«Emma wieder auf dem Markt – Watson wieder Single. Ja, sie war in einer Beziehung. WAR!»
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Über Katzenvideos, die Selbstzerstörung des Journalismus und die Liebe zu elitären Kritikern mit fragwürdigem Geschmack.
Vom geschlossenen Ökosystem bis zur fortlaufenden Geschichtsschreibung: Dinge sind verknüpft, hängen zusammen und bedingen sich. Während es nicht möglich ist, jemals das ganze Bild zu erfassen, so ist der Versuch der Entschlüsselung von Bezugssystemen wohl der vielversprechendste Ansatz, um zu so etwas wie dem Grund einer Sache zu gelangen. Schliesslich schwebt alles, wenn es aus der Schwerkraft herausgelöst wird.
Zwei Begriffe, die in einer geradezu symbiotischen Beziehung zueinander stehen, sind «Krise» und «Skepsis». Einem Konzept in der Krise mag man skeptisch begegnen, ebenso wie die Skepsis dem Konzept gegenüber dieses in eine Krise stürzen kann. Man mag hier an die Situation der christlichen Theologie in Westeuropa denken. Oder an jene des «klassischen» Journalismus.
Huhn und Ei beiseite, die Presse befindet sich in einer lähmenden Abwärtsspirale: Sinkende Absatz- und Abozahlen führen zu sinkender Qualität, was wiederum den Absatz- und Abozahlen schadet, usw. Es wäre die Aufgabe des Journalisten, Zusammenhänge zu erklären (reine Fakten- und Zahlenvermittlung kann eine Redaktion getrost von der sda einkaufen). Das braucht Zeit und bringt Kosten mit sich. Es wäre die Rolle der Presselandschaft, ein vielfältiges Meinungsspektrum anzubieten. Dazu braucht es vielfältige Meinungen und vor allem Plattformen. Die Neue Luzerner Zeitung ist (mit anderem Regio-Teil) auch die Neue Zuger, Obwaldner, Nidwaldner, Schwyzer und Urner Zeitung. Sie sehen das Problem.
Vielleicht ist ein Festhalten an alten Ideen auch schlicht realitätsfremd. Nur haben leider Gratiszeitungen wirklich den intellektuellen Gehalt eines Toastbrotes und sind mit ihrer Art der super-simplifizierten Informationsverwurstung tendenziell als schädlich, wenn nicht gar als gefährlich zu betrachten. Einen Weg in die Zukunft, beziehungsweise in die Gegenwart, suchte das mit viel Brimborium gestartete Onlineportal Watson («#newsunfucked», was auch immer das bedeuten soll). Den Satz: «Wie Watson berichtete …» habe ich noch nie gelesen. Dass Katzenvideos auch News seien, das dagegen habe ich gelesen, auf einem Werbeplakat des besagten Portals. Ein kurzer Besuch der Seite bringt dann einen Haufen von Listen-Artikeln zum Vorschein (12 Typen von Stadion-Besuchern, 27 reiche Stars inklusive Putin, niedliche Tiere), nebst dem herrlich bescheuerten Titel: «Emma wieder auf dem Markt – Watson wieder Single. Ja, sie war in einer Beziehung. WAR!». Da es mir unvorstellbar scheint, dass irgendjemand davon träumt, Journalist zu werden, um solchen «Content» (das Wort ist bezeichnend, heisst es doch als Nomen «Inhalt», als Verb dagegen «zufriedenstellen») zu produzieren, schwebt ein Hauch von in Zynismus umgewandelter Hilflosigkeit über dem Ganzen. Anstatt Haltung zu bewahren, wird der kleinste gemeinsame Nenner gesucht. Aufwand und Ertrag verhalten sich bei einer Auflistung von einem Dutzend Youtube-Videos gegenüber einem komplexen Wirtschaftsartikel deutlich günstiger für die Plattform: Vergleichen Sie etwa einmal die Sätzchen über den grossen Bildern eines typischen Online-Artikels von Blick am Abend mit den Wikipedia-Einträgen zu den entsprechenden Themen. Also stellt man die Köche halt an die Fritteuse und verkauft nur noch Pommes.
Führen wir an dieser Stelle den Begriff «Autorenjournalismus» ein und definieren ihn folgendermassen: Autorenjournalismus gibt sich nicht den Anschein von Objektivität, sondern ist persönlich, meinungsstark und beleuchtet im besten Fall verschiedene Seiten. Er platziert ein (nicht zwangsläufig explizites) «Ich» im Gefüge der betrachteten Zusammenhänge. Dadurch wird er angreifbar, aber macht auch ein Kommunikationsangebot. Gerade Letzteres scheint wichtig, bringen doch Online-Medien deutlich zum Vorschein, dass der eigene Senf vielen Lesern am besten schmeckt – man schaue sich etwa diese bemerkenswerte WordPress-Seite an.
