Das Ding mit der Gastfreundschaft
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Die Zentralschweiz begeht 2015 das 200-jährige Jubiläum ihrer Gastfreundschaft, nirgends prominenter als auf der Seerose des «Gästivals». Darüber müssen wir aber noch einmal reden.
Irgendwann während der langen Monate, in denen ich immer wieder einmal darüber nachgedacht habe, was ich denn dereinst über das «Gästival» schreiben werde, wollte ich mich auf die meiner Meinung nach dreiste Vereinnahmung des Begriffes «Gastfreundschaft» konzentrieren. Eine sinnvolle Richtung, aus der dieses Thema anzugehen wäre, schien mir die philosophische. Latenter Zeitmangel hat diese Idee dann im Keim erstickt, aber siehe da: Am Sonntag, 21. Juni findet auf der Seerose ein «Philosophisches Gespräch zur Gastfreundschaft» statt. Touché Gästival, touché. Da ich aber auf diesen Input für diesen Blog nicht zurückgreifen kann, sollen hier zunächst doch einige Worte zur Gastfreundschaft, wie sie scheinbar zu verstehen sein soll, gesagt werden.
«200 Jahre Gastfreundschaft Zentralschweiz» scheint auszusagen, dass in der Zentralschweiz die Gastfreundschaft vor 200 Jahren eingeführt wurde, was eher ein Armutszeugnis darstellen würde. Aber das kann nicht gemeint sein.
Auch die HSLU forscht mit
«In einem grossen Forschungsprojekt widmet sich die Hochschule Luzern der Frage, was Gastfreundschaft denn wirklich ist und mit welchen Mitteln sie sich verbessern und weiterentwickeln lässt», heisst es auf der Seite. Sehr lesenswert sind die Power-Point-Folien unter dem Titel «Verständnis der Gastfreundschaft», aus drei Gründen. Erstens wird dort zunächst einmal der Unterschied zwischen «traditioneller Gastfreundschaft (in der Bevölkerung)» und «professioneller Gastfreundschaft (in den Unternehmen)» konstruiert. Auf der traditionellen Seite sehe ich beispielsweise die Handlung, jemanden zu sich zum Essen einzuladen und dieses gemeinsam einzunehmen. Das professionelle Gegenstück dazu wäre es, in einem Restaurant jemandem im Austausch gegen Geld Essen zu servieren. Meiner Meinung nach liegt der Unterschied da anderswo, als etwa in einer Unterscheidung zwischen «traditionellem Handwerk» und «professionellem Handwerk». Es sind zwei unterschiedliche Dinge, die aus unterschiedlicher Motivation passieren. Nennen wir es beim Namen: das eine ist Gastfreundschaft, das andere ist Gewerbe. Letzteres haben wir anscheinend vor 200 Jahren auf touristischer Ebene eingeführt. Ersteres wird offensichtlich getilgt.
Freundlichkeit, Herzlichkeit, Echtheit, Wertschätzung
Was zum zweiten interessanten Punkt des Forschungsprojekts der Hochschule führt: Gastfreundschaft wird als Gesamterlebnis in einer Destination verstanden, zu dem sowohl die traditionelle wie auch die professionelle Seite beitragen. Als wichtigste Aspekte der gesellschaftlichen Ebene werden wie die folgenden identifiziert: «regionale Politik und Gesetze», «kulturelle Identität», «Tourismusbewusstsein der Bevölkerung». In anderen Worten: Hier wird die Idee von Gastfreundschaft als individuelle Handlung oder Einstellung in kollektiven Strukturen aufgelöst, die traditionelle Gastfreundschaft ist nicht mal mehr eine Ergänzung, sondern eine Ausdehnung der professionellen Gastfreundschaft.
Drittens wird nun, nach der Strukturierung des Individuellen, das Professionelle personalisiert. Mit eher skurrilen Auswüchsen. Wir begegnen nun der professionellen Freundlichkeit, Herzlichkeit, Echtheit, Wertschätzung, etc.
