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An der nächsten Ecke lauert der Tod der Meinungsfreiheit

Gift und Galle statt Bier und Respekt

Setzt euch zusammen an einen Tisch, statt einander an die Gurgel zu springen.

Leider Vergangenheit: Eine Gesellschaft, in der sich politische Gegner gegenseitig respektieren, zu Wort kommen lassen und einander achtsam zuhören. Eine Gesellschaft, wo sich politische Gegner nicht wie Feinde behandeln, sondern manchmal sogar miteinander befreundet sind.

Ich erinnere mich an einen ehemaligen Nationalrat. Er meinte mal zu mir (sinngemäss): «Weisst du, ich trinke oft lieber ein Bier mit meinen politischen Gegnern als mit gewissen Parteikollegen, die absolut humorlos, manchmal sogar ideologisch zugeknöpft sind.» Und ich erinnere mich an ein Foto aus den 90er-Jahren in einer Illustrierten, das den damaligen SP-Parteipräsidenten Bodenmann und den damaligen SVP-Nationalrat Blocher zeigt, wie sie einander kumpelhaft gegenseitig auf die Schulter klopfen: Hinter den Fernsehkulissen des Schweizer Fernsehens nach einer Arena-Debatte, wie es in der Bildlegende hiess.

Hart, aber fair

Mir kommt auch eine Fernseh-Diskussion zwischen einem Bundesrat namens Nello Celio, FDP, und einem SP-Nationalrat namens Ezio Canonica in den Sinn: Der Wirtschaftsminister und der Gewerkschafter fuhren sich hart an den Karren, blieben aber höflich und duzten sich schmunzelnd mit «mein lieber Canonica» bzw. «mein lieber Celio». Standfest in der Sache, jeweils unterschiedlicher Meinung, aber fair im Verhalten, anständig und miteinander verbunden als Angehörige der italienischsprachigen Minderheit unseres Landes.

Gift und Galle hüben wie drüben

Heute nehme ich hauptsächlich gegenseitiges Gift- und Gallespritzen von unglaublicher Gehässigkeit wahr. «Corona-Massnahmen-Gegner» und «-Befürworter» beschimpfen sich gegenseitig aufs Übelste, unversöhnlich und moralintrunken mit Schimpfwörtern wie «Nazis» oder «Antifa-Idioten». Auf die jeweiligen unterschiedlichen inhaltlichen Positionen wird nicht eingegangen, die gegnerische Meinung wird als «Blabla» und «Geschwurbel» abgeklatscht. Die Meinungen sind gemacht, drüben wie hüben, verschwommen und inhaltsfrei, die Gegenseite zum Sündenbock gemacht.

Meinungen mit Tatsachen verwechseln

Zwischen Meinungen, Tatsachen und (vorläufigen) wissenschaftlichen Erkenntnissen wird nicht (mehr) unterschieden und unbedarft oft die Nazikeule gegen de facto Unbekannt geschwungen, ohne zu hinterfragen, was der Begriff «Nationalsozialismus» oder «Faschismus» überhaupt bedeutet. Denjenigen, die vorschnell derart pauschalisieren und etikettieren, dürfte nicht klar sein, um welche Ideologie und Verbrechen, die damit verknüpft sind, es sich überhaupt handelt.

Der inflationäre Gebrauch dieses Begriffs verharmlost, was damals unter der Tyrannei dieser Ideologie an Rassenwahn, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit verübt worden ist. Eine respektheischende Erkenntnis, die mit ein bisschen Bildung und Lesen historischer Fachliteratur einfach zu gewinnen wäre. Dazu bedarf es jedoch persönlicher Reife und der Zeit, nachzudenken.

Achtung, Satire

Im Frühling haben in Deutschland rund 50 Schauspielerinnen und Schauspieler in satirischen Videostatements die «Corona-Politik» ihrer Regierung hinterfragt (#allesdichtmachen). Einige von ihnen wurden danach in die rechtsextreme Ecke gestellt und bedroht – wie auf der Gegenseite auch Naturwissenschaftler – weshalb sie ihr Video wieder zurückzogen. Andere wurden auch von eigenen Freunden hart angegriffen, unabhängig davon, ob es sich um gelungene oder misslungene Statements gehandelt hatte (und vermutlich ohne die Clips wirklich angeschaut zu haben).

In der «NZZ am Sonntag» schrieb der Schauspieler Ulrich Tukur dazu: «…man muss nicht nur darauf aufpassen, was man tut, sondern auch auf jedes Wort achtgeben, das man sagt. Nur: So viel Umsicht, dass irgendwann nicht doch einmal etwas schiefgeht, kann kein Mensch aufbringen …»

Man muss diese Satire-Videos nicht mögen. Aber wenn Künstlerinnen und Künstler nur noch um den Preis gesellschaftlicher Ächtung eine gewisse Narrenfreiheit ausüben – und darin durchaus auch scheitern dürfen –, steht an der nächsten Ecke das Duckmäusertum, und an der übernächsten Strasse lauert der Tod der allgemeinen Meinungsfreiheit. Deshalb, liebe Leute: Lasst etwas Selbstironie zu, nehmt euch nicht so bierernst, sondern setzt euch zusammen an einen Tisch, statt einander an die Gurgel zu springen. Das kostet höchstens ein Bier und ein entspanntes offenes Ohr.

