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Mental Load: Wenn «Abgrenzen» nur ein leeres Wort ist

Wo ist der Aus-Knopf für meinen Kopf?

Eine gute Planung, die man gemeinsam erstellt, hilft, den Überblick nicht zu verlieren und lässt einen den Kopf auch mal ausschalten. (Bild: nst)

Es rattert ständig in meinem Kopf und tausend Dinge formen sich zu einer ellenlangen To-do-Liste. Jede Aufgabe für sich allein nicht der Rede wert, doch in der Summe sind es viele. Zu viele. Und wie war das noch mal mit dem Mann in der Beziehung?

Ich liege im Bett und lese. Immer wieder den gleichen Abschnitt, ohne ihn zu verstehen. Denn in meinem Kopf gehe ich den morgigen Tag durch. Wer braucht was, um welche Zeit, mit welchem Gepäck, damit jedes Familienmitglied zur rechten Zeit mit dem rechten Zeug das Haus verlassen kann? Mir fällt ein, dass die Anmeldung zum Elterngespräch noch nicht raus ist. Dass wir noch ein Geschenk brauchen fürs Rentnerinnenfest unserer Nachbarin, die Regenhose vom grossen Frölein zu kurz ist und: Wann wurden ächt unsere Betten letztmals frisch bezogen? Dieses Geratter im Kopf nervt und lässt sich nicht abstellen.

Und was tut mein Partner? Er schläft tief und fest

Wie gerne hätte ich einen Aus-Knopf direkt an meinem Nachttischli montiert. Der esoterische Spray «Abgrenzen» nützt auch nicht wirklich was. Schaue ich auf die rechte Seite, liegt da mein Partner und schläft bereits tief und fest. Ich könnte ihn erschlagen. Dafür, dass er sich nicht all diese Gedanken macht. Dafür, dass es ihm offensichtlich so gut gelingt, loszulassen und auf sein Schlafbedürfnis zu achten. Dafür, dass er wohl darauf baut, dass wir dies schon zusammen stemmen, morgen, übermorgen und die restliche Woche. Natürlich krümme ich ihm kein Haar. Ich würde einfach gerne so daliegen wie er jetzt gerade, ausgestempelt und Feierabend.

Mental Load meint nicht, wer die Arbeit ausführt, sondern wer daran denkt. Diese Denkarbeit steigt mit den Kindern deutlich an. Es sind lauter kleine Aufgaben, die einen Rattenschwanz an Arbeitsschritten nach sich ziehen, die geplant, nachgefragt und ausgeführt werden müssen. Das Drandenken macht müde, unfassbar müde. Manchmal dauert Delegieren länger, weil es so viel zu erklären gibt. Mein Partner sagt: «Gib mir doch einfach den Auftrag und ich erledige das!» Dabei gerate ich in eine Rolle, in der ich nicht sein möchte. Ich will nicht die Befehlserteilerin sein in unserem Familiengefüge.

Aktuelle Studie zeigt es deutlich

So wie mir geht es vielen Frauen. Laut aktuellen Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BFS) vom Mai 2021 haben Frauen in der Schweiz im Jahr 2020 durchschnittlich 29 Stunden pro Woche für die Haus- und Familienarbeit aufgewendet, Männer hingegen nur 19 Stunden. Besonders strub ist es bei Elternpaaren, deren jüngstes Kind bis sechs Jahre alt ist. Hier leisten die Mütter deutlich mehr unbezahlte Arbeit.

Die Männer betätigen sich jedoch klar mehr zu Hause als noch vor zehn Jahren. Die Erhöhung der Mitwirkung der Männer zu Hause ist einhergegangen mit einer Reduzierung ihrer Erwerbsarbeit: Sie legten 5.2 Stunden im Haushalt zu und senkten dafür die Erwerbsarbeit um 4.2 Stunden. Die Frauen erhöhten im gleichen Zeitraum ihre häusliche «Gratisarbeit» um 1.2 Stunden – und legten auch bei der Erwerbsarbeit zu, nämlich um 2.7 Wochenstunden im Schnitt. Zusammengerechnet erhöhten Männer also ihre Gesamtarbeitszeit um eine Stunde, Frauen aber um vier Stunden.

Was ist eine gute Mutter?

