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«Fage à la carte» führt zum eidg. Fähigkeitszeugnis

Neue Ausbildung für Pflegekräfte ohne Berufsabschluss

Sandra Rust ist eine der zehn Lernenden im Pilotlehrgang des Projektes. (Bild: zvg)

«Fage à la carte» ist ein neues individualisiertes Bildungsformat für Erwachsene (ab 22 Jahren), die mindestens zwei Jahre Berufserfahrung im Bereich Pflege und Betreuung mitbringen und einen Berufsabschluss als Fachfrau bzw. Fachmann Gesundheit EFZ anstreben. Mit einer multimedialen Lernplattform können die Lernenden weitgehend örtlich und zeitlich flexibel lernen.

Die theoretischen Grundlagen werden von zu Hause online im Selbststudium erarbeitet. Die Lehrperson unterstützt die Lernenden nach Bedarf als Coach in ihrem Lernprozess oder als Fachperson bei inhaltlichen Fragen. Für Module, die physische Präsenz verlangen, bieten die Lehrpersonen Präsenztermine an.

Ablauf des Bildungsformates

Nach der Kompetenzvalidierung legt die Lehrperson mit den Lernenden in einem Beratungsgespräch fest, welche theoretischen Grundlagen noch vertieft werden müssen, um das Qualifikationsverfahren zu bestehen. Die entsprechenden Module werden auf der digitalen Lernplattform für die Lernenden freigegeben. Lernende, die gemeinsam in das Bildungsformat starten, werden aktiv miteinander vernetzt, sodass sie sich austauschen und von gegenseitigen Erfahrungen profitieren können.

An Standortbestimmungen überprüfen die Lernenden ihr Wissen, bevor sie zum Qualifikationsverfahren für Fachfrau Gesundheit EFZ antreten.  Seit Januar 2021 wird am Gewerblich-industriellen Berufsbildungszentrum GIBZ in Zug ein erster Probelauf dieses Ausbildungstyps mit insgesamt zehn freiwilligen Lernenden durchgeführt. Diese absolvieren zwei Module aus dem Lehrgang Fachmann Gesundheit EFZ mit der multimedialen Lernplattform und der dazugehörenden Begleitung der Lehrperson. 

Individualisierte Lernzeitplanung

Angaben zu den Interviewpartnern

Loris Müller, Lernumgebungsgestalter «Fage à la carte», Berufsschullehrperson
Regula Tobler, Prorektorin Gesundheit und Dienstleistungen am GIBZ und Projektleiterin
Flavia Fries, Projektbegleiterin
Sandra Rust, Lernende im Pilotlehrgang

zentralplus: Frau Tobler, Sie leiten das Prorektorat Gesundheit und Dienstleistungen am GIBZ. Warum braucht es solche Ausbildungsformate wie «Fage à la carte»?

Tobler: Tatsache ist, dass Erwachsene in der verkürzten Ausbildung (Art. 32, BBV) öfters hochprozentig in der Pflege arbeiten, um den Lebensunterhalt finanzieren zu können. Ausbildung und Lernen findet bei Erwachsenen auch in der Freizeit statt. Das Bildungsformat nimmt mit einer individualisierten Lernzeitplanung Rücksicht auf die Lebens- und Arbeitswelt von erwachsenen Lernenden, die meistens in einem Schichtbetrieb mit unregelmässigen Arbeits- und Freizeiten arbeiten.

Mit diesem Angebot kann eine Möglichkeit geschaffen werden, dass motivierte langjährig erfahrene Pflegehelferinnen und Quereinsteiger eine Ausbildung zur Fachfrau Gesundheit mit eidg. Fähigkeitsausweis abschliessen können. Mit solchen innovativen Bildungsprojekten können wir einen Beitrag leisten, dass zukünftig ausreichend Fachpersonal im Gesundheitswesen ausgebildet wird.

Individuelle Lernstrategien

zentralplus: Frau Fries, Sie arbeiten an der Konzeption des digitalen Ausbildungsganges mit. Welches sind die Stärken dieser Ausbildung?

