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Wer hat zu bestimmen, was Qualität ist?

Die Willkür der Kulturförderung: Sie liebt mich, sie liebt mich nicht

«Nussknacker» – Fotoprojekt «Knall im Hupi» – Performance: Irina Lorez. (Bild: Caroline Minjolle)

Ungerechtigkeit oder Berechtigung, Macht und Ohnmacht sind Dauerthemen in einer künstlerischen Laufbahn. Wer entscheidet über die Arbeit einer Künstlerin und wie werden die Gelder verteilt? Die Luzerner Tänzerin Irina Lorez wünscht sich einen Schlüssel nach klaren Kriterien statt nach Glück und Zufall.

Es gibt manches, das in einer künstlerischen Laufbahn auszuhalten ist, um nicht ausgegrenzt zu werden. Die Verteilung von Geldern einerseits, die Machtspiele der Veranstalter anderseits.

Ist es richtig, dass mich jemand persönlich kennt und mag, um mir Gelder der öffentlichen Hand oder ein Engagement an einem Theater zu geben? Ist es nicht selbstverständlich, dass Künstlerinnen, die professionell und seit mehreren Jahren mit grossem Engagement, Herzblut und Talent arbeiten und ohne Altersbegrenzung und Vorurteile ein kleines Stück des grossen Kuchens erhalten? 

Mund auf

Ich mache jetzt den Mund auf, denn jemand muss es sagen. Zwar habe ich den Mund schon immer aufgemacht, doch musste ich hören: Lass das sein. Schweig. Wir kümmern uns darum, kümmere du dich um deine Kunst.

Der Arbeiter geht zum Chef und bittet ihn um bessere Entlöhnung. Der Chef sagt: Geh wieder die Strasse putzen, ich kümmere mich darum. Der Arbeiter putzt stillschweigend weiter, aber der Lohn erhöht sich nicht. Auch in zehn Jahren nicht. Das ist nicht einmal ein perfekter Vergleich. Vielleicht hat dieser Chef das Unternehmen selbst gegründet und darf deshalb mit solchen Anliegen flexibler umgehen. Aber wie sieht es aus, wenn es um unsere Steuergelder geht?

Irina Lorez als «Dornröschen». (Bild: Caroline Minjolle)

Über Geschmack lässt sich streiten, aber wer sagt, was Qualität ist?

Warum kann eine Person oder zwei, drei Personen entscheiden? Hat das wirklich mit Qualität zu tun oder ist es Geschmacksache? Woran liegt es? Hat jeder seine eigenen Schäfchen? 

Kürzlich sagte ich zum benachbarten Schafzüchter, der extra für uns nur noch wenige, hell klingende Glocken an seine Schafe hängt: «Klingt das wunderschön! Jetzt könnte ich wie du auch draussen einschlafen.» Er antwortete: «Wir haben nicht denselben Geschmack. Ich mag es so richtig laut!»

Irina Lorez als «Carmen». (Bild: Caroline Minjolle)

Die Beleidigung: Was fällt dir eigentlich ein, dass du dich traust, bei uns anzufragen? Oder: Dein Dossier ist nicht gut genug! Oder: Hör doch auf und mach etwas anderes! Drei bis vier Jahre darf man es «geniessen» und danach wird man Informatikerin oder Bäckerin. Wozu gibt es all die Ausbildungen im Bereich der Musik, Kunst, Tanz? Um Bäcker zu werden?

Oder: Wenn dir etwas nicht passt, schliesse dich einem Verein an, nimm an kulturpolitischen Veranstaltungen und Gesprächen teil – was ich über 20 Jahre lang mit Berufskolleginnen gemacht habe. Auch sie haben graue Haare bekommen. Warum? Weil es viel Zeit und Energie braucht und sich nicht viel verändert, jedenfalls nicht in der Nachhaltigkeit! Ja, gerne möchte ich mich mehr um «meine Kunst» kümmern und weniger um Dossiers, Budgets, Marketing und Kommunikationsarbeit! 

