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Reto Ambauen

«Theater wird ja nicht einfach dadurch besser, dass man ein teures Haus hat»

Urs Bugmann war 35 Jahre als Kulturjournalist in den Bereichen Literatur, Theater und Bildende Kunst tätig. Ende Januar 2014 hat er die Neue Luzerner Zeitung verlassen und leitet nun das Kulturhaus Stadtmühle Willisau.

Theaterszene Luzern, wo gehst du hin? Reto Ambauen spricht mit Urs Bugmann, Leiter der Stadtmühle Willisau, über den Standort des neuen Theatersaals, seine Hoffnungen für die Freie Szene und die Rolle des Lucerne Festivals.

Reto Ambauen spricht mit Urs Bugmann, Leiter der Stadtmühle Willisau, über den Standort des neuen Theatersaals, seine Hoffnungen für die Freie Szene und die Rolle des Lucerne Festivals.

Reto Ambauen: Urs Bugmann, du hast während langen Jahren das Schauspiel am Luzerner Theater besprochen. Was bedeutet dir das Luzerner Theater?

Urs Bugmann: Ich schätze es, dass ich in der Region professionelles Theater sehen kann. Als Sprungbretttheater bietet es jungen Schauspielern die Möglichkeit, Rollen zu spielen, die sie an anderen grossen Häusern nicht ausprobieren könnten. Zudem hat das Luzerner Theater für die Stadt einen identitätsstiftenden Charakter. Ich wünschte mir das Luzerner Theater aber mutiger und auch frecher.

Ambauen: Die Theatertruppe «Grenzgänger», welche Mitte März im Südpol ihr Stück «Villa Dolorosa» aufgeführt hat, fragt in ihrem Programmheft: «Gehört das zeitgenössische Sprechtheater wirklich den etablierten Häusern?»

Bugmann: Freie Szene und Luzerner Theater sollen nicht gegeneinander ausgespielt werden, das braucht Luzern nicht. Beide haben ihre Daseinsberechtigung und ihren Platz und können sich gegenseitig befruchten. Wichtig ist, dass hier produziert wird. An dem Ort, wo wir leben. Zu meiner Vorstellung der Kulturstadt Luzern gehört ein eigenes Theater. Die Freie Szene braucht ein an- und aufregendes Gegenüber, ebenso wie das etablierte Theater auch. Es sind zwei Kulturen, die bei gegenseitiger Offenheit voneinander profitieren können.

Ambauen: Nun liegt der neue Planungsbericht Kulturförderung des Kantons Luzern und der Bericht und Antrag des Stadtrats zur Kulturagenda 2020 vor. Einerseits soll der Südpol als Produktions- und Aufführungszentrum der freien Szene entwickelt werden, andererseits wird ein neuer Theatersaal «in unmittelbarer Nähe zum KKL» ins Auge gefasst. Zwei Angebote mit verschiedenen Produktionsweisen, Zielgruppen und unterschiedlichem Charakter, die ein breites Angebot abdecken.

Schaut man sich die effektiven Zuschauerzahlen des Luzerner Theaters an, stellt sich die Frage: Muss es denn grösser sein?

Bugmann: Das Theater an der Reuss ist baufällig. Luzern ist aber gut beraten, genau abzuklären, wie gross denn dieses neue Theater sein soll. Schauen wir die effektiven Zuschauerzahlen des Luzerner Theaters an, stellt sich die Frage: Muss es denn grösser sein? Ein Neubau mit sogenannt «modulablen» Fähigkeiten wird im Unterhalt garantiert teurer werden als das alte Theater. Unterhalts- und Wartungskosten wurden bereits beim KKL massiv unterschätzt. Die unsägliche Dachsanierung ist damit ja noch gar nicht angesprochen. Und das kann sich Luzern nicht nochmals leisten. Höhere Betriebskosten gingen automatisch zu Lasten der Produktionsgelder. Vielleicht kann das neue Schauspielhaus Basel mit seinen 300 bis 500 Plätzen eine mögliche Grössenordnung sein? Und ob sich die Freie Szene so einfach in den Südpol wird organisieren lassen, wird sich zeigen.

Ambauen: Das Programm des Luzerner Theaters steht jeweils Ende Februar für die kommende Saison fest, also rund ein halbes Jahr vor Start der ersten Produktion. Die freien Veranstalter programmieren jedoch immer früher. Heute ist es Usus, eineinhalb Jahre vor der Premiere Gelder zu beantragen. Die eingereichten Dossiers enthalten zwingend die Namen aller Mitarbeitenden, Thematik mit Konzept und die Aufführungsorte. Bei diesem langen Vorlauf verschwinden aktuelle Themen von der Agenda. Damit verliert das Freie Theater jegliche politische Dimension.

Die Freie Szene braucht staatliche Förderung und eine Portion staatlich nicht kontrollierbares Chaos.

Bugmann: Ja, starre Strukturen sind zunehmend ein Problem. Und dass die Freie Theaterszene besser alimentiert wird, ist dringend notwendig und ja auch vorgesehen. Eine Freie Szene braucht aber auch Freiraum, Zwischen- und Brachennutzung. Es braucht die Möglichkeit, auszuprobieren und auch zu scheitern. Nicht alles muss auf höchstem Level passieren. Unfertiges und Experimentelles muss Raum haben. «Basteln» und improvisieren muss möglich bleiben. Nur so geschieht Entwicklung. Es braucht staatliche Förderung, aber möglichst wenig dirigistische Eingriffe und eine Portion staatlich nicht kontrollierbares Chaos.

