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Irina Lorez

Gedanken einer Tänzerin, die manchmal eine Marionette war

(Bild: Ingolf Hoehn)

Salle Modulable, Theaterwerk Luzern, festes Ensemble, freie Szene, Intendant, Demokratie, Reuss, Inseli, regional, international … Viel wird über das, was im Jahr 2022 sein könnte, geredet.

Salle Modulable, Theaterwerk Luzern, festes Ensemble, freie Szene, Intendant, Demokratie, Reuss, Inseli, regional, international … Viel wird über das, was im Jahr 2022 sein könnte, geredet. Zahlreiche Studien werden geführt und Projektleiter eingestellt. Fast unbeirrt läuft der Apparat Theater weiter und die Tänzer schwitzen wie immer. Eben verlässt eine grossartige Tänzerin mit dem Namen Cecilia de Madrazo Abad das Haus an der Reuss. Sie spricht offen über ihre Zeit und ihre Wünsche an das Luzerner Theater.

Cecilia, nach 8 Jahren hast du das Theater verlassen. Warum?

Dafür gibt es verschiedene Gründe.

1.Wegen meiner Kinder. Ich kam täglich nach 8 Stunden Arbeit so müde nach Hause, dass ich mich zuerst mal um mich selber kümmern musste. Zum Spielen mit meinen Kindern reichte die Zeit dann nicht mehr.
2. Meinen Körper konnte ich nach der zweiten Schwangerschaft nie mehr so ganz in Form bringen. Ich wollte meine Karriere nicht mit einer Verletzung oder gar einer Operation beenden.
3. Im Ensemble waren ausschliesslich nur noch junge Leute dabei. Es fehlte mir an Anknüpfungspunkten.

Denkst du, dass mit 40 Jahren die Tanzkarriere beendet ist?

Nein, überhaupt nicht, nur für diese Art von Tanz und dieses ständige Geben von «Top Of The Top». Dort schauen sie nicht, wie es dir geht, sondern nur, was du leistest. Das Wichtigste für sie ist das Geschäft, das Geld und der Erfolg, sprich Publikumszahlen. Müde zu sein, kannst du dir nicht erlauben, denn du bist ersetzbar.

Wie bist du damals ans Luzerner Theater gekommen?

Ganz einfach via Internet. Ich war gerade mit meinem Mann, auch Tänzer (Tonatiuh Diaz), und unserem ersten Kind beruflich in Berlin. Da ich wieder an ein Theater wollte, tanzte ich damals unter der Leitung von Verena Weiss in Luzern vor, und es hat geklappt.

Was sind die Vor- und Nachteile des Theaters im Vergleich zur freien Szene?

Der monatliche Lohn, die Stabilität und die Ferien. Natürlich auch die spannenden Choreografen. Der Nachteil sind die Tanzeinlagen in Musicals und Cabarets und dass man für die Choreografen meist nur eine Marionette ist.

Gab es im Ensemble Konkurrenzkämpfe?

Nicht wirklich, denn wir haben alle denselben Vertrag, dieselbe Ausgangsposition und unser Verhältnis war freundschaftlich. Wenn jedoch jemand der Favorit des Choreografen war, konnte es schon mal Groll geben.

Habt ihr euch für die freie Tanzszene in Luzern interessiert?

Wir hatten überhaupt keinen Kontakt zur freien Szene. Wir waren so müde, dass wir vom Tanz nichts mehr sehen und hören wollten. Das Einzige, was wir ab und an taten, war der Besuch unserer Freunde in einem anderen Theater wie Basel oder Bern.

Habt ihr vom Programm im Südpol etwas mitbekommen?

Nein, nichts, weder vom Südpol noch vom restlichen kulturellen Angebot in Luzern. Wir lebten wie eingeschlossen in einer eigenen Welt.

In der Zukunftsplanung Salle Modulable soll das feste Tanzensemble aufgelöst werden und variablen Produktionen und Gastspielen den Platz überlassen. Was denkst du darüber?

