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Eine Replik zur respektvollen Sprache

Genderwahn? «Nun kotze ich zurück»

Alle Menschen verdienen es, mit Respekt angesprochen zu werden. (Bild: Adobe Stock)

Letzten Monat wurde im zentralplus-Kulturblog das Kind mit dem Bade ausgeschüttet (zentralplus berichtete). Der Luzerner Filmemacher Edwin Beeler schrieb über Genderwahn und politische Korrektheit. Dies will die non-binäre Person Henrik Amalia von Dewitz nicht so stehen lassen und schreibt: «Nun kotze ich zurück.»

Wenn ich bei zentralplus einen Blogbeitrag schreiben möchte, dann muss ich weibliche und männliche Formen alternierend verwenden, anstelle eines Gendersterns, welches auch nicht binäre Geschlechter inkludiert. Der Genderstern wird mir rausredigiert, um den sogenannten Lesefluss nicht zu unterbrechen. Das sprachliche Zeichen, mit dem ich als non-binäre Person Raum einnehmen kann und gegen den Zweigeschlechterwahn angehe, wird mir weggenommen.

Mir ist bewusst, das geschlechterneutrale Sprechen ist kompliziert. Da verändert sich was in der Sprache und hui, da möchte wer die Machtstrukturen hinterfragen. Das ist unbequem für diejenigen, die die Macht innehaben. Und auch die Machtlosen haben sich daran schon gewöhnt, denn wir Menschen sind im Grunde bequem und mögen keine Veränderung.

Doch denken Sie einmal daran, wie normal es war, unverheiratete Frauen als «Fräulein» zu bezeichnen. Dagegen wurde rebelliert; die Frauen sagten, das passt ihnen nicht und wir haben es geändert. Nicht etwa, weil diese ganzen Frauen so speziell sind, sondern weil sie es verdient haben, mit Respekt angesprochen zu werden. Alle Menschen haben das verdient, nicht nur diejenigen, bei denen Ihnen die Sprache dazu auch passt.

Schokokuss ist so einfach, aber der M-Kopf muss bleiben?

Jaja, «Menschin mit Menstruationshintergrund» hat der liebe überforderte Herr geschrieben. Das würden diese Sprachverhunzer*innen ja vorschlagen wollen. Herrjemine! Können wir uns nicht gegenseitig zuhören? Unsere Wut und Ohnmacht über Veränderung woanders hinstecken? Kein Mensch verlangt irgendwelche komischen Alternativbegriffe, die alle für ihre Mutter neu verwenden müssen. Es geht lediglich darum, dass es möglich ist, andere Begriffe zu verwenden.

Wenn ich Ihnen mitteile, dass ein Begriff mich persönlich verletzt, warum ist Ihr Sprachgebrauch wichtiger? Da macht man sich lieber lustig darüber, statt sich einmal nicht so wichtig zu nehmen. Und plötzlich erlaubt auch das Redaktionsteam von zentralplus die Verwendung des Gendersternchens, denn sonst versteht ja keine Person den Witz. «Ach so lustig, diese drolligen Menschen mit ihrem Gendersternchen. Hihi!»

Es gibt gute, sprachlich vertretbare Alternativen zu verletzenden Begriffen. Ja – sprachlich vertretbar, denn Sprache ist stetig im Wandel und wer stehen bleiben möchte, kann zukünftig Briefe in althochdeutsch schreiben. Gute Alternativen, die schon seit mehreren Jahren von den betroffenen Personen und ihren solidarischen Mitmenschen verwendet werden. Da muss ich nicht Germanistik studiert haben, um sowas zu vertreten – habe ich aber trotzdem und stehe mit noch viel mehr Verve dahinter.

Meine Realität ist nicht euer Kostüm

In einem Punkt muss ich dem lieben Herren recht geben: Social Media und die sogenannten «Shitstorms» sind weder konstruktiv noch führen sie zu einer wirklichen Veränderung. Dieses wilde Einhämmern einer politisch korrekten Verhaltensweise kommt nicht wirklich an. Denn dafür sind die meisten Menschen zu wenig selbstkritisch. Kritik kann nur angenommen werden, wenn es schön im Sandwich-Prinzip eingepackt ist. Zuerst etwas Nettes zur Person, dass ihr das Gefühl gibt, sie sei okay.

Dann die Kritik, detailliert und schön saftig, konstruktiv und zum Schluss nochmal ein einlullendes «Aber du machst das wirklich schon ganz gut». Wenn Sie nur so Kritik und Veränderung vertragen, dann könnte ein Besuch bei psychologischem Fachpersonal guttun.

Einen Schritt zurück

Doch ich sehe auch die Shitstorms radikal in einem anderen Licht: Es ist ein Wehren, nach jahrelangem Schweigen. Nach dem Dulden von vielen komplexen Diskriminierungen. Da sagen die Indigenen von Nordamerika halt mal locker, dass ihre Kultur kein Fasnachtskostüm ist. Da sagen die Schwarzen und People of Color, dass es nicht okay ist, sich das Gesicht anzumalen, um als Dunkelhäutige zu schauspielern. Und da sagen Trans-Menschen, dass es wehtut, wenn an «Geschlechtertagen» in Schulen sich alle einen Tag als das andere binäre Geschlecht verkleiden. Oder Geschlecht in Stereotypen auf Genitalien reduziert wird. Diese Dinge sind Teil ihres Alltags, ihrer Realität. Sie können nicht am Ende des Tages die Kleidung ausziehen, die Farbe vom Gesicht nehmen oder ihr Geschlecht ändern. Wie viele Ungerechtigkeiten gewisse Minderheiten erleben, mögen Sie sich wohl nicht vorstellen können.

Deswegen lade ich Sie ein, solidarisch einen Schritt zurückzutreten, einmal zuzuhören und keine übermässig spezielle Schneeflocke sein zu wollen, die sich selbst viel zu wichtig nimmt.

Hinweis der Redaktion: Wir haben uns auf eine einheitliche Sprachregelung aller redaktionellen Texte und Blogs verständigt. Diese verzichtet auf Doppelpunkte und Gendersternchen und verwendet wo immer möglich alternierend weibliche und männliche Formen.

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