Fries: Die grosse Stärke des Bildungsformats ist seine Flexibilität. Gerade bei Erwachsenen sind die persönlichen Erfahrungen und Lernpräferenzen sehr unterschiedlich. Ausserdem sind viele beruflich und privat ausgelastet, sodass ein fixer Schultag pro Woche organisatorisch nicht zu bewältigen ist. Von den Lernenden wird auch der eingesparte Anfahrtsweg als Stärke erwähnt. Weiter können die Lernenden nicht nur frei entscheiden, wo und wann sie lernen, sondern auch wie viel Zeit sie für ein Thema aufwenden und wie sie vorgehen.

Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass viele Erwachsene auf bewährte Lernstrategien zurückgreifen, die sehr unterschiedlich sind. Schliesslich ist die organisatorische und fachliche Unterstützung, die die Lernenden im Bildungsformat durch die Lehrperson und die Vernetzung mit den Mitlernenden erhalten, eine weitere Stärke, die das Bildungsformat von einem reinen Online-Kurs unterscheidet.

zentralplus: Wie lange dauert diese Ausbildung?

Fries: Das kommt ganz darauf an. Mit der Kompetenzvalidierung und dem anschliessenden Beratungsgespräch mit der Lehrperson wird für jeden Lernenden individuell definiert, welche Module für ein erfolgreiches QV noch erarbeitet werden müssen. Theoretisch kann eine Lernende die Ausbildung in wenigen Monaten abschliessen, wenn sie aufgrund ihrer Berufserfahrung und ihrem theoretischen Wissen nur noch ein Modul besuchen will. 

Realistisch gesehen müssen Lernende im Normalfall mehr als 6 Module besuchen. Der Termin für die QV-Prüfung ist für «Fage à la carte»-Lernende obligatorisch und nur einmal im Jahr möglich (Juni). Deshalb gehe ich davon aus, dass die Dauer der Ausbildung im Normalfall zwischen einem und drei Jahren betragen wird. Der Vorteil liegt im flexiblen Beginn und Abschluss.

Digitale Module für das Bildungsformat

zentralplus: Herr Müller, Sie gestalten die digitalen Module dieser Ausbildung. Wie gelingt es Ihnen, dass die Lernenden die Lernziele einer Berufsausbildung, die doch mit Menschen zu tun hat und viele soziale Aspekte beinhaltet, digital erreichen können?

Müller: Die Berufsausbildung der Fachfrau Gesundheit EFZ beinhaltet viele soziale Aspekte und der Unterricht lebt tatsächlich von der Kommunikation mit den Lernenden. Der Aufbau dieses neuen Bildungsformats, insbesondere die Gestaltung der digitalen Module, ist eine Herausforderung.

Mit «Fage à la carte» wird den Lernenden die Möglichkeit geboten, ihre Kompetenzen zu erweitern, indem sie sich das notwendige berufliche Fachwissen anhand der multimedialen Lernplattform aneignen. Dieses neue Fachwissen wird aber mit der Möglichkeit eines regelmässigen Austausches und spannenden Diskussionen kombiniert.

Die multimediale Lernplattform bietet viele Möglichkeiten, um die Module möglichst praxisbezogen und abwechslungsreich anzubieten. Jedes Modul beginnt gemäss der Bildungsverordnung mit einer beispielhaften Situation, daraus leite ich explizite Lernziele ab und versuche das benötigte theoretische Fachwissen Schritt für Schritt darauf aufzubauen. In die Module integriere ich verschiedene Lernformen wie Videos, Podcasts, Arbeitsaufträge etc. Für die Wissensüberprüfung erarbeite ich auf der Lernplattform verschiedene Quiz und als Modulabschluss steht den Lernenden jeweils eine Probeprüfung zur Verfügung.

Beim Durcharbeiten der Lernplattform dürfen sich die Lernenden natürlich jederzeit mit Fragen an die Lehrperson wenden und zudem besteht die Möglichkeit von Coaching-Terminen. Insgesamt können wir damit ein attraktives und interessantes Bildungsformat anbieten.

