Sechs Wochen Zeit und ein Ziel: das Meer
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Frankreich 2017
(Bild: zvg.)Die Familie von Eltern-Bloggerin Nadja Stadelmann Limacher hat sich auf ein Wohnmobil-Abenteuer gewagt. Über Startschwierigkeiten, Schamgefühl und kinderfreundliche Ferien.
Wir hatten Meerweh. So richtig fest. Die ersten fünf Jahre als Familie war es für uns völlig okay, in der Nähe Ferien zu machen. Die Schweiz und die umliegenden Ecken bieten so viel Schönes. Seen, Berge, Flüsse, Alpen … aber halt eben kein Meer. Mit dem immer näher kommenden Kindergarteneintritt sahen wir uns für die nächsten x Jahre im Schulrädli mitdrehen wie der Hamster im Rad. Das war unsere letzte Chance, uns als Familie eine lange Auszeit zu nehmen. Sechs Wochen Zeit und ein Ziel: das Meer.
Die Frage, wie wir als Familie möglichst komfortabel und ohne uns an die Gurgeln zu gehen dort hinkommen, war doch schwieriger. Mit dem Flugzeug kam für uns nicht infrage. Im Auto fragt das grosse Frölein jeweils schon am Seetalplatz, wann wir endlich ankommen, und das kleine Frölein übergibt sich manchmal schon im Nachbarsdorf, manchmal auch erst 20 Minuten später. Mit dem Zug sahen wir uns mit dem ganzen Karsumpel für die lange Reise auch nicht so wirklich. So kamen wir auf die Idee eines Wohnmobiles. Wir – beide kein einziger Tropfen Camping im Blut – mieteten ein solches Gefährt. Nicht ahnend, was wir uns da einbrockten und wie dieses eine Mal noch nachwirken konnte.
Camping für Anfänger
Da standen wir nun vor dem grossen Gefährt mit dem grossen Buck über der Führerkabine, welches sich für die nächsten Wochen zum Kinderzimmer wandelte. Das Innere bot alles, was wir brauchten, auf relativ engem Raum. Unser Haus auf Rädern. Bei der Übernahme des Wohnmobiles wurden wir eine Stunde in die ganze Technik eingeführt. Wasser, Gas, WC, Heizung, Stützen, Markise, Strom, Sturmband usw. – jessesmaria, das werden wir uns nie im Leben alles merken können, dachte ich.
Herr Limacher jedoch hörte interessiert zu und nickte fleissig. Dies gab mir ein gutes Gefühl. Wenigstens einer, der dies alles im Griff haben wird. Als dann der Berater betonte, die WC-Kassette zu leeren sei klar Männersache, und ihm sonnenblumengelbe Handschuhe in die Hand drückte, atmete ich erleichtert auf – ja ich jubelte innerlich und sah mich bereits am Meer im Sand liegen. Wir schmiedeten Pläne. Wir wollten quer durch Frankreich. Erst ans Mittelmeer, dann an der Atlantikküste rauf zur Bretagne und irgendwann wieder über den Jura nach Hause. Immer meerwärts. Unterwegs sein, uns Zeit lassen, viel Zeit. Keine Erwartungen haben. Einfach sein. Schön rosa malten wir sie uns aus, unsere Auszeit mit dem Wohnmobil.
Reisefieber im Flugzeugträger
Der Start war eine mittlere Katastrophe. Wir waren im Packstress, dazwischen war noch der Spielgruppenabschluss und wir mussten beide unsere Arbeit für einige Wochen möglichst gut abschliessen und übergeben. Der erste Blechschaden mit dem Wohnmobil machten wir bereits bei uns auf dem Hausplatz. Seit wann steht dieser Dachkännel des Nachbars so weit nach vorne? Beim Packen flog das kleine Frölein schon mal vom hohen Bett hinunter und das grosse Frölein zeigte Reisefieber, welches sich tatsächlich auch auf dem Messgerät ablesen liess. Himmel, was haben wir uns nur dabei gedacht!? So naiv konnten wir doch nicht sein!
Ich war kurz davor, in Tränen auszubrechen und die ganze Sache abzublasen … aber wir fuhren los. Es konnte schliesslich nur noch besser werden. Einfach meerwärts.
