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Martin Gössi

Patti Smith im Südpol

«Diese Frau singt nicht, sie setzt Energie frei, voll emotionalem Selbstbewusstsein und aggressiver Direktheit. Eine düstere Sphinx, die um dich herumtanzt, dir ihre Träume ins Hirn spuckt, blutige Fragmente, die sie sich mit einem Skalpell aus der Haut schneidet…Wow!» Punk-Urgestein Martin Gössi fasst anlässich des Auftritts von Patti Smith am «Woerdz»-Festival seine Erlebnisse zu ihrem ersten Album «Horses» in Worte.

Heute Abend ist Patti Smith im Südpol zu Gast, anlässlich des «Woerdz»-Spoken Word Festivals und der Abend ist zu recht ausverkauft. Das zeigt den Stellenwert der «Poetesse extraordinaire», wenn das Publikum bereit ist für diese Nacht Fr. 75.00 hinzublättern um ihren Worten zu lauschen und ihren Gebärden zu folgen. Für mich reichte der Pegelstand meines Geldbeutels nicht aus, um dabei zu sein, denn ich musste bereits in die kommenden Punk Veranstaltungen im Sedel investieren. Aber ich erinnere mich noch daran, wie ich vor vielen Jahren, damals als es noch Kassetten in die Abspielgeräte zu stecken galt, von meiner älteren Cousine das Bändchen des «Horses» Albums von Patti Smith bekam. Mir fiel das dritte Stück auf der zweiten Seite auf. Es hat eine Art Vorspann: Eine coole feminine Stimme, die irgendetwas von einem Jungen namens Johnny erzählt, der in einem Hausflur herumlungert. Dieselbe Stimme taucht flüsternd im Hintergrund auf, wiederholt wie ein schizoides Echo Fragmente der ersten Stimme, wird schneller und holt sie ein: Ein zweiter Typ kommt ins Bild, ein verzerrter Gitarrenakkord flackert über das Spiegelglas an der Schranktüre … Johnny versucht sich aus dem Staub zu machen, aber der andere Kerl kriegt ihn zwischen die Finger, drängt ihn in die Ecke, schiebt ihm irgendetwas hinein, höllisch tief hinein und verschwindet…der Bass setzt ein und dann überschlagen sich die Ereignisse…Johnny geht in die Knie und knallt mit dem Schädel gegen die Schranktüre, fängt hysterisch an zu lachen und hat plötzlich das Gefühl, er sei inmitten einer Herde galoppierender Pferde, von überall kommen sie her, weisse, silbrig schimmernde Hengste mit Flammen in den Nüstern, Pferde, Pferde, Pferd

Das Ganze dauert nicht einmal sechzig Sekunden und ich habe es nie richtig herausbekommen, was sich da genau abspielt. Eine halluzinierte Selbstmordszene? Mord? Oder nur ein simpler A****fick? Und das ist erst der Anfang. Die Stimme kommt in Fahrt und schafft einen nahtlosen Übergang vom gesprochenen Wort in die Melodie des Gesangs, heizt ein dass die Fetzen fliegen: «Do you know how to pony? Like Bony Moronie…do you know how to twist» Mann diese Stimme! Die belfert im hämmernden Stakkato, schnappt kurz nach Luft, fährt ab und schraubt sich hoch zu einem infernalischen Heulen. Flüstert. Kitzelt, zerrt an deinen Nerven. 

Schon einmal so etwas wie einen akustischen Abgang gehabt? Die Smith schafft das spielend. Diese Frau singt nicht, sie setzt Energie frei, voll emotionalem Selbstbewusstsein und aggressiver Direktheit. Eine düstere Sphinx, die um dich herumtanzt, dir ihre Träume ins Hirn spuckt, blutige Fragmente, die sie sich mit einem Skalpell aus der Haut schneidet…Wow! Diese Bilder. Das Phänomen einer schamlosen weiblichen Psyche, die flickert wie der sezierte Bildschirm der Worte eines William Burroughs. Ein paar fixierte Phrasen genügen und es sind Rollbahnen von denen Patti Smith abhebt zu wilden surrealen Improvisationen, wie sie bis zu diesem Zeitpunkt nie in schwarzes Vinyl gepresst wurden: Manische Besessenheit, die sich nicht mit poetischen Floskeln begnügt. Amphetamin-Semantik eines Mediums. Séancen im Tonstudio, die Halluzinationsfetzen auf den Gesangsspuren überschneiden sich, setzen sich zusammen zu neuen Bildern, blaustichig, oft doppelt und dreifach belichtet. Dann ein bizarrer Eingriff: mit dem Messer öffnet sich Johnny den Kehlkopf, seine «Stimmbänder schiessen Licht», ein spitzer, schriller Schrei, doch «niemand hörte diesen Schrei/ niemand hörte den Schmetterling/ der in seiner Kehle flatterte…». Und der nervende Sound, den die Band dazu lieferte passt haargenau zu dem unbeirrbaren Instinkt, mit dem sich die Smith hinabstürzt in die Tiefe ihres Seins.

