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Patrick Hegglin

Wo waren wir, bevor uns schlecht wurde?

Kevin Perryman vom Babel Verlag steckt eine interessierte Kundin an. (Bild: Max Christian Graeff)

Auferstanden von den Toten versucht Patrick Hegglin doch noch etwas über den vorletztwochenendigen Büchermarkt in der Kornschütte zu schreiben.

An jenem Sonntag sass ich in der Kornschütte, es war der dritte und letzte Tag des Büchermarktes im Rahmen des Literaturfestes, und ich begann diesen Blog zu schreiben. Eitles Sinnieren über den schleichenden Wahnsinn, der den Verleger an solchen Messen erfasst, aufgehängt an einer fiktiven Tropenkrankheit, bei der man auf das Eintreffen eines bestimmten Ereignisses wartet, von dem man weiss, dass es nicht kommt und gleichzeitig Angst davor hat, dass es tatsächlich eintreffen könnte. Es ruiniert jeglichen Sinn für Relation und Realität, es zermalmt einem das Gehirn. Retrospektiv betrachtet, kann man diesen Ansatz nur als naiv bezeichnen, keuchte die viel realere Grippe doch längst durch die Schatten, schlich sich von Stand zu Stand, kaufte zwar auch nichts, aber legte in der folgenden Woche gleich mehrere Verleger aufs Kreuz. Sorglos waren wir, wie wir uns über klebrige Finger und weisse Seiten Gedanken machten, und dabei die Macht des Unsichtbaren vergassen! Die Flecken auf unseren Seelen kommen nicht von Konfitüre, das mussten wir lernen. 

Und jetzt? Fortfahren wo ich aufgehört habe? Das geht nicht. Zu weite Kreise haben die Köpfe und Mageninhalte gezogen, zu nahe waren uns die Toilettenschüsseln seither. Bleibt nur noch – wie eigentlich immer – der Versuch, das in die Finger zu kriegen, was noch nicht weg ist. Hier sind 5 Thesen zum diesjährigen Büchermarkt.

1. Katzenpostkarten werden uns alle überleben
Zugegeben: Katzen sind niedlicher als die meisten Autoren, und dass sie mehr zu sagen hätten, ist grundsätzlich nicht auszuschliessen. An eine friedliche Ko-Existenz von Katzenpostkarten und Literatur zu glauben, ist mittlerweile allerdings nicht mehr genug. Die Machtverhältnisse haben sich gewandelt. Wir bleiben noch ein bisschen, wenn wir dürfen. Und bringen Fisch mit.

2. Sogar Gratiszeug lief schon mal besser
Dass an Buchmessen eher wenige Bücher verkauft werden, so viel habe ich mittlerweile verstanden. Aber dass man jetzt auch noch das Gratiszeug wieder mitnimmt, das ist neu.

3. Den Verlag «Die Brotsuppe» zu seinem Namen beglückwünschen ist auch keine Option
Nein, ist es nicht.

4. Mittlerweile gibt es weniger Leute, die «auch Gedichte schreiben»
Obwohl sich mancher Kollege über angehende Autoren, die mit diesem berüchtigten Satz ankommen, sehr ärgert: Ihr Ausbleiben ist ein schlimmes Zeichen. Ein bisschen so, wie das Bienensterben. Illusionen und Honig werden rar werden, genauso Erdöl und Wasser. Fatal, fatal. Sehr fatal.

5. Es geschehen noch Wunder in der Branche
Hier die kurze Geschichte, wie der bilgerverlag dazu kam, den grossartigen Argentinier Hernan Ronsino auf Deutsch herauszugeben: Ricco Bilger befand sich eher zufällig in Buenos Aires. Wo er auch hinkam, ihm begegnete der Name Hernan Ronsino und der seines Romans «Glaxo». Er muss wirklich in der Luft gelegen haben. Bilger geht in eine Bar, kommt mit einem Mann ins Gespräch. Es wird ein sehr gutes und langes Gespräch. Schliesslich die überfällige Frage: «Wie heisst du eigentlich?», gefolgt von der unvermeidlichen Antwort: «Hernan.» Bilger hat das Buch zwar noch nicht gelesen, aber egal, Handschlag drauf, er wird die Übersetzung bringen. Auf Deutsch heisst das Werk «Letzter Zug nach Buenos Aires», erschien 2012 und wenn Sie es noch nicht gelesen haben, sollten Sie das unbedingt nachholen.

Abschliessend noch jeweils eine Empfehlung für Freunde trockenen Humors (1), gezeichneter Geschichten (2) und hochwertiger Gedichte (3). Man möge sich anschauen:

Matto Kämpf: Kanton Afrika. Eine Erbauungsschrift
Der gesunde Menschenversand
ISBN 978-3-905825-78-7
25.00 Franken
Hardcover, 104 Seiten

Reto Ehrbar: RUGABU
bilgerverlag
ISBN 978-3-03762-032-8
39.00 Franken
96 Seiten, japanische Bindung, durchgehend farbig

Seán Rafferty: Salathiels Lied
Babel Verlag
ISBN 3-931798-09-7
22 Euro
(Die genauen und sehr umfangreichen Produktangaben lesen Sie am besten selbst auf der Website des Verlags nach. Ich persönlich kenne niemanden, der schönere Gedichtbände macht.)

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