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Bagger für Mädchen, Röcke für Jungs: ein Plädoyer

Und was gibts bei euch, Stammhalter oder Prinzessin?

«Es Büebli oder es Meitli?»

 

(Bild: Andrew Branch)

Es scheint eine der wichtigsten Fragen überhaupt zu sein: Eine kleine Ballerina oder ein Autorennfahrer? Unseren neuen Papi-Blogger Maël nerven die noch immer vorherrschenden Geschlechterrollen. Und er erzählt, weshalb ein roter Fussnagel seines Sohnes eine besondere Bedeutung erhalten hat.

Neulich an einer Hochzeit fragte mich Andrea: «Und bei euch, es Büebli oder es Meitli?», wobei sie den roten Fussnagel des kleinen Geschöpfs musterte. Ich antwortete standesgemäss, fragte zurück und das Gespräch führte vom Alter über die Schlafgewohnheiten hin zu der Integration in der Nachbarschaft und war auch bei den hilfsbereiten Grosseltern noch nicht zu Ende. Wie Eltern-Smalltalk eben so ist. Aber: Dieses ständige «Es Büebli oder es Meitli?» nervt mich. Ein Kind, Herrgott nochmal.

Ich erinnere mich auch an die ersten Gespräche, nachdem die Schwangerschaft meiner Frau bekannt war: «Was gibts?». Wir wussten’s nicht. Einen Menschen halt. Wir wussten nicht mal, ob das Kleine gesund ist. Die Ärztin bereitete uns irrtümlicherweise auf irgendeine Unstimmigkeit vor. Übers Geschlecht hätte sich unverfänglich sprechen lassen.

Geht dich nichts an!

Auch mein Freund John wird Vater. Er meinte kürzlich, er müsse unbedingt wissen, ob es einen Jungen oder ein Mädchen gäbe, schliesslich habe er eine klare Präferenz und wolle sich im Falle einer Enttäuschung darauf vorbereiten können – um dann den oder die Kleine trotzdem mit Liebe empfangen zu können (welche Erwartungen wohl hier mitschwingen?).

Am liebsten würde ich das Geschlecht unseres Kleinkindes noch immer geheim halten, auch jetzt, über ein Jahr nach der Geburt. Weil ich finde, dass es bei einem Kleinkind Typischeres, Spannenderes und Mitteilungswürdigeres gäbe als sein Geschlecht. «Es Büebli oder es Meitli?» “[Geht dich einen Scheissdreck an!] Ein Mensch”.

Geschlecht längst nicht mehr schwarz-weiss

Noch wird mein/e Kleine/r manchmal als Mädchen wahrgenommen, manchmal als Junge. Je nachdem, welche Kleidung er/sie gerade trägt. Biologisch ist er eindeutig ein Junge, ich muss mir also nicht den Kopf zerbrechen am Widerspruch der gesellschaftlichen Erwartungen und der Realität meines Jungen und auch keine weiteren Pronomen verunstalten. Gemäss Wikipedia lässt sich jedoch jedes fünfhundertste Kind nicht eindeutig einem Geschlecht zuordnen («intersexuell» nennt sich das).

Je neuer die Studie, desto höher auch der Prozentanteil an Menschen, die sich nicht jenem Geschlecht zugehörig fühlen, welches ihnen bei der Geburt zugeteilt wurde («transsexuell»). Das Geschlecht ist also nicht schwarz-weiss, sondern fliessend. Hinzu kommt die Liebe, deren Bild ist bei uns noch immer heteronormativ. Wie sich das bei meinem Kleinen entwickelt, wird sich zeigen. Doch das ist noch nicht einmal der Kern der Diskussion und zielt auch an den allermeisten vorbei.

Aber, angenommen John bekommt geschlechtlich ebenfalls eindeutigen Nachwuchs – warum soll dann der Junge von seinem ganzen Umfeld mit Baggern, Raubtieren und Autos beschenkt werden und das Mädchen mit Puppen, Blumen und Rüschchen-Kleidung? Warum soll er bei einem Mädchen ohne schlechtes Gewissen die Haare aus dem Gesicht frisieren dürfen und bei einem Jungen nicht? Diese Geschlechterrollen engen doch ein, oder? Sie zwängen die Kleinen in eine Identifikation, die vielleicht so gar nicht zu ihnen passt. Rosarot beispielsweise, so behaupte ich nach meinen nicht repräsentativen Beobachtungen im Bekanntenkreis, ist die Lieblingsfarbe nahezu aller kleinen Kinder.

Schluss mit fixierten Rollenbildern

Das ist für mich der Kern: Warum den Kleinen die Welt nur zur Hälfte öffnen? Warum ihnen gewisse Dinge verweigern, weil sie zu bübisch oder zu mädchenhaft sind? Warum ein schwarz-weiss-Denken forcieren, wenn doch gerade heute Offen- und Freiheit, Empathie und Toleranz als essenzielle Werte verstanden werden wollen? Warum sollen sich die Kleinen an diesen fixierten Rollenbildern orientieren? Weil sie Orientierung brauchen? Echt jetzt? Leute, die sich nur über ihr Geschlecht definieren, sind mir suspekt und das entsprechende Gehabe scheint mir oft mit irgendeinem Defizit verbunden. Wollen wir das den Kleinen wirklich in die Wiege legen? Kleine, vulgäre Machos und kleine, narzistische Prinzessinnen herandressieren?

Ich wünschte mir weniger geschlechterfixierten Smalltalk, weniger geschlechterfixierte Kleidung, weniger Rollengezwänge gegenüber den Kindern (so geschehen im Bekanntenkreis: Der Kleine küsste ein Mädchen «Wow, der legt sich aber ins Zeug, chapeau!» wird der Kuss bestärkt; hingegen als die Kleine einen Jungen küsste: «Ohlala, ganz schön offensiv die Kleine, da müsst ihr aber aufpassen!» hier wird der Kuss als negativ interpretiert).

Bei sich selbst beginnen

Wo beginnt man also? Bei sich selbst. Das ist ja das Ungerechte am Elternsein. Man findet sich gern in Rollen, die man nie hätte spielen wollen oder die man in der Theorie anklagt. Aktuell: Das Vorbild des Vollzeit arbeitenden Vaters in einer traditionellen Rollenteilung. Meine Frau und ich leben diesbezüglich momentan, wie es vermutlich bereits unsere Grosseltern taten. Fiese Gesellschaft.

Und ob John nun das Geschlecht seines Nachwuchses bereits im Mutterleib kennt oder darauf verzichtet: Damit verändert sich kaum was an den Gender-Schranken. Aber wenn unsere Söhne ein Röckchen anziehen möchten oder gerne mit Puppen spielen, wenn sie erste Freunde und Freundinnen nach Hause bringen, oder wenn sie ihr Hobby und später ihren Beruf wählen, dann wünsche ich mir, ohne Gender-Denken darauf reagieren zu können. Mindestens das will ich hinkriegen. Da müssten wir uns als Gesellschaft gegenseitig ein bisschen helfen. Seid Ihr dabei?

Danke übrigens an Andrea, dass der rote Fussnagel meines Sohnes so liebevoll angenommen wurde. Das ist ein Anfang, er freute sich nämlich sehr über diesen Farbpunkt.

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Kinder: Neun Monate sehnt man sie herbei und dann machen sie einen Haufen Arbeit. Und bestimmen ab sofort Mamis und Papis Leben. Fünf Mütter und ein Vater schreiben über ihren Alltag mit dem Familienzuwachs. Von Herausforderungen, Veränderungen, Ängsten und Freuden.
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