Warum mein Sohn keine gelben Haarklammern mehr trägt
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Unser Elternblogger reagiert empfindlich auf Rollenklischees. Er würde sich wünschen, dass die Geschlechter keine Rolle spielen, weder in der Aufgabenverteilung zuhause noch im Job. Darum ist er bemüht, seine Erziehung möglichst gendergerecht zu gestalten. Was ihm selbstverständlich immer wieder gründlich misslingt.
Sommer 2020, Kindergartenbeginn: In einem mir bekannten Kindergarten waren am ersten Kindsgitag an die Stühle der Jungs blaue Ballons, an jene der Mädchen rote montiert. Die Kinder stellten sich in Gruppen, getrennt nach Geschlechtern, auf. Die Lehrerin: jung, relativ frisch aus der Pädagogischen Hochschule.
Rollenklischees im Kindergarten
Es gibt eine Mädchen (Prinzessinnen-)Spielecke und eine Jungs (Bau-)Ecke. Wenn ich höre, wie Kinder statt als Menschen nur in ihrer Rolle als Mädchen und Buben wahrgenommen werden und darum entweder diese Spiele spielen oder jene Aufgaben lösen sollen, wird mir schlecht. Und in einigen Bibliotheken gibt es noch immer Regale mit geschlechtsspezifischer Literatur. Einfach nur daneben.
Ein drittes Beispiel dieses immer noch aktuellen Rollenblödsinns: Auch an der letzten Kinderkleiderbörse waren nur Frauen zu sehen. Fast ausschliesslich. Einzig zwei Männer waren hinter Kleiderständern auszumachen. Aber ausnahmslos Mütter oder Gottis oder Grossmütter oder Tanten, die sich um die Kleider der Kinder kümmerten (erzählte mir – wir sind da ironischerweise nicht anders – meine Frau).
Die Rollenzuteilung ist extrem. Da werden leider wohl auch die zwei Wochen Vaterschaftsurlaub noch nicht viel ändern. Das finde ich krass. Ungerecht in erster Linie gegenüber den Frauen, aber auch ungerecht gegenüber den Kindern, ungerecht gegenüber den Vätern. Diese Ungleichheit produziert meiner Meinung nach eine Menge Probleme.
Ungleichheit beim Job und den Karrierechancen, Ungleichheit bezüglich persönlichem Freiraum, Ungleichheit bezüglich Verantwortungsbewusstsein. Ungleichmässige Verteilung von Lohn, Rente, Reichtum und Macht.
Unsere Rollenbilder sind gefährlich
Es führt schlicht zu einer ungleichen Wahrnehmung des Wertes einer Person. Denn ich glaube beispielsweise auch, dass Sexismus seinen Ursprung in der Erziehung hat, die sich an diesen krassen, traditionellen Rollenbildern orientiert. Es gibt zwei Rollen – Mann oder Frau – und diesen Rollen sind nicht austauschbare Merkmale und Werte zugeteilt.
In der Erziehung benachteiligt dieses Rollenbild die Kinder: Einerseits wird ihnen die Hälfte der Möglichkeiten für Spiel, Kleidung, Interesse und am Ende auch für Berufe genommen – weil es nicht zu ihrer Rolle als Mädchen oder Junge passen soll. Anderseits werden sie darauf trainiert, sich entweder emotional und unterwürfig oder rational und herrschend zu zeigen. Diese traditionellen Rollenbilder entscheiden, ob sich die Kinder schliesslich trotz Misserfolg viel zutrauen oder trotz Erfolg wenig zutrauen. Selbsterklärend, was hier dämlich und was herrlich zu sein hat.
Kinderinteressen sind geschlechtsunabhängig
Häufig wird nun eingewendet, dass es aber doch schon gewisse Dinge gäbe, welche die Kinder geschlechtsspezifisch interessieren würden. Ja klar, gibt es die. Es wird ja vorgelebt und die Kinder suchen sich schon früh Vorbilder und identifizieren sich mit diesen. Und wir geben verstärkend Rückmeldung, ob bewusst oder, vor allem, auch unbewusst (wir finden das Röckchen beim Mädchen «so süss», beim Jungen lächeln wir höchstens verständnisvoll. Wir finden das Mädchen auf dem Traktor «herzig» und den Jungen am selben Ort «cool»).