Ambauen: Im Planungsbericht Kulturförderung des Kantons Luzern bekennt sich das Projekt «Theater Werk Luzern» zu einer kulturproduzierenden Region in den Sparten Musiktheater/Oper, Schauspiel und Tanz, vorerst abgelöst von bestehenden Institutionen. 

Die Rolle des Lucerne Festivals wird entscheidend sein.

Bugmann: Die letzten Jahre haben gezeigt, dass dies durchaus funktionieren kann. Dass alle Sparten ihr Publikum finden und für Luzern ist es natürlich eine grosse Bereicherung, wenn hier in allen Bereichen weiterhin produziert wird. Diesen geschaffenen Wert sollten wir uns unbedingt erhalten. Was mich ganz und gar nicht interessiert, ist ein Gastspieltheaterbetrieb mit eingekauften Produktionen, damit verlieren die darstellenden Künste ihre Bodenhaftung und das Angebot wird sehr beliebig. Entscheidend wird die Rolle des Lucerne Festivals sein. Denkbar ist, dass es sich den Musiktheaterbereich einverleibt.

Ambauen: Das Projekt NTI (Neue Theater Infrastruktur Luzern) gibt diese Stossrichtung gar vor: Das Lucerne Festival soll sich Richtung Musiktheater weiterentwickeln können. Dem Lucerne Festival wäre es wohl möglich, zusätzliche private Finanzen für den Musiktheaterbereich zu generieren.

 Ich wünsche mir, dass auch im Musiktheaterbereich nicht immer alles High-End-Level sein muss.

Bugmann: Das scheint nicht unmöglich, ja. Aber das Lucerne Festival steht für ein künstlerisches Level. Dieses schätze ich einerseits sehr. Andererseits wünschte ich mir, dass auch im Musiktheaterbereich nicht alles auf diesem High-End-Level produziert werden muss, genauso wie wir es hier im Schauspiel haben. 

Ambauen: Am 22. Februar 2014 wurden auf den Bermudas per Gerichtsurteil die Weichen gestellt, dass die beträchtliche Summe von 120 Millionen Franken für den Bau des neuen Kulturhauses nach Luzern fliessen kann. Trotzdem sind heute bezüglich der Finanzierung des Theaterneubaus nur Spekulationen möglich. Es wird wohl einiges an Verhandlungsgeschick brauchen, die Gelder, die für die «Salle modulable» gesprochen wurden, für das redimensionierte Projekt «Theatersaal» verwenden zu dürfen. Zudem wissen wir heute noch nicht, wie viel Geld, abzüglich der Anwaltskosten, effektiv zur Verfügung stehen wird.

 Die Erfolgsgeschichte KKL ist nicht so einfach reproduzierbar.

Bugmann: Ich war nie begeistert von der Idee «Salle modulable». Das Theater wird ja nicht einfach dadurch besser, dass man ein teures Haus hat. Das KKL hat die ästhetische und architektonische Latte hoch gelegt. Dies ist für ein neues Theaterhaus nicht nötig. Dort gilt es, die Proportionen zu wahren und den finanziellen Gegebenheiten ins Auge zu schauen. Die Erfolgsgeschichte KKL ist so nicht einfach reproduzierbar.

Plötzlich scheinen andere Argumente zu gelten als beim Südpol, der trotz seiner peripheren Lage damals als «im Zentrum des neuen Luzern» angepriesen wurde.

Ambauen: Der Planungsbericht zur kantonalen Kulturförderung wiederholt mantraartig, dass der neue Theatersaal «in unmittelbarer Nähe zum KKL» entstehen soll. Das scheint eine Auflage und somit auch eine undemokratische Forderung des Stifters zu sein. Plötzlich scheinen andere Argumente zu gelten als beim Südpol, der trotz seiner peripheren Lage damals als «im Zentrum des neuen Luzern» angepriesen wurde. Kommt also das neue Theaterhaus auf dem Inseli/Inseliparkplatz oder nach dem Abriss des alten Theaters auf den Theaterplatz zu stehen? Auf dem Theaterplatz Luzern stand bis 1948 die Villa Freienhof. Sie sollte abgerissen und an ihrer Stelle die Zentralbibliothek errichtet werden. Bei den Aushubarbeiten 1949 konnte die Luzerner Bevölkerung erstmals die Ostfassade der Jesuitenkirche bestaunen, was zu einer eigentlichen Volksbewegung, Vorstössen im Stadtparlament und schliesslich zur Schaffung des Theaterplatzes führte. Die Zentralbibliothek wurde im Vögeligärtli gebaut.

Bugmann: Aus städtebaulicher Sicht muss meiner Ansicht nach der Theaterplatz unverbaut bleiben. Dieser einzige Freiraum an der Reuss ist unbedingt zu erhalten.

Ambauen: Aber dazu wird sich die Luzerner Bevölkerung an der Urne ja noch äussern können. Urs Bugmann, herzlichen Dank für dieses Gespräch.
 

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