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Balance zwischen Kind, Beziehung und Job

Wie ich mich nonstop durch mein Leben jongliere

Der Alltag als berufstätige Mutter ist wahrlich ein Kunststück. (Bild: Adobe Stock)

Meine Karriere als Sportlehrerin nahm ein sehr frühes Ende. Der Grund: Ich konnte nicht jonglieren. Heutzutage jongliere ich in meinem Alltag ununterbrochen – und die verschiedenen Bälle sind dabei alles andere als einfach zu handhaben.

In meinem Studium zur Lehrerin mussten wir jonglieren können. Wortwörtlich. Wer das Fach Sport studieren und abschliessen wollte, musste mit Bällen jonglieren können. Grundsätzlich wollte ich eigentlich ganz gern Sport unterrichten, doch nach dieser Artistinneninfo gab ich meinen Sportlehrtraum bereits nach der ersten Studienwoche wieder auf.

Sechzigmal jonglieren können? 60? Ich? Niemals. Ich bin wahrlich kein Koordinationstalent, schon im Takt zu klatschen ist eine Herausforderung für mich. Wie soll ich dann bitte schön sechzigmal diese elenden Bälle in der Luft halten? Das war ja noch schwerer als Noten lesen und Gitarre spielen! Wenig überraschend, dass ich Musik grad gleichzeitig mit Sport an den Nagel gehängt habe. Bälle und Saiten? Echt nicht meins!

Und trotzdem: Das Jonglieren begleitet mich aktuell in meinem Alltag recht oft. Die Bälle, die ich in der Luft halte, oder es zumindest stets versuche, sind allerdings keine physischen, farbigen Sandbälle, sondern rein symbolische. Vor allem besteht mein Leben im Moment aus mehr als drei davon, und ich bin sehr bemüht, keinen fallen zu lassen und einfach immer gleichmässig weiterzumachen.

Der lauteste Ball

Der erste Ball ist meine Tochter. Es ist auch der lauteste. Und der wichtigste.

Oder nein, einer der wichtigsten.

Nein, ALLE sind wichtig.

Ja, da haben wir es schon. Wenn ein Ball wichtiger ist als die anderen, lässt man bestimmt einen unwichtigen fallen, und das ist dann das Ende der Zirkusvorstellung.

Genug der Metaphern. Meine Tochter ist jetzt drei, und natürlich braucht sie mich im Moment viel. Als Sicherheit, als Möglichkeit, als Ventil. Für fast alles eigentlich. Ich bin das Kuscheltier in der Nacht, die Geschichtenerzählerin beim Einschlafen, die Köchin. Aber auch die Geburtstagsparty-Organisatorin oder die Trösterin bei den vielen kleinen schmerzhaften Erfahrungen, die sie eben macht. Wenn auch ein geliebter Ball, den ich mit ganzem Herzen jongliere, ist es manchmal streng, diesen in der Luft zu halten und meiner Tochter gerecht zu werden. Zumal es eben auch noch andere Bälle in meinem Leben gibt.

Der schwere Ball

Der zweite Ball ist meine Arbeit. Ich arbeite an drei Tagen und versuche, den 65-Prozent-Job als Klassenlehrerin zu 100 Prozent perfekt auszuführen. Nicht immer ganz einfach. Die ewige To-do-Liste, welche ich kontinuierlich abbaue und die sich irgendwie von selbst immer wieder verlängert, stresst mich manchmal auch in meiner Freizeit. Also dann, wenn ich die anderen Bälle jongliere.

Das braucht Energie, und manchmal wiegt dieser eine Ball schwer. Manchmal ist er aber auch eine Möglichkeit, um Pause zu machen. Wie wertvoll so eine Pause ist, weiss ich erst, seit ich Mama bin.