Was Patti Smith damals mit dem Produzenten John Cale in vier schlaflosen Wochen im schalldichten Basement der «Electric Ladyland Studios» im New Yorker Greenwich Village zusammenbraute übertraf alles, was es damals zu hören gab. Als die Pferde los waren, gab es nicht nur begeisterten Applaus von Musikmagazinen, sogar renommierte Zeitungen stiegen mit ein auf die Lobhudeleien für Patti Lee Smith, Jahrgang 1946, aufgewachsen in Pitman (New Jersey), einer Kleinstadt an der Ostküste Amerikas. Der Vater ehemals Stepptänzer und dann Fabrikarbeiter, die Mutter Kellnerin. Noch zwei Schwestern und ein Bruder, alle jünger als Patti. Sie meinte 1976, dass sie in einer härteren Gegend New Jerseys aufgewachsen sei, als Bruce Springsteen. Zu lesen gab es da nur UFO-Magazine und die Bibel. Über ihre Eltern sagte sie einmal, dass ihr Dad zu gleichen Teilen Gott und Hagar der Spaceman aus Mega City sei und ihre Mutter, ihr Phantasie beigebracht hätte in so einer Art angetörnter Scheherazade. Auf der Highschool war sie vernarrt in die Musik und den Lebensstil der Schwarzen und hatte da auch einen schwarzen Boyfriend aus Jamaica. Aber als die Rolling Stones ihren Vater bei einer Fernseh-Show von Ed Sullivan völlig aus dem Häuschen brachte opferte sie, gemäss ihren Aussagen, ihre blinde Liebe zu ihrem Vater, Mick Jagger, weil für sie die Rolling Stones keine Muttersöhnchen Musik machten sondern Alchemisten waren.

Als schmalbrüstiger Teenager schnitt sie sich die Haare ab und bettelte Gott an, sie in ein barbarisches Geschlecht, das männliche, einzuordnen, was die Rasse ihrer Wahl gewesen wäre. Dann wurde sie schwanger und schrieb dazu 1967 in ihrem Gedicht «Female»: «Aufgedunsen. Schwanger. Ich krieche durch den Sand. Schleppe meinen fetten Babybauch zum Meer.» Das Kind gab sie dann frei zur Adoption und wurde erst einmal zwanzig Jahre alt, was ihr das Gefühl vermittelte, dass es da doch mehr geben müsste, als mit einem Kind von der Fürsorge zu leben. Also schürte sie ihr Bündel und haute ab nach New York. Dort fand sie die Freiheit in jener Anonymität, die eine zwanglose Entfaltung möglich macht und fing an mit Zeichnungen. Sie traf auf den Maler und Fotografen Robert Maplethorpe welcher sie darauf brachte, ihre ganze nebulöse Energie in den Griff zu bekommen und ihr eine Form zu geben, wie sie einmal bemerkte. Sie zog mit ihm in das legendäre Chelsea Hotel, wo derzeit Leute wie William Burrougs, Hendrix und Janis Joplin logierten und später dann der zugedröhnte Sex Pistols-Posterjunge Sid Vicious seine Freundin abgestochen haben soll. Ein paar Typen von Andy Warhols Truppe waren auch da und Jim Morrison von den Doors schaute ab und zu vorbei. Fürs Überleben jobbte sie bei Scribner’s, einem Buchladen auf der Fifth Avenue und fand dann einen festen Job beim Musikmagazin «Rock». Allerdings wurde sie wegen ihrer Eigenwilligkeit dort bald wieder gefeuert. Losgeschickt zu einem Interview mit Eric Clapton stellte sie ihm nur eine einzige Frage: «Was sind deine sechs Lieblingsfarben?».

Während dieser Zeit vertiefte sie aber ihre eigene Schreibe und gab erste Lesungen ihrer Gedichte in der St. Marks Church auf der Bowery. Lenny Kaye begleitete sie auf der Gitarre. Der Rhythmus war da und sie versuchte es mit Gesang. Zuerst alleine am Piano, dann auf der Bühne und was sich dann entwickelte, hatte man bis dahin nicht erlebt. Ihr Typ einer Rocksängerin war absolut neu in der Szene. Im Juni 1974 nahm sie mit Kaye und dem Pianisten Richard Sohl ihre erste Single «Hey Joe / Piss Factory» auf. Die Scheibe ist inzwischen ein Sammlerstück, zu horrenden Preisen auf Ebay zu ersteigern. Kaye und Maplethorp gründeten für die Veröffentlichung der Single eigens das Label «Mer», da die Plattenfirmen das Werk allesamt als zu obszön abgelehnt hatten. 1975 ging das Patti Smith Rock’n’Roll Trio auf Tournee an die Westküste. Bassist Ivan Krahl und Drummer Jay Dee Daugherty ergänzten die Gruppe. Schliesslich kam dann von «Arista Records» doch noch das Angebot, eine Platte zu finanzieren. Man munkelte, dass Lou Reed, welcher damals beim Label unter Vertrag war, dem Arista-Chef einen Tipp gegeben habe. Patti Smith suchte sich als Produzenten John Cale aus, aufgrund seines Portraits auf dessen Solo Album «Fear“. Sie meinte einmal dazu: «Was ich wirklich suchte, war ein guter Techniker. Was ich dann kriegte, war ein total besessener Künstler. Ein teures Aquarell suchte ich aus und bekam einen Spiegel.»

