- und Kreativsektor und zwingt steuerzahlende Firmen und Selbständige zur Abwanderung. Klar, es sind kleine Firmen, kleine Fische, die davon betroffen sind, keine durch die Steuerpolitik angelockten Briefkastenfirmen oder mit der hohen Politik bestens vernetzte Interessengruppen, welche beispielsweise die einstmals 120, jetzt 80 Millionen einer Salle Modulable stemmen können (exklusive Betriebskosten, die dereinst voraussichtlich von der öffentlichen Hand aufzubringen sind).

Hoffnung steigt auf, wird jedoch regelmässig wieder im Keim erstickt.

Ein bisschen neidisch sind sie

Die Filmschaffenden der Zentralschweiz wären auch gerne entsprechend vernetzt. Sie blicken ein bisschen neidisch auf Pressefotos, welche die hohe Politik bestens gelaunt in Feststimmung zeigt, mit Cüpli und Apéro einen Zwischenerfolg auf dem Weg zur Neuen Theater Infrastruktur feiernd. Nichts gegen Apéro und Cüpli, nichts gegen Feiern nach erfolgreicher Arbeit. Doch die Filmschaffenden der Zentralschweiz würden auch gerne zusammen mit der hohen Politik feiern und suchen das Gespräch. Einmal, zweimal, immer wieder. Es wird getagt, gesitzt, berechnet, argumentiert. Fakten werden präsentiert. Eine Studie jagt die andere. Hoffnung steigt auf, wird jedoch regelmässig wieder im Keim erstickt. Der Repräsentant des einen Kantons widerspricht dem Repräsentanten des Nachbarkantons. Es wird gefeilscht und abgewogen. Einen Zwischenerfolg gibt’s nicht zu feiern. Die hohe Politik bleibt fern. Sie muss ja Prioritäten setzen. Da könnte ja jeder kommen. Man geht aber hin, wenn Hollywood ruft wie weiland in den maxx-Kinokomplex anlässlich einer James-Bond-Filmpremiere; sogar unser ehemaliger Verkehrsminister beehrte sie mit seiner Anwesenheit. Hollywood ist wichtiger als die eigene kleine Region, vor allem wenn der Actionfilm gleich zu Beginn Autos zu Schrott fahren lässt. Da kann man die damals aktuelle Raserdebatte für einen Moment entspannt aussen vor lassen und auch die eigenen Predigten für den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel.

Dies ist keine Hetze

Es soll hier auf keinen Fall die Neue Theater Infrastruktur gegen das Kulturprojekt einer adäquaten Filmszene Zentralschweiz ausgespielt werden, im Gegenteil. Und nichts gegen den Kinobesuch eines Hollywood-Films. Doch die unreflektierte Sparwut unserer zentralen Kantonspolitik zeigt, welchen Stellenwert die Bildmedien im Zeitalter von YouTube, Vimeo, Netflix, Video on Demand, Kino, Kunst- und Designhochschulen und Indieproduktionen (die Aufzählung ist willkürlich und unvollständig) in unserem inneren Landesteil haben: vergleichsweise gar keinen.

Freilich, war es früher besser? Nein.

Es ist auch bei uns tatsächlich vergleichsweise ein bisschen besser geworden, auch wenn die Filmförderzüge andere Destinationen wählen. Hier halten nur noch  Regionalzüge. Schnellzüge sind für uns abgefahren. Das haben etliche Filmschaffende erkannt, die in attraktivere Destinationen abgereist sind: Xavier Koller, Fredi Murer, Karim Patwa, Felice Zenoni, Stefan Jäger und viele andere. Die älteren unter ihnen hat man später, nach hartnäckiger Realisation erfolgreicher Filme im «Ausland» – denn Zürich, Genf und Lausanne liegen in diesem Zusammenhang im «Ausland» –, mit Preisen in ihr Heimatland eingeladen; die jüngeren unter ihnen wird man später wohl auch noch ehren. Doch vorerst müssen auch sie im «Ausland» ihre Sporen abverdienen, Werte schöpfen und vermehren, Arbeitsplätze schaffen, Steuern bezahlen.

Sogar das Bünderland kriegt mehr

Ist es Ahnungslosigkeit oder Unwissenheit? Wohl kaum, es existieren etliche Studien, Papiere, Richtlinien, Empfehlungen. Seit Jahren arbeiten die Kulturbeauftragten an Vorschlägen. Vielleicht ist es ganz einfach Desinteresse – lieber verschmäht man real existierende Bundessubventionen bzw. bemüht sich hartnäckig, dass diese Geldströme fast vollständig im «Ausland» bleiben:

Das Bundesgeld fliesst beispielsweise nach Baselland und Basel-Stadt (hat soeben die Filmförderung auf 3,7 Millionen erhöht), nach Bern (Filmförderung pro Jahr: 3,1 Millionen), nach Zürich (Filmfördermittel rund 10,7 Millionen für 77 Projekte) oder in die Romandie (Cinéforom-Mittel: 9,5 Millionen Franken für 87 Projekte). Alle sechs Kantone der Zentralschweiz inklusive Hauptorte zusammen leisten sich die tiefste Quote im Land: rund 60 Rappen Filmförderung pro Kopf. Sogar die Kantone Graubünden oder Tessin haben einen dreimal höheren Pro-Kopf-Beitrag (Stand 2012). Mit der tiefen Förderung verhindert die Zentralschweiz also eine höhere Beteiligung der nationalen Filmförderung: Man lässt diese Mittel quasi auf der Strasse liegen. Würde es sich um Landwirtschafts- oder Verkehrsinfrastruktur-Subventionen handeln, wäre das völlig undenkbar.

Einen kleinen Lichtblick gibt’s

Während sich die Zentralschweiz für einen Tiefbahnhof und die damit zusammenhängenden Bundessubventionen zusammenrauft und gemeinsam in Bern auftritt, pocht sie im Falle der real jetzt und hier lebenden, arbeitenden und wohnenden Film- und Kreativschaffenden auf das Primat des kleinrevierverteidigenden Maximal-Föderalismus.

Nun wolle, so heisst es, der Kanton Luzern die erst noch in Aussicht gestellte Erhöhung der Filmfördermittel offenbar wieder einsparen.

Ein kleiner Lichtblick immerhin: die Kulturkommission des Kantons Schwyz will ihre Filmfördermittel erhöhen. Das ist, so absurd es klingt, nur möglich, weil Schwyz kein Kulturförderungsgesetz hat. Es handelt sich ausschliesslich um Mittel aus dem Lotteriefonds. So kann die Sparfraktion, die dort im Kantonsrat die Mehrheit stellt, die Kulturmittel nicht gleich wieder wegsparen.

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