Der wiederentdeckte Ball

Der dritte Ball bin ich. Selfcare. Die ersten beiden Jahre als Mama existierte dieser Ball nicht. Erst im dritten Jahr ist er wieder langsam zurückgekommen. Und ich liebe ihn. Bei meinem geliebten Theaterspielen wurde ich endlich wieder intellektuell herausgefordert. Und emotional, auf eine ganz andere Art als bei der elterlichen Emotionalität.

Es war so schön. Ich konnte wieder richtig ich sein. Mich beim Einwärmen kaputtlachen, bei der Zigarette in der Pause über das Stück philosophieren und das Lampenfieber bei der Aufführung irgendwie überleben. Herrlich! Für mich. Stressig für meinen Mann. Und schwierig für meine Tochter – war ich bei den Endproben eben oft nicht zu Hause. Dieser ewige Konflikt zwischen Selfcare und Babycare – ich hab ganz schön jongliert und das eine oder andere Kunststück vollbracht.

Und dann ist da noch dieser vierte Ball

Drei Bälle, immer in der Luft. Einen vierten Ball würde mein Artistinnenniveau grad noch einmal um ein Level hochkatapultieren. Und ja, natürlich gibt es diesen. Diesen vierten Ball, für den einfach meistens keine Zeit bleibt. Die Beziehung. Und das finde ich unglaublich traurig. Dieser ultrawichtige Ball, so klein geworden, dümpelt meistens irgendwo hinter meinem Rücken und bekommt viel zu selten den grossen Auftritt.

Hätte mir das jemand vor ein paar Jahren prophezeit, ich hätte gelacht. Wir? Mein Mann und ich? Keine Zeit? Reibungen? Pah, nie! Unsere Beziehung war der Inbegriff von Harmonie. Und plötzlich ist der Alltag irgendwie strenger, unflexibler und viel mehr organisatorisch als vorher. Spontan mal schnell schön essen gehen, ins Kino oder spontan einen Liebestrip am Wochenende? Nix da! Alles braucht fein säuberliche Planung und Hilfe von anderen Menschen.

Und lange im Voraus geplant ist nun mal nicht das Gleiche wie spontan. Romantik, na ja. Das hatte ich irgendwie nicht auf dem Schirm, dass es früher so einfach war und plötzlich sehr kompliziert werden würde. Ja, es wird bestimmt auch wieder anders. Nur wann, ist die Frage.

Ich bin doch eine Künstlerin

Ach, diese Bälle. Es gäbe noch mehr. Freundinnen, Familie und, und, und. Ihr seht, ich werfe und fange und hechte und hadere. Alles da. Und wahrscheinlich alles ganz normal und völlig in Ordnung. Ich tue mein Bestes, auch ohne Koordinationstalent. Mir hilft es total, wenn andere mir das Gleiche von sich erzählen. Nicht, dass ich dieses Ballspiel anderen gönne, aber es tut irgendwie gut zu wissen, dass ich nicht allein bin und dass ich auf Verständnis stosse, wenn ich es erzähle.

Und: Übung macht die Meisterin. Schliesslich muss man auch nicht alles immer gleich von Anfang an perfekt können. In der Zwischenzeit kann ich mit echten Bällen etwa zwanzigmal jonglieren, ist doch schon mal etwas. Die Kinder meiner Klasse glauben deswegen, ich sei eine ECHTE Künstlerin. Reicht doch. Schliesslich bin ich das, einfach organisatorisch und nicht Zirkus-artistisch. Sport würde sowieso nicht mehr in mein Pensum passen. Und 1.-Klasse-Kinder in der Turnhalle sind übrigens total streng. Nichts für mich, Jonglage hin oder her. Am Ende hat also alles schon seine Richtigkeit, so wie es ist.

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Kinder: Neun Monate sehnt man sie herbei und dann machen sie einen Haufen Arbeit. Und bestimmen ab sofort Mamis und Papis Leben. Fünf Mütter und ein Vater schreiben über ihren Alltag mit dem Familienzuwachs. Von Herausforderungen, Veränderungen, Ängsten und Freuden.
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