Cale der ehemalige Meister der kreischenden Elektrovioline bei Velvet Underground brachte es fertig, das Charisma von Patti Smith, ihre Aura der Magie auf das Tonband zu bannen. Die Jungs in der Band gaben ihr das Zelluloid, welches sie für ihren Film benötigte. Es sind Reminiszenzen an Jim Morrison und Arthur Rimbaud, an Jimi Hendrix und Wilhelm Reich (der Song «Birdland» basiert auf einer Passage aus Peter Reichs «Book Of Dreams»), welche Patti Smith mit grandioser Intuition verschmilzt mit den scharfkantigen Diamantsplittern ihrer eigenen Phantasie, zu einem Mahlstrom ätzender lyrischer Bilder. Ihre Elegie auf «Horses» ist voll desolater Melancholie, die Stimme immer kurz vor dem Abkippen in Verzweiflung. 1976 erscheint ein Live-Mitschnitt eines Konzertes in Cleveland als Single. Da bringt die Patti Smith Band ihre Version von «My Generation» und hört man daneben die klassische Scheibe von «The Who» (die ich übrigens nach wie vor als eine der grössten Rockbands erachte) tönt dies neben dem musikalischen Chaos der Smith Group, als spiele eine Tanzcombo bei der Queen zur Gartenparty.

Das war vertontes Punkgefühl. Ich erinnere mich noch an ein Konzert vor Jahrzehnten, als sie breitbeinig in augenfunkelnder Kampfpose aus vollem Herzen ins Mikrofon schrie: «Where do we fight?», aus dem Publikum im Dunkeln irgendwo eine Stimme «We don’t fight!» und Patti konterte «I fight, fucker!». Dann legten sie los mit «My Generation». Patti Smith war der Derwisch auf der Bühne und sprang von der Bühne, entriss einem Fotografen die Kamera, schoss ein paar Bilder bevor sie ihm das Ding mit einem gefühlvollen Zoom zwischen die Eier schob. Auf den Flyern zum Konzert war ihr Bild abgedruckt mit ihrer Handschrift: «You can call me field marshall if it makes you feel better». Sie griff schliesslich selber zur Fender Telecaster und keuchte ins Mikrofon: «Kann mir die mal jemand anschliessen? Technischer Kram… ihr wisst ja wie das ist mit uns Girls…».

Sie schnallte sich das Ding um und meinte: «Jetzt kann alles Mögliche passieren – ich und meine Gitarre». Sie führte dann aus: «Dieses Ding mag vielleicht ein wenig beängstigend aussehen, aber das haben wir anstelle eurer Bajonette, das ist für unsere Generation die einzige Waffe, die wir uns nicht nehmen lassen werden. Zum Teufel mit allen Maschinenpistolen und allen Bomben und dem ganzen Sch****dreck! Wir kämpfen mit Sound und ich weiss, es tut euch in den Ohren weh und es treibt euch zum Wahnsinn.» Dann greift der Feldmarschall in die Saiten und lässt das Ding mächtig aufjaulen und geht mit der elektrischen Streitaxt in die Knie. Mit Poetry Readings hat sie damals 1971 angefangen, entdeckte den kreativen Prozess des Zeichnens («Ist wie Kinderkriegen, es ist ein sehr heiliges Ritual für mich.») und landete beim Rock’n’Roll und das war für sie das Aufregendste. Das sei vergleichbar wie Olympische Spiele und würde am besten laufen, wenn man physisch wirklich in allerbester Verfassung sei. Sie meinte damals legendär: «Das soll jetzt nicht heissen, dass ich zu nichts mehr fähig bin, wenn ich mal 45 oder 50 Jahre alt bin, aber dann werde ich vielleicht froh sein, als Junkie in irgendeinem Araberhotel zu hocken – ich glaube nicht, dass ich in dem Alter noch so etwas machen werde wie eine Tournee mit Konzerten.»

Nun ist die Witwe von Fred «Sonic» Smith, dem Gitarrenderwisch der Protopunk Revoluzzer MC5, 67 Jahre alt und baut noch immer am Tempel der Erfahrung und ihre Worte leben weiter die ungebrochene Vehemenz des Rock’n’Roll als adäquates Ausdrucksmittel der schöpferischen Anarchie des Individuums. Einige werden heute Abend im ausverkauften Südpol für 75 Franken ein Dampfbad von innen erhalten.

 

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