Aber: Vor bereits (oder erst?) sieben Jahren hat eine gross angelegte Studie gezeigt, dass zweijährige Jungen nicht öfter zu «Jungenspielzeug» greifen als Mädchen und diese auch nicht öfter oder länger in «mädchenhafter» Art und Weise spielen als Knaben, wenn man sie nicht dazu anleitet (Studie im Auftrag des Magazins «Child Development», 2014).
Die eigene Tochter im rosa Röckchen
Und nun? Mein Kind soll nicht männlich oder weiblich sein, sondern menschlich – und sich selbst. Was tun wir? Natürlich versuchen wir Gleichwertigkeit vorzuleben. Wir teilen uns Arbeit, Kinder, Haushalt, Verantwortung. Aber ich trage weder Röcke noch Lippenstift. Meine Frau dann und wann schon. Und aufgrund meiner eigenen Prägung untergrabe ich unsere Erziehung gleich selbst. Hier ein Beispiel dazu:
Vorweg: Auch unsere Kinder sind nicht gefeit vor geschlechterspezifischer Kleidung. Entweder trägt die Tochter «ein so herziges» Röckchen oder der Sohn entsprechende Pullover. Bei Liedern und Bilderbüchern bin ich aber ganz zufrieden mit uns, da singen und schreiben wir um oder bemühen uns, Bücher zu lesen, welche unseren Vorstellungen entsprechen.
Aber nun zum Beispiel, wie ich unsere Erziehung untergrabe (und mich unser Sohn eines Besseren belehrt):
«Ob die Leute zu mir ‹sie› oder ‹er› sagen wollen, dürfen sie selber entscheiden»
Unser viereinhalbjähriger Sohn hatte relativ langes Haar. Oft klammerten wir sein Haar hoch oder es war in einen Dutt gebunden. Seine Lieblingsspängeli sind rosa oder rot oder knallgelb. Deshalb wurde er oft für ein Mädchen gehalten. Manchmal war das ganz gut, denn auch Mädchen hielten ihn für ihresgleichen und spielten mit ihm ganz offen und weihten ihn in Geheimnisse ein, derweil sie andere Jungs aussen vor liessen.
Aber das ist meine Wahrnehmung. Jedenfalls dachte ich, dass ihn die falschen Anreden der Erwachsenen vielleicht stören könnten, weil er nicht gemäss seiner Identität wahrgenommen wurde. Ich fragte ihn, ob es ihn störe, wenn er als Mädchen angesprochen werde.
Er meinte: «Warum?». Ja, warum eigentlich, ob es denn was Schlechtes sei, ein Mädchen zu sein, fragte ich mich. Mein Sohn fiel mir in meine Gedanken: «Wenn die wollen, dass ich ein Mädchen bin, dann sollen sie mir «sie» sagen. Sie dürfen selber entscheiden, ob sie zu mir «sie» oder «er» sagen. Ich weiss ja, wer ich bin.» Das hat gesessen. Für ihn war das sowas von kein Problem.
Aber ich habe ein Problem daraus gemacht respektive hat er natürlich gemerkt, dass ich ein Problem sah an der Sache, und darum, so meine Interpretation, wollte er das ändern. Er fragte, warum die denn denken würden, er sei ein Mädchen. Also erklärte ich ihm, dass dies womöglich wegen seiner langen Haare sein könnte. Wir gingen schliesslich auf seinen Wunsch hin zur Coiffeuse.
Wäre ich nicht so erpicht auf diese Rollenklischees, mein Sohn hätte es überhaupt nicht gestört und er würde weiterhin dann und wann als «sie» angesprochen, als das «liebe Mädchen» gesehen und könnte sein liebstes gelbes Klämmerli ins Haar klemmen. Für ihn überhaupt kein Problem. Warum auch: Wir hätten ihn ja so erzogen gehabt.