Übersichtlich, informativ und mit gewinnbringendem Zusatzmaterial

zentralplus: Frau Rust, Sie sind aktuell Lernende im Pilotlehrgang. Warum eignet sich die Ausbildung für Sie?

Rust: Ich hatte eine Fussoperation vor mir und wollte unbedingt weitermachen mit der Ausbildung. Da es aus gesundheitlichen Gründen eine längere Unterbrechung gegeben hätte, erschien mir die Chance, bei diesem Pilotlehrgang mitzumachen, geradezu perfekt zu sein und ich bin sehr froh, daran teilnehmen zu dürfen.

zentralplus: Wie ist Ihr erster Eindruck der Ausbildung?

Rust: Ich lernte Herrn Müller – er hat ja den Lehrgang kreiert – in meinem ersten Semester bei der verkürzten Ausbildung bereits als Lehrperson kennen. Da habe ich einen positiven Eindruck von ihm erhalten. Er war immer sehr gut vorbereitet, konnte meine Aufmerksamkeit aufrechterhalten und vermittelte den Schulstoff auf eine lockere und dennoch professionelle Art.

Da hatte ich überhaupt keine Bedenken, am Pilotlehrgang teilzunehmen. Dies hat sich nun auch bestätigt. Das Angebot ist für mich übersichtlich, informativ und enthält gewinnbringendes Zusatzmaterial wie Podcasts, Videos, Zielüberprüfungen etc.

Selbständiges Lernen im Zentrum

zentralplus: Wie gestalten Sie Ihre Woche und Ihr Lernen?

Rust: Aufgrund meiner gesundheitlichen Einschränkungen kann ich zurzeit nicht in meinem Beruf arbeiten. Daher habe ich natürlich theoretisch sehr viel mehr Zeit zum Lernen. In der Praxis ist das oft viel komplizierter. Ich brauche für meine täglichen «Bedürfnisse» einen grösseren Zeitaufwand und muss vieles organisieren.

Ich habe Arzt- und Therapietermine. Und das ist ja genau das Tolle, mich so organisieren zu können, dass ich trotzdem lernen kann. Nach meiner Operation konnte ich während zwei Wochen gar nicht lernen. Danach war ich wieder voll dabei. Herr Müller ist auf Teams gut erreichbar und beantwortet meine Fragen jeweils konkret.

zentralplus: Wem empfehlen Sie diese Ausbildung?

Rust: Ich denke, es ist wichtig, dass jemand gerne selbstständig lernt. Es gibt Lernende, die damit überfordert und unsicher sein könnten.

Politische Unterstützung

Fage ist eine enorm wichtige Berufsgruppe, deswegen setzt sich die politische Bewegung «Die Brückenbauerinnen» auch aktiv dafür ein und unterstützt beispielsweise die Zuger Nationalrätin Manuela Weichelt-Picard bei der Aufwertung des Pflegeberufs sowie bei der Wertschätzung der Pflegefachpersonen.

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Im Fokus stehen Unternehmer und Entwickler. Autor Lars Rominger aus Menzingen, selbst ein Erfinder, Wissenschaftler und Fachbuchautor, zeigt die Menschen hinter einer Idee und stellt spannende Projekte vor.
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2 Kommentare
  • Profilfoto von FaBeJoberin
    FaBeJoberin, 22.08.2021, 15:06 Uhr

    Danke für den informativen Beitrag. Ich finde es gut, dass die Digitalisierung in dem Bereich Einzug hält. Das flexible Lernen, welches so neben dem Berufsalltag möglich ist, ist sicherlich ein riesen Vorteil. Zumal in dem Bereich der Pflegehelfer Jobs und Fachfrau Betreuung Stellen weiterhin ein Personalmangel herrscht, dem man so entgegenwirken kann.

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  • Profilfoto von Thomas Dibke
    Thomas Dibke, 27.03.2021, 13:01 Uhr

    Dem digitalen und individualisiertem Lernen gehört sicher die Zukunft!

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