Zitat: «Das gastfreundschaftliche Verhalten zeigt sich als natürlicher Bestandteil des Charakters und wirkt dadurch authentisch und echt.»
Zitat: «Mitarbeitende lächeln freundlich.»
Zitat: «Mitarbeitende zeigen positive Emotionen.»
Zitat: «Mitarbeitenden zeigen gegenüber Gästen Wertschätzung und Dankbarkeit.»
Zusammenfassend: Der Begriff Gastfreundschaft scheint sich dann auf das Tourismusgewerbe anwenden lassen, wenn man möglichst so tut, als sei es kein Gewerbe. Ich finde das heuchlerisch, zynisch sogar, wenn man die Implikationen betrachtet.
«Unsere Gäste, unsere Freunde»
Das ist der Slogan des Gästivals. Der Bezug zu oben scheint mir eindeutig. Man muss aber auch festhalten, dass Gäste dann halt einfach Menschen sind, die während einem gewissen Zeitraum im Austausch gegen Geld gewisse Leistungen in Anspruch nehmen. Das können etwa, man möge mir die Polemik verzeihen, Asylsuchende nicht von sich behaupten. Aber Argumentationen wie via dem Artikel von zentral+: «Ein Ausreisezentrum auf Luzerner Boden entlastet den Kanton, weil er weniger Asylbewerber aufnehmen muss», scheinen mir eher mit (mangelnder) Gastfreundschaft zusammenzuhängen, als fingiertes persönliches Interesse an der Hotelrezeption. Selbiges gilt für die hässliche Fussballbezogene Strassenschlacht am Pfingstmontag.
Kann man so die Touris abholen?
Das ist natürlich nicht das Problem des Gästivals. Aber es unterstreicht meiner Meinung nach das Problem des sehr euphemistischen Umgangs mit dem Tourismus-Gewerbe. Das Gästival – man möge es rühmen für den Aufwand, die vielen kulturellen Veranstaltungen und die Bandbreite derselben, und man möge finden, dass der Name einen besonderen Platz in der Wortspielhölle erhalten wird – hat ein ganz anderes Problem: Es steht völlig schräg in der Landschaft. Der Name und der Slogan sagen, es richtet sich an Touristen. Laut dem Bericht «Schweizer Tourismus in Zahlen» des Schweizer Tourismus-Verbands, macht Kultur ca. 1% der touristischen Nachfrage in der Schweiz aus. Oder weniger fundiert gesagt: Wir alle wissen, wie die meisten Touristen Luzern erleben. Zugegebenermassen ist es schwer, nicht (schweizer)deutsch-Sprechende abzuholen. Unter diesem Aspekt schiesst sich ein guter Teil des Gästival-Programms gleich selbst ab. «Mann über Bord. Talkshow mit Dominic Deville»? «Johnny Burn präsentiert: Lapsus und Fabian Unteregger»? «Spoken Word Abend»? Schwierig, wenn man es nicht versteht.
Richtet sich das Gästival also eher an die einheimische Bevölkerung?
Das wäre doch schön, so ein aufwändiges kulturelles Ding, für diejenigen, die die lokale Kultur erschaffen und leben. Aber dann findet es eben doch im Rahmen eines grossen Tourismus-Events statt und die Kultur dient eher als Federschmuck am Bug eines Reisecars.
Versuchen wir es so einem Ende zuzuführen: Der Massentourismus ist für viele Menschen in der Zentralschweiz eine Einnahmequelle – schön und gut. Aber bitte tun wir nicht so, als wäre er eine gesamtgemeinschaftliche Aufgabe, geschweige denn, als habe er etwas mit einer freiwilligen, freigiebigen, sozialen Interaktion zu tun. Niemand hat Freude am Schwanenplatz. Niemand will in einer Postkarte leben. Aber genau das geschieht, wenn man Gastfreundschaft mit Gewerbe vertauscht, und Kultur als reines Vorzeigegut behandelt.
Und für nur 5 Franken mehr jodelt der Skilehrer sogar.