Das finde ich nicht gut. In einer alten Stadt wie Luzern hat ein Drei-Sparten-Haus seine Tradition. Ich wäre sehr traurig, wenn diese Tradition verschwinden würde. Schliesslich ist die Bevölkerung stolz auf ihr Theater. Das liess uns das Publikum immer wieder spüren. Warum kann ein Theater nicht wie ein Museum sein? Dieses hat sowohl eine Dauer- als auch variable Ausstellungen. Ein solches Modell fände ich spannend. Ein Haus nur mit variablen Künstlern, die kommen und gehen, aber Büros, die immer bleiben, ein solches Haus ist für mich leer.

(Bild: Ingolf Hoehn)

Unter dem Intendanten Dominique Mentha kam es nie zu einem Austausch zwischen der freien Szene und dem festen Ensemble. Der neue Intendant Benedikt von Peter (ab der Spielzeit 2016/17) hat vor, dies zu ändern. Würdest du eine solche Zusammenarbeit begrüssen?

Ja, denn das bringt frischen Wind. Jedes Jahr immer an denselben Orten zu tanzen, mit denselben Tänzern, ist doch langweilig. Natürlich müsste das Arbeitsvorgehen abgeglichen und müssten einige Kompromisse gemacht werden.

Was war eigentlich dein schönstes Erlebnis am Theater?

Der «Sommernachtstraum» von Jochen Heckmann, weil ich den Puck tanzen durfte. Ich hatte so viele Freiheiten, diese Rolle persönlich zu gestalten, dass ich mich voller Power fühlte. Noch schöner war das Ende, als das Publikum mit dem Applaus auf mich wartete.

Wie sieht deine tänzerische Zukunft aus?

Tanzen? Ich habe abgeschlossen damit und ich vermisse es nicht.

Hast du einen anderen Traum?

Traum? Nicht jetzt, ich bin in einer Übergangsphase und brauche zuerst einmal einen tiefen Atemzug.

Zum Schluss bitte ich dich um je drei Antworten. Was stört dich an deinem Beruf?

1. Am Abend eines freien Tages eine Vorstellung zu geben.
2. Dass wir keine Gewerkschaft haben.
3. Dass unser Vertrag jährlich immer wieder erneut werden musste.

Was freut dich an deinem Beruf?

1. Die Bühne. Es ist das Schönste.
2. Tanzen!
3. Tanzen!

 

Zur Person: Cecilia de Madrazo Abad
 
Cecilia de Madrazo Abad stammt aus dem spanischen Baskenland. Sie startete ihre Ausbildung an der «Euskadi Ballet Dance School» und besuchte anschliessend das «London Studio Centre». Nach einer Saison im «Ballet de Santiago» in Chile kam sie zurück nach Europa. Sie tanzte am Ballett am Badischen Staatstheater Karlsruhe, vier Jahre im Ballett des Landestheaters Linz und trat seit 2006 regelmässig mit eigenen Choreografien in Erscheinung.

Von 2007 bis 2009 war Cecilia de Madrazo Abad Mitglied des «Tanztheater Verena Weiss» am Luzerner Theater. Seit August 2009 ist sie Mitglied von «Tanz Luzerner Theater». Sie war unter anderem in der Partie des Puck in «Tanz 4: Sommernachtstraum» und als Lady Capulet in «Tanz 10: Romeo und Julia» zu erleben. In der Spielzeit 2013/14 zeichnete sie für die Choreografie des Schauspiels «Tschechows Kirschgarten» verantwortlich. In der Jubiläumsspielzeit des Luzerner Theaters tanzt Cecilia in «Tanz 16: Don Juan» und «Tanz 17: Cosa Nostra».

Für ihre herausragenden Leistungen als Tänzerin und Choreografin wurde sie im Juni 2013 mit dem Prix Gala, dem Förderpreis des Theaterclubs Luzern, geehrt.

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