Irina Lorez als «Julia». (Bild: Caroline Minjolle)

Glück und Zufall

Sie sagen, dafür gibt es ja Kulturmanager! Diese Arbeit kannst du im Budget des Gesuchs auflisten. Aber was ist, wenn ich gar nichts bekomme? Weder für die bereits begonnenen Arbeiten des gesamten Teams noch für das aufwendige Erstellen der Bewerbungsdossiers?

Natürlich kann ein angefangenes Projekt, eine wachsende Idee nicht einfach abgebrochen werden. In den über 20 Jahren intensiven Schaffens als Choreografin und Performerin hatte ich selten die Sicherheit, ein Projekt angemessen zu finanzieren. Es ist fast wie Lotto spielen, dem Glück und Zufall überlassen. Zur richtigen Zeit, am richtigen Ort, der richtige Mensch an der richtigen Stelle.  

Was wäre, wenn wir Künstler nicht wären? Es gäbe die zahlreichen, im Vergleich zu uns angemessen bezahlten Stellen im Kultursektor nicht. 

Irina Lorez als «Giselle». (Bild: Caroline Minjolle)

Mein Vorschlag wäre: Jurys braucht es nicht, Veranstalter nur, um ihren Job gut zu machen, Personen im Bereich des Kultursektors und des Managements nur mit viel Erfahrung und Verständnis für den künstlerischen Beruf, ein Master ist sekundär. 

Massgebliche Fragen wären:

  • Haben die Künstlerinnen eine Berufsausbildung abgeschlossen?
  • Wie viele Jahre produziert eine Gruppe schon? 
  • Ist die künstlerische Arbeit Hauptberuf oder Nebenjob?
  • Stossen die Werke beim Publikum auf Resonanz?
  • Wie viele  Künstler sind am Werk beteiligt?
  • Ist es eine regionale Aufführung?
  • Geht die Gruppe auf Tournee, national oder international? 

Die Auswertung entscheidet über die Höhe des Beitrags. So weiss jede Gruppe, was sie erwartet. Lotto kann man ja immer noch spielen. 

Irina Lorez als «Rotkäppchen». (Bild: Caroline Minjolle)
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9 Kommentare
  • Profilfoto von michael
    michael, 16.06.2021, 16:10 Uhr

    Vielleicht ist ein vergleich mit einem Startup hilfreich:

    In meinem Startup wenden wir über 60% des Personalaufwandes für Marketing, Kommunikation und Verkauf aus. Ich kann das beste Produkt der Welt haben – wenn das niemand weiss, habe ich auch keinen Erfolg.

    Marketing und Kommunikation muss im Voraus finanziert werden und gehört zum unternehmerischen Risiko. Ich mach erst Marketing und Kommunikation, wenn ich was verkauft habe, geht nicht.

    Glück und Zufall bestimmen das Schicksal von jedem Unternehmen. Ich kann zu innovativ sein und habe keinen Erfolg. Ich kann die richtigen Leute treffen und das Geschäft brummt. Beziehungen und Glück sind überall massgebend, nicht nur in der Kultur.

    Mit den aufgeführten Kriterien bin ich – mit Ausnahme von Punkt 4 und 7 – nicht einverstanden.

    – Ob ich einen «Masters in Art» habe interessiert niemanden, wenn das Stück langweilig ist
    – Genauso wenig wie lange ich das schon mache. Man kann etwas auch 20 Jahre lang falsch machen. Wenn das ein Kriterium ist, sind wir beim Gewerkschaftsballett, wo man Prima Ballerina wird nach 30 Jahren Mitgliedschaft.
    – Auch ob ich das Haupt- oder Nebenberuflich mache, sollte kein Förder-Kriterium sein. Die Grenzen verwischen sich sowieso zusehens.
    – Anzahl der Mitglieder ist allenfalls für die Höhe der Subvention ausschlaggebend, nicht aber für die prinzipielle Förderwürdigkeit.
    – Regionalität an sich ist auch kein Förderkriterium – ausser beim lokalen Trachten- und Gesangs-Verein

    Ich denke, Kultur sollte so gefördert werden, wie Grundlagenforschung in der Wissenschaft. Und um beurteilen zu können, ob ein Kultur-Projekt wie Liebigs Suppen-Extrakt an sich unverdaulich ist, aber damit noch manche Suppe gekocht werden wird, braucht es verständige Juries. Ich sage das zähneknirschend als Kultur-Konsument, der die letzen Jahre mehr Suppen-Extrakte als Suppen genossen hat.

