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Naturkatastrophen, Covid, Halleluja

Als Luzerns Kulturszene ohne schlechtes Gewissen ruhte

Im Sommer 2020 wurde im Garten trainiert, 2021 dominierten Hagel und Starkregen. (Try out «Knall im Hupi» Performance: Irina Lorez) (Bild: Caroline Minjolle)

Die Flugzeuge fliegen wieder, Künstler treten wieder auf – kurz, die Tretmühle ist wieder in Gang. Ist nun wieder alles beim Alten? Die Luzerner Tänzerin und Choreografin Irina Lorez wünscht sich manchmal die Ruhe und Entspannung aus dem vorletzten Sommer zurück.

Ende Juni erwischte uns eine fürchterliche Unwetterzelle. Zuerst drückten schwarz-gelbe Wolken wie unförmige Ufos auf den Boden und sofort fielen die Hagelkörner, gross wie Tennisbälle. Wir standen am Fenster, unter Schock. Was würde uns noch bleiben? Im Garten wirbelten Äste, Blätter, Blüten und Kesselstücke durch die Luft und klatschten an die Fensterscheiben.

Im Nu war der Boden mit weissen Bällen bedeckt. Und wo sind die Katzen? In diesen Minuten gingen mir alle bekannten Naturkatastrophen der Welt durch den Kopf. Wie schrecklich ist das, von einem Moment auf den andern alles zu verlieren, Familie, Haus, Freunde, Tiere … und am andern Tag, wenn alles vorbei ist, scheint die Sonne erbarmungslos heiss auf das Gesicht, als wäre nichts geschehen. 

Nichts ist mehr sicher

Drei Wochen lang habe ich eine unserer Katzen gesucht, bis ich aufgeben musste. Ich habe verletzte Störche und Falken gesehen. Zusammen mit einer Nachbarin konnte ich einen schwarzen Jungmilan retten. Wir fuhren ihn in die Vogelwarte Sempach und setzten ihn nach einer Kontrolle wieder an seinen Ort, auf einen hohen Ast am Waldrand. Leider aber blieb unsere Katze Tabrizi wie vom Erdboden verschluckt.

Nach der ganzen Trauer- und Aufbauarbeit fiel der Dauerregen und der Hügel fing an zu rutschen. Das Wasser drückte aus dem Hügel und floss in Strömen in den Katzenstall. Die Feuerwehr schaltete sich ein, doch zum Glück mussten wir nicht evakuiert werden. Als es endlich trockener wurde, war nach weiteren Aufräumarbeiten der Sommer fast vorbei.

Einiges blieb jedoch für längere Zeit durcheinander. Vögel und Füchse suchten weiterhin unsere Nähe. Mir zog es die Kehle zusammen, wenn ich wieder «Achtung Unwettergefahr» las. Seit diesem Sommer habe ich noch stärker das Gefühl, dass nichts mehr sicher ist. Morgen kann die Natur wüten und wir stehen vollkommen ohnmächtig da. 

«Mir fehlt gar nichts!»

Der vorletzte Sommer war ganz anders. Wir waren von Covid eingeschüchtert, doch in einem verbindlichen Rückzug. Wir durchliefen alle dasselbe und hielten zusammen. Einige aus der Kulturszene genossen sogar diese Ruhe und Entspannung, ohne schlechtes Gewissen, etwas Wichtiges zu verpassen. Auch ich. Kein Leistungsdruck, nichts. Unterstützung wurde uns angeboten. Wir durften mit gutem Gewissen an etwas arbeiten, ohne an das Endprodukt zu denken.

Menschen jeden Alters spazierten an unserem Garten vorbei, wo ich trainierte. Sie genossen sichtlich die Natur, lachten über dieses und jenes – vielleicht auch über mich – und schwatzten unter dem Birnbaum. Eine Regisseurin sagte mir in dieser Zeit: «Weisst du was, mir fehlt gar nichts!» Und auch mir fehlte nichts. Und was ist jetzt? Die Tretmühle läuft wie immer. Weil sie wieder vermeintlich funktioniert, sollte doch alles beim Alten bleiben.

Doch nichts ist beim Alten, ausser dass der Himmel wieder voller Flugzeuge ist. So schnell wie ein Unwetter über die Dächer zieht, so schnell sind alle Flüge wieder auf Hochbetrieb. Wie soll das weitergehen? Ein Sprichwort besagt: «Lebe jeden Tag, als wäre er dein letzter». Ich sage: «Lebe so, dass du auch in hundert Jahren noch gerne auf dieser Erde wärst. Halleluja!»

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