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Johanna Kluhs

Wie freie Produktionshäuser funktionieren (können)

Das Projekt Just one minute von Beatrice Fleischlin imitten der Stadt Luzern. (Bild: Roberto Conciatori)

Eigentlich arbeiten die Darstellenden Künste recht konventionell. Für das Gelingen einer guten Performance spielen Institutionen wie der Südpol jedoch eine tragende Rolle, wie Johanna Kluhs schreibt.

Am Mittwoch lag ich vor der Jesuitenkirche. Die Augen geschlossen. Wenn ich geblinzelt habe, sah ich: weiss. Vom Boden kroch die Kälte in meinen Rücken und ich hörte die Stimmen von Passanten. Sie sprachen viele Sprachen. Fragen, Erklärungen, Erregung. Warum liegen hier Menschen wie Leichen unter Leinentüchern? Das Theater geht in die Stadt. Nicht um Theater zu machen – um Zeichen zu setzen. Beatrice Fleischlin hat vor einem halben Jahr die Serie «Just one minute» am Südpol initiiert (zentral+ berichtete).

Einige Tage zuvor war Andreas Liebmann im Haus zu Gast. Und hat dort an zwei Abenden seine Arbeit TRUST auf der Bühne präsentiert. Aber nicht nur: Drei Tage hat er gemeinsam mit der Künstlerin Nina Langensand, einigen sicher von Abenden mit der Gruppe «Ultra» vertraut, Menschen auf den Strassen von Luzern und Kriens getroffen. Und mit ihnen über Geld gesprochen. Vor einigen Jahren bereits entstand TRUST in Kopenhagen als eine Untersuchung über den Zusammenhang von Geld und Gesellschaft, von Reichtum und Selbstbild – als vom Persönlichen ausgehende Auseinandersetzung mit dem Funktionieren der Wohlstandsgesellschaft Europas. Eine kleine Bühnenethnologie.

Es ist ja eine recht konventionelle Arbeitsstrategie in den Darstellenden Künsten: Recherche – Konzeption/Besetzung – Recherche und Proben – Präsentation – Diffusion (Reihenfolge kann variieren und diverse Zwischenschritte beinhalten). Künstler arbeiten dann mit Institutionen in verschiedenen Phasen zusammen. Der Südpol ist ein Ort, der viele dieser Prozesse beherbergt. Beinahe ständig sind hier Künstler am Arbeiten und wir unterstützen, wo es geht.

Eine Teilnehmerin der Performance. Dabei wurde mit Luzernern über Geld gesprochen.

Eine Teilnehmerin der Performance. Dabei wurde mit Luzernern über Geld gesprochen.

(Bild: Andreas Liebmann)

1. Recherche

Ein Künstler gastiert mit einer Produktion am Haus. Nach der Vorstellung reflektiert man gemeinsam über das Erlebte – und entdeckt ein neues gemeinsames Interesse. Das Thekengespräch wird zum gemeinsamen Projekt. Konzeption und Planung beginnen auf künstlerischer Seite. Der Südpol berät und unterstützt finanziell. So geschehen zum Beispiel im Falle von James Leadbitter aka the vacuum cleaner und Jessica Huber, die man beim Performancepreis erstmalig zusammen erleben kann. Mehr Infos dazu hier.

2. Konzeption / Besetzung

Um freie Projekte finanzieren zu können, ist es notwendig, eine Reihe von Eingaben zu schreiben. Kommune, Kanton, diverse Stiftungen. Dafür braucht es ein ordentliches Konzept und einen Kosten- und Finanzierungsplan. Auch um Koproduzenten (also andere Theaterhäuser, die einen finanziell oder infrastrukturell unterstützen) zu gewinnen oder Spielorte, um Kollegen um Mitwirkung anzufragen, braucht es einen Text.

3. Recherchen und Proben

Wenn die Finanzierung auf die Beine gestellt ist, geht es in die zweite Recherchephase, meistens mehr praktisch als konzeptuell (kommt aber auf den künstlerischen Ansatz an). Manchmal auch in eine dritte. Und irgendwann wird dann geprobt für einen Abend. Dazu braucht es professionell ausgestattete Räume. Für einige Arbeiten auch die Stadt. Und zuweilen auch dramaturgischen und organisatorischen Rat.

4. Präsentation

Dann kommt der Punkt, wo die Arbeit in die Öffentlichkeit findet. Das kann eine Bühne sein, ein Buch, eine Performance im öffentlichen Raum, ein Blog, eine Skulptur, ein Vortrag. Die Darstellenden Künste finden längst nicht nur noch auf der Bühne statt.

5. Diffusion

Produktionen müssen in die Welt. In verschiedenen Kontexten, vor verschiedenen Publika gezeigt werden. Oder auch vor Ort neu kreiert. Die Häuser, in denen Recherchen und Proben stattfinden oder die Mittel zur Produktion beigesteuert haben, präsentieren ihre Koproduktionen in der Regel. Und suchen mit den Künstlerinnen zusammen weitere Gastspielmöglichkeiten. Denn Arbeiten beginnen dann zu leben, wenn sie gemacht und immer und immer wieder neu bedacht werden.

Warum ich Projekte wie die von Andreas Liebmann oder Beatrice Fleischlin zukunftsweisend finde für die Arbeitsökonomien der Produktionshäuser: Sie sprengen diese Abläufe. Sie fordern Aktion, das Einbringen von unserem Körper und unseren Gedanken. Sie verweben Produktion und Präsentation und öffnen so das Theater als Feld der Teilhabe und -gabe. Wenn man so einem Ereignis beiwohnt und es mit auf den Weg bringt, dann fühlt man sich verbunden, denn man hat gemeinsam etwas gemacht (Just one minute). Oder einander zugehört, an den Leben von anderen Anteil genommen (TRUST). Das sind wichtige Erfahrungen für alle Beteiligten – und eröffnen uns als Haus auch neue Horizonte künstlerischer Arbeit.

Das Projekt Just one minute von Beatrice Fleischlin imitten der Stadt Luzern.

Das Projekt Just one minute von Beatrice Fleischlin imitten der Stadt Luzern.

(Bild: Roberto Conciatori)

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