    Der Anspruch gefördert werden zu wollen unabhängig von der Beurteilung anderer bloss weil man sich als «Künstler» versteht gehört ins Biedermeier. Genauso wie der Anspruch, keine «niederen» Büro-, Marketing- oder Kommunikations-Arbeiten machen zu wollen, weil man sich ja auf seine Kunst konzentrieren muss.

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    • Profilfoto von Silvana
      Silvana, 14.07.2021, 10:25 Uhr

      Danke Michael, ein sehr wichtiger Input. Die Vorstellung mancher Künstler:innen, sie können einfach Künstler:in sein und davon leben, ist befremdend und gehört ins Museum.

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  • Profilfoto von Irina Lorez
    Irina Lorez, 08.06.2021, 22:04 Uhr

    Selbst führende Ökonomen stellen Regeln vor Jurierende:
    https://www.youtube.com/watch?v=g6m4d3v3q9Y

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  • Profilfoto von Peter Bitterli
    Peter Bitterli, 08.06.2021, 17:18 Uhr

    Jetzt, in den „Corona-Zeiten“, wurde allerlei Performerinnen und Klanginstallatören Geld dafür gezahlt, dass sie sich keine Flüssigkeiten über den Kopf schütten, keinen inszenierten Sozialpädagogenkäse auf Kindergartenniveau abturnen und keine Didgeridoos an Staubsauger anschliessen. Das hat doch prima geklappt. Genau so kann man weitermachen, womit auch das Problem der gerechten Verteilung gelöst ist.

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  • Profilfoto von Silvana
    Silvana, 08.06.2021, 14:57 Uhr

    Mal anders gefragt: Warum kommt jemand, der gerne tanzt, auf die Idee, dass der Staat diese Leidenschaft finanzieren müsse? Diese Anspruchshaltung finde ich ziemlich befremdend.

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    • Profilfoto von Stefanie Inderbitzin
      Stefanie Inderbitzin, 08.06.2021, 16:00 Uhr

      Diese Frage ist berechtigt. Doch weshalb soll jemand, der professionell tanzt, nicht einen Anteil an der bestehenden Kulturförderung erhalten? Es entspricht ja offenbar dem Willen des Steuerzahlers, dass Kunst und Kultur finanziell unterstützt werden. Und dies schliesst Tanz ja nicht aus.

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    • Profilfoto von susan
      susan, 10.06.2021, 14:38 Uhr

      liebe Silvana

      gerne tanzen und Tanz als Beruf ausüben sind doch auch für Laien nachvollziehbare Unterschiede. Gerne deine Kinder oder Freunde pflegen, wenn sie krank sind, oder als Arzt tätig sein, ist auch für die Krankenkassen ein Unterschied…. 🧚‍♀️

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  • Profilfoto von Michel von der Schwand
    Michel von der Schwand, 08.06.2021, 11:15 Uhr

    Kulturförderung ist gerade bei Stiftungen, aber auch beim Kanton klar definiert. Schauen Sie die Förderkriterien einer Albert Koechlin Stiftung oder Arthur Waser Stiftung an, dann erkennen Sie, welchen Spielraum eine Stiftung hat, welchen nicht. Auch der Kanton Luzern kennt klare Regelungen, welche transparent kommuniziert sind. Zugegeben ist es in der Kultur wie in der Wirtschaft, eine persönliche Beziehung zu einem Entscheidungsträger kann förderlich sein und helfen. Professionalität steht nicht alleine für Qualität.
    Die Beschaffung von Fördermittel ist eine nicht zu unterschätzende Arbeit. Auch hier kann man sich schlau machen und sich über die vielen Stiftungen in der Schweiz informieren. So auch das Kulturprozent der Migros etc.

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    • Profilfoto von Irina Lorez
      Irina Lorez, 08.06.2021, 22:09 Uhr

      Selbst führende Ökonomen stellen Regeln vor Jurierende:
      https://www.youtube.com/watch?v=g6m4d3v3q9Y

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