Die Musik spielt wieder – doch zu wenige wollen sie hören
Seit einiger Zeit sind wieder Konzerte möglich, man darf Veranstaltungen besuchen und das kulturelle Leben erwacht aus seinem Coronakoma. Alles gut, könnte man meinen. In der Praxis schaut es leider vielerorts anders aus, stellt Shakra-Bassist Cyril Montavon fest.
Gross war die Freude, als ein Grossteil der Corona-Massnahmen Ende Juni gelockert wurde und ein Leben im alten Stil möglich schien respektive zumindest die Kultur- und Eventbranche ein Licht am Ende des Tunnels erblickte. Nach monatelangem Däumchendrehen, flexiblem Kreieren von Durchhalteparolen und teils ziellosen Überbrückungstätigkeiten schienen die Aussichten gar nicht mal so übel.
Der Stand der Dinge
Knapp zwei Monate später hat sich grösstenteils Ernüchterung eingestellt. Es gibt zwar Veranstaltungen und Konzerthäuser, welche sich über gute Besucherzahlen erfreuen können und dürfen (zum Glück). Im Grossen und Ganzen macht sich aber dennoch leise Ernüchterung breit. Die Shows, welche ich teils als Booker, teils als aktiver Musiker erleben durfte, waren daher eher ein Wechselbad der Gefühle als der erhoffte Befreiungsschlag.
Viele der Konzerte waren zwar sehr emotional und intensiv, jedoch in der Tendenz eher mässig besucht. «Stell dir vor, da ist endlich wieder ein Konzert und fast niemand geht hin.» So oder so ähnlich klingt es aus vielen Ecken der Deutschschweiz, von Veranstaltern (grossen wie kleinen), Kulturarbeitenden und weiteren Branchenkennern. Vielerorts wird die sowieso schon kleinere Auslastung nicht erreicht, Covid-Zertifikat hin, Impfdiktatur her. Und die Vorverkaufszahlen für den Herbst lassen Schlimmes befürchten.
Die Unterstützungsmassnahmen
Mir sind keine professionellen Agenturen oder Veranstalter bekannt, welche bisher aus finanziellen Gründen die Segel streichen mussten. Wenn auch die Massnahmen- und Unterstützungspakete des Bundes, der Kantone und verschiedener weiterer Institutionen teils Anlaufschwierigkeiten hatten, funktionieren tun sie und die Unterstützung kommt in den meisten Fällen an.
Notwendig sind diese Massnahmen alleweil und es ist zu befürchten, dass die Branche weiterhin darauf angewiesen ist (eben, die Sache mit dem spärlich erscheinenden Publikum …). Es erklärt sich von selbst, dass niemand wirklich auf diese Gelder angewiesen sein möchte, die Jahre vor der Krise waren der Beweis, dass es möglich ist, «ökonomisch» zu arbeiten.
Die Sache mit dem Zertifikat
Ohne jetzt gross ins Horn der Impfbefürworter stossen zu wollen (bin ich nämlich auch nicht), erschliesst sich mir die Jammerei über eine angebliche Diskriminierung nicht wirklich. Vorderhand «muss» man sich ja nicht impfen lassen, darf dann dafür halt das eine oder andere nicht oder nur mit damit verbundenem Aufwand machen. Dass man dafür kein Verständnis aufbringen kann, ist unverständlich, aber vermutlich auch ein Grund für teils abwesende Hörer- und Seherschaft.
«Bevor ich mich impfen lasse, bleibe ich lieber zu Hause. Die in Bern haben mir sicher nicht vorzuschreiben, was ich zu tun und lassen habe.» Diese Aussage höre und lese ich etwa gleich häufig wie die ständig kommunizierten neuen Zahlen und Erkenntnisse über ungeimpfte Corona-Patienten auf der Intensivstation, die x-te Welle, ein neues Pandemie-Krisengebiet oder die gewichtsmässige Zunahme von Herrn und Frau Schweizer innerhalb der letzten 18 Monate.
