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In der Corona-Krise den Sinn im Unsinn erkennen

Wie ich zum irren Hausfussel mit mittelschwerem ADHS wurde

Wer einen Garten oder Balkon hat konnte diesen in letzter Zeit ordentlich geniessen. (Bild: Pixabay)

Elternbloggerin Sabrina Forrer hat den Lockdown kritisch beurteilt. Doch im Rückblick kann sie diesem auch positives abgewinnen. Auch, wenn diese Erlebnisse häufig erst auf den zweiten Blick wertvoll erscheinen.

Acht Wochen Lockdown sind nun Geschichte. Eine Geschichte, die wir nie mehr vergessen werden. Erzählen wird sie einst jeder anders, denn das Erleben war gewiss sehr individuell.

Meine Lockdown-Geschichte ist geprägt von Abstand und Sorgen. Zum Auftakt ist mein Vater gestorben. In der Folge habe ich mich selbstredend sehr um meine Mutter gesorgt.

Es war ein schier unmöglicher Balanceakt zwischen Abstand halten, um sie nicht zu gefährden und sie dennoch nicht alleine zu lassen, sondern mich um sie zu kümmern.

Was ist das positive an dieser Krise

Ob all dem Grauen kann diese Krise aber auch Positives vermelden, zumindest in unserem familiären Mikrokosmos. Corona ist nämlich auch – wie eine Freundin es jeweils liebevoll ausdrückt – eine Lupe.

Sie untersucht Prozesse im Familiensystem, justiert Beziehungen, evaluiert unser Verhalten in zahlreichen Situationen.

Und obwohl auch ich während dieser ganzen Homeoffice- und Homeschoolingzeit ganz schön an meine Grenzen gekommen bin und vieles erkannt habe, was nicht rund läuft, kann ich heute immerhin eine Handvoll Dinge aufzählen, die uns aus der Coronazeit als Positiv in Erinnerung bleiben.

Wenn die Kinder putzen lernen

Meine Kinder arbeiten für die Gemeinschaft. Als alle immer zu Hause waren, verwandelte ich mich anfangs ob der ganzen Einkauferei, Kocherei, Schrubberei und Wascherei zu einem armen, irren Hausfussel mit mittelschwerem ADHS.

Dem Himmel sei Dank haben wir aber den Rank noch gefunden und einen Plan erstellt. Seither spielen die Kinder Sockenmemory, fegen den Boden, falten Wäsche und putzen die Bäder. Sie haben Verantwortung für ihre Tätigkeit übernommen und darüber hinaus viel dazu gelernt.

Möge das auch in Zukunft so bleiben.

Homeoffice schafft neuen Spielraum

Das Homeoffice funktioniert mittlerweile echt gut. Auch hier: Erst war es etwas mühsam, sich während der Arbeitszeit die Zwerge vom Halse zu schaffen.

Alsbald wir uns aber einen stationären Arbeitsplatz eingerichtet haben und sich die Kinder an die neue Situation gewohnt haben, brachte das Homeoffice sehr viele Vorteile. Man ist irgendwie flexibler, kann sich die Kinderbetreuung besser teilen, kleine Termine alleine wahrnehmen, etc.

Meine Hoffnung ist gross, dass dieses Arbeitsformat nun von vielen Unternehmen anerkannt und ausgebaut wird.

Die ganze Familie am Zmittagstisch

Das gemeinsame Mittagessen. Normalerweise essen die Mädchen und ich über Mittag zu dritt. Unser Sohn isst mit Freunden am See oder an der Kanti und mein Mann schwankt irgendwo zwischen durcharbeiten, kurz ein Sandwich einfahren und Businesslunch feiern.

Während des Lockdowns haben wir Tag für Tag gemeinsam Mittag gegessen, das war echt wertvoll und hat uns als Familie viel gegeben. Mitten am Tag zusammenkommen, runterfahren, Geschichten erzählen und eine Mahlzeit geniessen. Schön war das.