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7 Kommentare
  • Profilfoto von Spatenpauli
    Spatenpauli, 10.08.2021, 23:21 Uhr

    Für mich ein treffender Beitrag. Auch in Deutschland konnten politische Gegner einst nach harten Debatten im Bonner Bundestag gemeinsam auf ein Bierchen gehen. Das liegt vielleicht auch daran, dass es eben einen deutlichen Unterschied macht, ob sich Meinungsgegner noch von Angesicht zu Angesicht gegenüber sitzen, wie früher üblich – oder ob sie sich davon entkoppelt in ihren Festungen verschanzen, die nur noch übers Internet miteinander verbunden sind.

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  • Profilfoto von Paul Bründler
    Paul Bründler, 10.08.2021, 17:16 Uhr

    Immer lustig, wenn die Medien, die genaue diese Entwicklung und Spaltung der Gesellschaft begründen, einen auf Verständnis und Versöhnung machen.
    Auch zentralplus zensiert «falsche» Meinungen, auch wenn diese von renommierten Wissenschaftlern stammen.
    Was richtig und falsch ist, entscheidet offenbar das Wahrheitsministerium, man weiss es nicht.
    Aber nachher heulen, kaufe ich euch nicht ab.
    IHR seid für die Missstände verantwortlich, nicht «die Gesellschaft»!
    IHR spaltet die Gesellschaft, mit euer Voreingenommenheit und Selbstherrlichkeit.
    Ich weiss, das ihr das nicht versteht, ihr macht doch alles richtig. nach besten Wissen und Gewissen…

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    • Profilfoto von Redaktion zentralplus
      Redaktion zentralplus, 10.08.2021, 17:40 Uhr

      Herr Bründler, was Sie als Zensur wahrnehmen, hat durchaus gute Gründe. Hätten Sie bei der Registrierung nicht eine falsche E-Mail-Adresse angegeben, wäre die Erklärung dazu bei Ihnen eingetroffen. So bleiben nur leere Vorwürfe.

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    • Profilfoto von Thomas Inderbitzin
      Thomas Inderbitzin, 12.08.2021, 23:10 Uhr

      Genau das Gegenteil ist der Fall, Bründler. Sie haben bei zentralplus ein Medium gefunden, das sogar ihre queren Ansichten bringt. Da würde ich mir manchmal schon etwas Zensur wünschen!!!

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  • Profilfoto von Karl Ottiger
    Karl Ottiger, 10.08.2021, 12:39 Uhr

    Na gut, geschrieben von einem Journalist der viele Kollegen hat. Hat einer eine andere Meinung zu Covid gilt er als Coronalügner. Warum, weiss keiner der sich mit Meinungsverschiedenheiten auskennt. Was mir persönlich aufgefallen ist als Arbeitgeber: seit wir Corona haben, gibt es keine Grippekranke mehr. Hat somit auch einen Vorteil oder hat’s da auch einen Klimawandel gegeben.

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    • Profilfoto von Marc Wieser
      Marc Wieser, 10.08.2021, 13:52 Uhr

      Ihr Post bestätigt den Artikel. Das Zeitalter der sozialen Medien und der Kommentarspalten führt uns in eine faktenfreie Welt. Als Donald Trump über seine Vasallen mitteilen liess, dass er das «grösste Publikum hatte, das je an einer Inaugurationsfeier teilnahm», hab ich zum ersten Mal richtig realisiert, was dies auf die Meinungsfreiheit und unser Zusammenleben für Auswirkungen haben könnte. Obwohl über Luftaufnahmen des Festplatzes klar ermittelt werden konnte, dass viel weniger Interessierte als erwartet erschienen waren (sogenannte «Fakten») wurde das Gegenteil behauptet. Als die Pressesprecherin darauf angesprochen wurde, erwiderte sie den berühmten Satz, das dies «keine Lüge, sondern alternative Fakten» seien.
      Seither fällt mir immer mehr auf, dass «Fakten» nicht mehr als solche akzeptiert werden und Meinungen vermehrt als Fakten dargestellt werden. Die Forschung von tausenden bis hunderttausenden von seriösen Klima-Wissenschaftern werden mit den Aussagen einiger weniger Zweifler in die Waagschale geworfen und als leichter beurteilt. Confirmation Bias at its best. Dieselben Effekte sehen wir auch im Zusammenhang mit der Pandemie.
      Zweifeln und hinterfragen, was grundsätzlich wertvoll ist und der Wahrheitsfindung dient, wird zum Selbstzweck. Wenn ich nur hören will, was mir gefällt, dann such ich mir einen, der mir bestätigt, dass ich Recht habe.

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      • Profilfoto von Karl Ottiger
        Karl Ottiger, 10.08.2021, 19:56 Uhr

        Schauen Sie Herr Wieser wir haben in der Schweiz viele studierte aber wir haben keine intaligente.
        Wir stehen kurz vor dem Abgrund also machen wir gemeinsam einen Schritt forwärtz

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