Für Interessierte: Es ist das 33-fache im Vergleich zur letzten Erhebung. Stattliche 3,3 Kilogramm, am meisten betroffen ist die Personengruppe zwischen 45 und 60 Jahren. Ein Schelm, wer Böses denkt und merkt, dass eben diese Gruppe nun auch zu den mehrheitlich Betroffenen einer Covid19-Infektion gehört. Doch ich schweife ab …
Der Wertverlust der Musik
Neben meinen musikalischen Ergüssen und der Konzertagentur bin ich auch stolzer Mitbesitzer eines kleinen, aber feinen Labels mit Vertriebskanälen in die ganze Schweiz, einem gewissen Renommee, was die Künstler betrifft und einer relativ gesunden, schlanken Firmenstruktur. Dass der physische Handel seit 15 Jahren strauchelt, ist keine Neuheit.
Dass die Streaminganbieter von der Pandemie profitiert haben (ebenso wie Netflix und anderes Karsumpel) dürfte ebenfalls angekommen sein. Auch hier bricht, neben den Konzerten, ein weiteres Standbein von Musikerinnen weg. Für die paar Streams gibt es lächerlich kleine Vergütungen, die früher an den Konzerten verkauften Tonträger gammeln in Proberäumen vor sich hin und auch der Fachhandel darbt (mit Ausnahme von gutsortierten Vinylstores).
Rechnungen statt Bestellungen
Wir haben jeweils sehr regelmässig Artikel unserer Künstler in die ganze Schweiz ausliefern dürfen. Bestellungen in den letzten acht Wochen? Fehlanzeige. Das Einzige, was reinflattert sind die Rechnungen für Fixkosten, welche wir nun ebenfalls mit unseren sonst schon strapazierten Konten übernehmen. Es ist zu befürchten, dass der Wert von Musik nochmals sinkt.
Und er war bereits vorher bei Weitem nicht dort, wo er eigentlich sein müsste. Ergo: die Musikerin mit einem Hauptjob in einem anderen Bereich war schon immer vorherrschend. Dass sich aber immer mehr noch genauer überlegen, worin der effektive Nutzen/Gehalt von kreativer Betätigung in einem schier hoffnungslos unterbewerteten Bereich liegt, dürfte zur Regel werden.
Die Hoffnungsschimmer
Zum guten Glück gibt es noch Menschen, die sich Konzerte und Veranstaltungen nicht nehmen lassen. Oder aber den Plattenladen ihres Vertrauens stürmen und das Feriengeld auf den Kopf hauen. Getreu dem Motto «es gibt nichts Gutes, ausser man tut es» habe ich auch mich an der Nase nehmen müssen. Um die 3,3 Kilogramm kam ich zwar rum, zum guten Glück gehöre ich ebenfalls noch nicht in die am meisten betroffene Altersklasse (zentralplus berichtete).
Aber auch ich wurde bequem in den letzten Monaten, der Abend auf der Couch war eher die Regel denn die Ausnahme. Denn sie sind da! Die Clubs, Bands, Veranstalter, die sich nicht unterkriegen lassen und auf Teufel komm raus weitermachen und tolle Konzerte spielen sowie Anlässe durchführen. Für die Bands, fürs Publikum, für das eigene Wohlbefinden – denn ohne Kultur ist das Leben nur eine Aneinanderreihung gleicher Tage.
Also, geht raus (am besten zertifiziert) oder bleibt zu Hause (am besten unzertifiziert), aber schaut zu euren Kreativschaffenden und unterstützt sie in irgendeiner Art. Einfach «Start» drücken geht nicht, wenn/falls es dann irgendwann mal wieder richtig losgeht. Ich habe mir auf alle Fälle vorgenommen, in der nächsten Zeit mindestens zweimal pro Monat «raus» zu gehen. Vielleicht nicht mehr ganz so steil wie früher, ein bisschen gesitteter und möglicherweise mit dem «Latz» vor dem Mund. Aber auf alle Fälle dahin, wo Kultur gelebt und gemacht wird.
Roli Greter, 31.08.2021, 13:42 Uhr Solange man für einen Konzertbesuch als gesunder Mensch mit einem Zertifikat etwas beweisen muss bleibe ich, selber auch Musiker, lieber im Proberaum.
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Leider nur sehr spärlich besucht. So bekamen wir praktisch ein Privatkonzert. Wohin geht es bei euch kommenden Monat?👍1Gefällt mir👏0Applaus🤔0Nachdenklich👎2Daumen runter