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Kunst muss trendig und kurzlebig sein

Tanzen: Mit 50 ist man weg vom Fenster

Wer sich nicht bis ins hohe Alter allen Trends und Vorgaben unterwerfen möchte, ist weg vom Fenster bzw. der Bühne. (Bild: Caroline Minjolle)

Die Luzerner Tänzerin und Choreografin Irina Lorez hat sich schon in jungen Jahren für Diversität im Tanz eingesetzt. Diversität umfasst nicht nur ein breites Spektrum an verschiedenen Stilen, sondern bedeutet auch Kontinuität über die Altersgrenzen hinaus.

Etwas übertrieben ausgedrückt läuft es im Leben einer Tänzerin folgendermassen:

Mit 10 Jahren: noch keine Ahnung
Mit 20 Jahren: ein erster Versuch
Mit 30 Jahren: startbereit
Mit 40 Jahren: ein bisschen Erfolgsgenuss
Mit 50 Jahren: weg vom Fenster
Und mit 60 Jahren?

Zeitgenössischer Tanz wurde nicht mehr gefördert

Im Jahr 2013 war ich über den Entschluss der Stadt Zürich, die «Compagnie Drift» von Jaccard/Schelling nicht mehr zu fördern, schockiert. In diesem Jahr flog die Compagnie aus der kooperativen Fördervereinbarung von Stadt und Kanton Zürich sowie aus der schweizerischen Kulturstiftung Pro Helvetia. Seit ihrer Gründung 1991 hatte sie mit ihren insgesamt 32 Kreationen national und international viele Erfolge gefeiert und ihre Stücke waren beim Publikum sehr beliebt.

Neben Shiro Daimon und Philippe Saire gehörte Drift zu meinen Entdeckungen aus dem zeitgenössischen Tanz. Es war wunderbar, als junger Mensch, der sich ganz dem Tanz verschrieben hatte, so inspirierende und erfahrene Künstlerinnen zu sehen. Nach meiner Tanzausbildung hegte ich den grossen Wunsch, in einer dieser Kompanien zu tanzen. Aber das Schicksal nahm eine andere Wendung und führte mich vermehrt in eigene Kreationen.   

Altmodisches Tanztheater

Was war passiert, dass Drift – und nicht nur Drift, sondern auch viele andere Kompanien – auf einmal nicht mehr produzieren konnte? Die Förderer entschieden damals, Tanztheater nicht mehr zu unterstützen und schlugen einen neuen Kurs ein. Sie fanden, Tanztheater sei altmodisch. 

Ich erinnere mich, wie ich mich schon damals anlässlich einer Diskussion im ersten Forum Tanz Schweiz in Lausanne für Diversität eingesetzt hatte. Denn: Wie wäre es, wenn für ein paar Jahre nur noch junge Countrymusiker in den Konzerthäusern auftreten dürften? Mögen denn alle Countrymusik oder will man einfach das Publikum schrumpfen lassen? Trends kommen und gehen, doch nicht alle möchten weite Jeans und Käppis tragen. Nur so als Beispiel. Oder hat es eventuell damit zu tun, dass Kunst trendig und kurzlebig sein muss? 

Mit 50 ist man weg vom Fenster – ausser man finanziert sich selbst

Gereift, gelassener und auf einen klaren Weg fokussiert, wäre mit 50 Jahren und mit mehrjähriger Erfahrung so einiges an dem Punkt, um weitere Striche und Kurven zu ziehen. Stattdessen liegen jedoch Steine auf diesem Weg. Irgendwann fehlt die Kraft, diese beiseite zu schieben. Oder die Kraft möchte anderweitig eingesetzt werden. Strategien und Schwerpunkte verändern sich und keine Form passt mehr. Wer sich also nicht bis ins hohe Alter allen Trends und Vorgaben unterwerfen möchte, ist weg vom Fenster bzw. der Bühne, sollte er sich nicht durch einen anderen Job oder ein Erbe finanzieren können.

Viele Stiftungen, Institutionen und Veranstalter bieten heute Plattformen für Newcomer an. Sprungbretter da und dort, in der Hoffnung, ein paar Sterne fliegen in die Ferne. Das ist ja auch verständlich. Das Geld muss «sinnvoll» eingesetzt werden. Zudem sind junge Künstlerinnen oder Hochschulabgänger auch günstiger und anpassungsfähiger.

Förderung und Unterstützung für Newcomer – unbedingt! Doch wie sieht es für die scheinbar Etablierten aus? Im Unterschied zu kommerziell erfolgreichen Bühnenkünstlern wie beispielsweise Emil Steinberger oder DJ Bobo sind alle anderen auf Fördergelder angewiesen. Wäre es in diesem Zusammenhang nicht wünschenswerter, alternative Förderstrategien zu erarbeiten, die mehr Kontinuität gewährleisten würden? Damit Kunstschaffende über einen langen Zeitraum unterstützt werden könnten? 

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