Der Garten sorgt für Abwechslung

Viele tolle Gartenprojekte. Nie zuvor haben wir so viel Zeit in unserem Garten verbracht. Zu Anbeginn schon war ich heilfroh, dass wir ihn haben. Nur schon zum Kreide malen, Seifenblasen pusten und picknicken war er Gold wert.

Darüber hinaus habe ich in meinem anfänglichen Aktionismus kurz vor dem Lockdown noch ein Hochbeet und einen Bausatz für ein Kinderspielhaus geordert. Dies vermochte die ganze Familie stundenlang zu beschäftigen: Es wurde gehämmert, gestrichen, gebaut, genäht, eingerichtet und gepflanzt.

Wir haben Kürbis, Chili, Karotten, Kartoffeln und Zucchini gezogen und bestaunen nun täglich ihr Wachstum. Die Kinder holen Kräuter aus dem Naschbeet und fabrizieren damit in der Küche die Maibutter.

Der Holunderbusch gedeiht und wird zu Sirup verarbeitet und die Beerensträucher warten aufs Rotwerden ihrer kleinen süssen Früchte. Ich glaube, das ist ein grosses Glück für eine Kindheit.

Wieder kommt die gute, alte Einkaufliste zum Einsatz

Der Menüplan. Ich mochte einkaufen nie besonders. Seit Corona achte ich aber willentlich darauf, nur noch ein- bis höchstens zweimal die Woche einen Laden zu betreten.

Dies erfordert einen Initialaufwand zur Erstellung eines Menüplanes und der entsprechenden Einkaufsliste. Nach dem Grosseinkauf ist das Thema «was koch ich heute bloss» dafür vom Tisch.

Mittlerweile hat sich das echt gut eingespielt und wird hoffentlich in Zukunft auch Bestand haben.

Die Zeit neu betrachten

Slow Baby slow. Über die schöne Idee der Entschleunigung las man viel während des Lockdowns. Das empfand ich zeitweise als Hohn und Spott, da ich gefühlt viel viel mehr zu tun hatte als je zuvor. Aber: Entschleunigung hat viele Gesichter.

Und auch wenn der Alltag vieler Mütter gewiss alles andere als entschleunigt war, so erkenne ich sie dennoch hier und dort. Den Salat, dem wir beim Wachsen zuschauen durften, wird nun irgendwie viel bewusster verspiesen.

Und all die Wochenenden, die hier ansonsten mit tausend Unternehmungen und Verabredungen ausgebucht sind, gähnen uns leer aus der Agenda entgegen. Und warten darauf, vertrödelt und mit klitzekleinen Alltagsglücken belebt zu werden.

In diesem Sinne bleibt zu vermelden, dass jede Krise auch eine Chance in sich birgt. Ein Credo, das selbst zu Coronazeiten, wenn alles andere wankt, Gültigkeit hat.

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Kinder: Neun Monate sehnt man sie herbei und dann machen sie einen Haufen Arbeit. Und bestimmen ab sofort Mamis und Papis Leben. Fünf Mütter und ein Vater schreiben über ihren Alltag mit dem Familienzuwachs. Von Herausforderungen, Veränderungen, Ängsten und Freuden.
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1 Kommentar
  • Profilfoto von Monique Zurbrügg
    Monique Zurbrügg, 22.05.2020, 12:20 Uhr

    Danke für den schönen Artikel.
    Ein Satz ist mir in die Augen gestochen: «…zu einem armen, irren Hausfussel mit mittelschwerem ADHS.»
    ADHS ist eine genetisch bedingte neurobiologische Erkrankung, die wissenschaftlich belegt ist und zwar therapiert werden kann, aber nicht verschwindet.
    Die Corona-Zeit war und ist für alle eine grosse Herausforderung. Für psychisch angeschlagene Personen kann sie zum Disaster werden.
    Mit meiner Antwort weise ich darauf hin, dass Begriffe, welche psychische Gebrechen beinhalten, nicht leichtfertig gebraucht werden sollten, denn sie können das Stigma dem diese Menschen unterworfen sind vergrössern.
    Vielen Dank für Ihr Verständnis. M. Zurbrügg

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