Sie trieft ausserdem vor Misstrauen gegenüber der Presse. Auch wenn hier ein Extrembeispiel vorliegen mag, die Tendenz ist kaum zu übersehen. Bei einer Umfrage in Deutschland im Frühjahr wurden Journalisten von 37 Prozent der Befragten als vertrauenswürdig eingestuft – direkt hinter Profisportlern (!), Bankern (!!) und Schauspielern (!!!). Geringe Glaubwürdigkeit ist natürlich problematisch, wenn die Güter, die man anbietet, Informationen und Einordnungen sind. Man geht ja auch nicht in eine Bar, in der man vergiftet zu werden glaubt. Hier liegt vielleicht auch der Grund, warum die erwähnten «Contents» vielerorts den recherchierten Artikel ersetzen: Sie sind völlig bedeutungslos. Eine Zusammenstellung von lustigen Bildchen funktioniert ohne jedes Vertrauensverhältnis. Die Hinwendung zum Beliebigen löst das Problem allerdings nicht. Wohlwollen kann dem Journalismus gegenüber nicht mehr vorausgesetzt werden; seine Funktion als Institution ist stark gefährdet. Der Schritt weg von einer ganz und gar behaupteten Sachlichkeit, hin zum erklärten Versuch einer Deutung, kann vielleicht zur Lösung beitragen.
«Katzenvideos sind keine News. Sie sind Zeichen von falschen Prioritäten und der selbst betriebenen Entwürdigung des Berufsstandes.»
Um wenigstens noch in die Nähe des Themenbereiches zu gelangen, über den ich hier eigentlich zu schreiben hätte (Literatur), schwenken wir nun über zum Thema der (Literatur-)Kritik. Die Kritik – ebenso wie die Kolumne, der Kommentar oder das Essay – fällt im Prinzip in den Bereich des Autorenjournalismus. Formale Konventionen wie die Vermeidung der Ich-Form schaffen zum Teil zwar wiederum eine Pseudo-Objektivität, diese ist aber dermassen durchlässig, dass wohl niemand an der Subjektivität der Rezension zweifelt. Im Gegenteil, die Kritik ist eine Einladung, dem Kritiker zuzustimmen oder zu widersprechen. Man darf einen Kritiker guten Gewissens für ästhetisch minderbemittelt halten, für elitär, geschmäcklerisch und natürlich für einen frustrierten gescheiterten Künstler.
Man darf sich auch fragen, mit welcher Berechtigung er über künstlerische Werke urteilt. Weil er die Kompetenz dazu besitzt, ist eine Antwort, die hoffentlich immer zutrifft. Die wichtigere scheint mir aber diese zu sein: Weil es eine Orientierungshilfe ist. Wenn jeder Mensch ein Künstler ist, dann freut mich das für jeden Menschen. Wenn aber jeder Mensch ein Künstler ist, so ist noch lange nicht jeder Mensch ein interessanter Künstler, was auch heisst, dass es sehr viel uninteressante Kunst gibt. Also begibt man sich vertrauensvoll in die Hände des Kritikers. Und man wird ihn verantwortlich machen, wenn man enttäuscht wird, und, oh ja, nur noch das Gegenteil von dem glauben, was er schreibt. Man wird immer anderer Meinung sein.
Klingt das wieder nach Scheitern des Konzepts durch Mangel an Vertrauen? Es gibt hier meiner Meinung nach einen entscheidenden Unterschied: Ich zweifle nicht an der Integrität des Kritikers, auch nicht an seiner Kompetenz. Lediglich an seinem Geschmack. (Über Geschmack kann man sehr, sehr gut streiten.) Es kann eine wunderbare Hassliebe sein.
An dieser Stelle zupfe ich an meinem Rollkragenpullover, nippe am teuren Rotwein, zünde die Pfeife an und versuche noch einmal angestrengt, jenes Zitat zu finden, das dieser wirren Reise einen versöhnlichen Abschluss ermöglichen würde. Ich finde es nicht. Es war irgendwas mit dem Literatur-Ressort oder Feuilleton als intellektuelles Gewissen oder Rückgrat einer Zeitung. Denn hier liegt das Problem mit der Integrität und Haltung der Kritik: Genau wie bei einer gut recherchierten Reportage braucht es dafür Zeit und kompetentes Personal. Zeit ist Geld und kompetentes Personal ist teuer. Es bietet sich für eine Zeitung in Nöten an, hier Kürzungen vorzunehmen. Das ist sehr kurzsichtig. Als würde das «Kinder Überraschungsei» am Spielzeug statt an der Schokolade sparen (Memo: Morgen sofort den Produktnamen «Kinder Enttäuschungsei» patentieren lassen. Das besteht aus einer grösseren Version des gelben Plastikbehälters mit der ekelhaften Schokolade innen drin). In diesem Sinne: Katzenvideos sind keine News. Sie sind Zeichen von falschen Prioritäten und der selbst betriebenen Entwürdigung des Berufsstandes. Und sie reiten auf fahlen Pferden.
(Wer mir das verschollene Zitat an [email protected] sendet, wird eingeladen, gemeinsam das Honorar für diesen Text zu verzechen.)