Die Coronakrise verstärkte dieses Problem. Als im letzten Frühling die Kinderkrippen und Schulen geschlossen wurden, übernahmen hauptsächlich Frauen die ganze Care-Arbeit. All diese Ansprüche, die ich so an mich stelle, kennen wohl viele Mütter. Wir wollen gute Mütter und berufstätig sein, wollen Geld verdienen und den Männern in nichts nachstehen. Wir können gleichzeitig nicht abschütteln, was von Frauen seit jeher erwartet wird: die liebevolle, geduldige Mutter zu sein und den Haushalt im Griff zu haben. Wir haben das Gefühl, dass es zu schaffen ist, weil jede Mutter versucht, dieses Bild gegen aussen aufrechtzuerhalten, irgendwie.

Das setzt uns unter gewaltigen Druck und wir arbeiten wie die Verrückten, um all dem gerecht zu werden. Dabei vergessen wir etwas schampar Wichtiges: uns selbst! Ich kann keine «gute Mutter» (was ist das überhaupt? Wer definiert, was eine gute Mutter ist?) sein, wenn es mir selbst nicht gut geht. Weniger von alldem ist gut genug. Es muss nicht perfekt sein. Es lohnt sich auch, als Paar über den Anspruch zu reden.

Gefühlsarbeit – Emotional Labor

Wir Frauen fühlen uns oftmals zuständig für die gute Stimmung in der Bude. Dies hat mit unserer Sozialisation, Erziehung und Vorbildern zu tun. Wir stellen einen Blumenstrauss auf den Tisch, denken an die Geburtstagskarte für die Schwiegermutter, schlichten den aufkeimenden Streit der Kids und räumen im Vorbeigehen noch den Gerümpel weg. Lange Zeit war sich mein Partner gewohnt, dass Geschenke im rechten Moment bereitlagen, dass ich ihn erinnerte, wenn jemand aus seiner Familie Geburtstag hatte. Das wurde mir zu viel.

Seit der Coronakrise habe ich dies klar delegiert: Feiert jemand aus seiner Familie, aus seinem Freundeskreis Geburtstag, Hochzeit oder bekommt ein Baby, ist er nun für ein Zeichen von uns zuständig. Es funktioniert. Mal mehr, mal weniger. Aber es genügt. Es kann sein, dass das Babygeschenk erst kurz vor dem ersten Geburtstag kommt oder mal ein Geburtstag vergessen geht. Und ich? Ich muss mich enormst zurücknehmen, solches nicht als «meinen Fehler» zu sehen, stattdessen übe ich mich im Loslassen und Aushalten.

Delegieren

Delegieren, Abgeben ist also die Lösung. Uns hilft es, wenn wir uns sonntags bei einem Kaffee als Paar hinsetzen und die nächste Woche besprechen. Wir machen die Aufgaben sichtbar und klären: Wer macht was und bis wann, ganz konkret? Der klare Rahmen hilft, über mögliche Stolpersteine zu reden, ohne einander Vorwürfe zu machen. Auch vergessen wir auf diese Weise nicht einzuplanen, wer wann etwas für sich tun kann. Und dies gönnen wir einander von Herzen.

Väter können alles ... oder fast

Gleichstellung fängt mit dem Bewusstsein an, dass Haus- und Familienarbeit wirklich auch Arbeit ist. Dass familiäre Verantwortung gleichberechtigt und fair aufgeteilt werden darf, dass nicht eine Person die ganze Last trägt. Frauen müssen Männer auch machen lassen und akzeptieren, dass diese die Aufgaben anders erledigen als sie selbst. Nicht schlechter oder besser, einfach anders. Dass unsere Art, etwas zu tun, weiss Gott nicht die einzig richtige ist. Wir sollen den Vätern auch etwas zutrauen. Denn sie können alles – ausser Stillen. Das Private ist politisch. Dieser Satz klingt in deinen Ohren vielleicht altbacken, gilt für mich jedoch noch immer. Indem wir uns mit unserer Lage bewusst auseinandersetzen und Veränderungen im ganz Kleinen anstreben, bewegen wir gemeinsam richtig Grosses.

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Kinder: Neun Monate sehnt man sie herbei und dann machen sie einen Haufen Arbeit. Und bestimmen ab sofort Mamis und Papis Leben. Fünf Mütter und ein Vater schreiben über ihren Alltag mit dem Familienzuwachs. Von Herausforderungen, Veränderungen, Ängsten und Freuden.
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