Lesungen zum Nullkostenpreis? Wehrt euch!
Dass es Autoren hierzulande finanziell schwierig haben, ist kein Geheimnis. Kaum eine kann es sich leisten, «nur» Schriftstellerin zu sein. Wieso Kulturschaffende in der Schweiz um Anerkennung kämpfen müssen, erklärt der Luzerner Autor Dominik Riedo in seinem Blogpost.
Manchmal kleidet sich der höhnische Schriftstellerteufel wirklich gekonnt in fast ehrenvoll humanoide Form. Oder in zumindest höfliche Formeln.
Da bekomme ich Mitte September 2019 eine nette Anfrage der Event-Managerin eines Weingrosshändlers, ob ich in circa eineinhalb Monaten im Rahmen der Eröffnung eines Wein- und Genussdepots in Malters nicht eine Lesung halten würde? Ich solle mich doch auf ihrer Homepage mal über sie informieren. Sie würden sich über eine positive Rückmeldung von mir freuen.
Recherchearbeit ist enorm wichtig…
Nun, vielleicht hätte ich mich auf Drittinternetplattformen wirklich über dieses «international ausgerichtete» (laut Website) Unternehmen informieren sollen. Aber zumindest auf der eigenen Website machten sie durchaus auf edel: «Der Fokus unseres Produktportfolios liegt auf unseren Exklusiv-Marken im Premiumbereich.»
Diese Stichwörter signalisierten mir zumindest, dass da jemand gerne für die edleren Erscheinungen bei Tisch arbeitet und daher schon wisse, wie man was zu vergüten habe. Ausserdem konnten sie sich ja eine Event-Managerin leisten.
So sagte ich – auch immer etwas klamm im Portemonnaie – am gleichen Tag zu. Stutzig wurde ich nur ein klein wenig, weil da nichts bezüglich Inhalt der Lesung stand oder der Dauer der Darbietung. Deshalb fragte ich danach und setzte noch hinzu, dass ich mich gerne an das empfohlene Mindesthonorar meines Berufsverbandes in der Schweiz halten würde, des AdS (Autorinnen und Autoren der Schweiz).
Exklusiver Premiumbereich?
Tatsächlich durfte ich bei der Antwort zunächst wie erhofft glauben, das alles bereite meinem Gegenüber keinen Kummer. Denn in der Antwortmail einen Tag darauf sagte die Angestellte zu Beginn, sie freue sich über die Zusage. Nur was danach folgte, zeugte schon mal von einer gewissen Unbedenklichkeit, was die Lage eines Kulturschaffenden angeht. Die Event-Managerin ging offenbar davon aus, dass auch ich im Stundenansatz bezahlt würde, da sie vorhatte, die Lesung gemeinsam mit mir zu erarbeiten. Wer dies je zu zweit tat, ist sich bewusst, wie zeitraubend das meistens sein kann. Zudem ging sie also davon aus, dass ich in den knapp zwei Monaten ganz sicher genügend Zeit hätte, ein neues Programm zu entwerfen.
Natürlich würde ich die mir nehmen, wenn ich dafür ausreichend bezahlt würde. Sprechen wir also von Geld. Der erwähnte Berufsverband empfiehlt für Einzellesungen ein Mindesthonorar von 600 Franken, bei speziell erarbeiteten Auftritten eher noch mehr. Denn nicht nur sollte diese Lesung nun plötzlich spezifisch unter dem Motto «Wine & Crime» stehen. Sondern die Auszüge aus meinen Büchern oder anderen Texten sollten auch noch je mit dem passenden Wein vorgestellt werden. Und das alles – man ahnt es ja schon – zu keinem etwa auch «exklusiven» Honorar im «Premiumbereich».
Da ich das Mindesthonorar erwähnt hatte, erkundigte sich mein Gegenüber hier zuerst immerhin noch nach dessen Höhe. Um dann in derselben Mail naiv (?) auszuführen, dass es ihre «Idee» gewesen sei, mir die Reisekosten zu erstatten und mir gleichzeitig die Möglichkeit zu schaffen, meine Bücher dort zu verkaufen. Zudem würde ich selbstverständlich auch vor Ort verköstigt.
Wo beginnen?!
Ich sollte also gerade mal die Anfahrtskosten erhalten (in dem Fall, da sie dachten, ich wohnte noch in Romoos, volle 7.40 Franken!). Plus natürlich die grossartige Möglichkeit, meine Bücher zu verkaufen, als wären die nicht theoretisch in jedem Buchladen zu erwerben. Aber immerhin – wow! – würden sie die Lesung in einem «Premium»-Blatt exklusiv bewerben, nämlich im «Ämme-Express», weswegen sie hofften, die Anzahl der Gäste werde sich auf circa 50 belaufen.
Was die Schätzung der Zuhörer auch meinte: Man hatte sich also nicht anzumelden und zahlte demnach ebenso wenig für die Teilnahme, ergo: Die «selbstverständliche» Verköstigung würde sich in dem erschöpfen, was dann die potentiellen Käufer des Weins sowieso und ebenfalls gratis erhielten.
Zudem strebte die Chance, dass dieselben Weinkunden nach einer Lesung, die sie – ach – nur vom Weinnippen abhielt, noch ein Buch kauften, egal, wie hervorragend die rhetorische Leistung der Lesung sein würde, gegen null. Wobei ich bei jedem Verkauf ja nur den Autoren-Rabatt (meist zwischen 20 und 40 Prozent des Verkaufspreises) als Gewinn hätte, muss ich doch meine Verkaufsexemplare rechtlich richtig dem Verlag abkaufen. Nun, vielleicht dachte die Dame, die Bücher würden bei mir auf dem Badezimmerflur wachsen. Denn nach all dem verabschiedete sich die Event-Dame in der Mail freundlich und freute sich auf meine definitive Zusage zu ihren Bedingungen.
Die Moral der Geschichte…
Doch war dies die letzte korrekte Mail, die ich von ihr erhalten hatte. Denn auf meine Antwort, in der ich höflich darzulegen versuchte, warum das nicht anginge («Wer eine Lesung bestreiten darf und dem als Honorar angeboten wird, er dürfe dafür seine Bücher verkaufen, der könnte auch für die Oper Zürich eine Oper gratis schreiben, «weil es Werbung ist». Oder kennen Sie eine Bank, die gratis arbeitet, weil sie ja danach das Geld anlegen darf? Also keine Kontogebühren verlangt, kein Geld für Geldwechsel und Überweisungen nimmt etc.?»), bekam ich keine richtige Antwort mehr. Vermutlich, weil 600 Franken den Rahmen des Budgets eines «exklusiven» Wein-Depots im «Premiumbereich» gewaltig übersteigen. Zumindest, was nicht direkt mit Essen und Trinken zusammenhing.
Und die Moral der G’schicht’, könnte man wenigstens noch fragen? – Und sagen: Liebe Mitautorinnen, bitte bietet niemals Lesungen zum Nullkostenpreis an oder für einen «Appel & ’n Ei» (also für das Bahnticket und etwas zu knabbern). Denn wer dies tut – auch jene, die «es ja nicht brauchen, ich bin ja pensioniert/habe einen Beruf/erhalte eine IV/habe einen lieben Partner» – untergräbt damit den Markt für jene, die auf Lesehonorare dringend angewiesen sind! Denn leider bekomme ich genau das sehr oft zu hören: «Aber Ihr Kollege X macht das gratis! Und das, obwohl er 66 ist!» Eben.