Zu Beginn fühlte sich das Fahren mit dem Wohnmobil etwa so an, als wollten wir mit einem Flugzeugträger durch die Altstadt Luzerns schlängeln. Die Alkove kam jeweils gefährlich nah an Balkone und Bäume. Dieses Gefühl legte sich rasch auf der Autobahn und kam wieder schlagartig an den Zahlstellen auf den französischen Autobahnen und dann bei der Einfahrt auf dem Campingplatz auf unseren Stellplatz. Im Schritttempo und stets darauf bedacht, keine Zeltschnur und schon gar keinen Passanten mitzuschleifen.
Das Schamgefühl blieb links liegen
Da waren wir also, auf unserem ersten Campingplatz Frankreichs, unweit der Grenze. Das Fieber war noch da, der erste Kotz auch. Aber wir hatten Zeit, einfach Zeit füreinander. Zeit auch zum Einrichten und Erkunden. Wie ging das nochmal mit der Markise? Wohin gehen alle mit ihrem schmutzigen Geschirr?
Ah, duschen müssen wir ja gar nicht auf den 50 × 50 cm im Wagen. Morgens in einem Sanitärhaus wildfremden Menschen zu begegnen, die Plastikschuhe tragen und auch ansonsten nur unvollständig bekleidet sind, war zu Beginn mehr, als ich ertragen konnte. Zu Hause gehe ich im Pyjama maximal bis zum Briefkasten und eile im Laufschritt wieder zurück ins Haus. Aber wir sind ja hier nicht zu Hause.
Ziemlich schnell liess ich los und schlenderte im schlurfenden Camping-Gang ebenso entspannt im Schlafanzug quer über den Campingplatz sogar bis zur Bäckerei. Für ein paar Pain aux chocolat liess ich jegliche Schamgefühle unterwegs links liegen. Jedoch Plastikschuhe, diese werden mir niemals an die Füsse kommen, so schwor ich mir hoch und heilig. Das ist doch alles ebenso möglich in schicken Sneakers.
Ein kinderfreundliches Abenteuer
Insgesamt bietet jeder Campingplatz so viel für Familien. So lernen wir nach und nach die Vorzüge eines Campingplatzes im Vergleich zu einem Hotel zu schätzen. Auf dem Campingplatz gibt’s ganz viel Platz zum Toben, Spielplätze, freie Flächen – wir brauchen keine Kinderanimation, jedoch eine kinderfreundliche Umgebung. Im Hotel muss man sich auf eine bestimmte Zeit frisch geduscht und gekleidet in einem überfüllten Esssaal einfinden. Auf dem Camping wird gekocht, wenn das erste Familienmitglied einen «Gluscht» anmeldet. Es wird einfach gekocht, meist draussen. Und die Kinder können verdreckt und nur in Badehose bekleidet an den Tisch kommen. Sind sie fertig, können sie wieder toben gehen und die Eltern in aller Ruhe weiteressen. Die Kinder finden Spielgefährten aus aller Welt, meist noch während des Aufbauens. Saubere Kleider werden überbewertet, das Gröbste lässt sich kurz ausschütteln oder abspülen.
Camping ist nichts für Stubenhocker. Wir sind von morgen früh bis abends draussen. Bei so viel frischer Luft halten Kinder auch draussen in der Hängematte Mittagsschlaf und alle fallen abends todmüde und glückselig in die Federn. Mit dem Necessaire unter dem Arm geklemmt zum Sanitärhäuschen schlurfend, macht Zähneputzen allen Spass. Dass die Brünneli der Kinder meist auf ihrer Höhe angebracht sind, ist ein zusätzliches Plus.
Auswärts ist bei unseren Kindern immer die erste Nacht ’ne Qual, sie schlafen unruhig, mit Unterbrüchen, kennen sich nicht aus … dementsprechend gerädert sind wir jeweils danach. Im Wohnmobil ist das Bett immer gleich, auch wenn wir jede Nacht an einem neuen Ort übernachten. Ihre Kissen und der Plüschtierzoo sind stets dabei und Schlafen im Schlafsack hat was Abenteuerliches. Camper sind eine ausgesprochen hilfsbereite Gemeinschaft. Sie fassen gerne mit an, wenn es gilt, einen Wohnwagen zu schieben, mit irgendeinem Kabel auszuhelfen oder auch Kinder aufzulesen.
Unterwegs sein – fast wie früher
Auf unserer ersten Reise liessen wir uns treiben, konnten unseren Kindern zwei verschiedene Meere (ein ruhiges und ein hässiges) zeigen, lernten viele freundliche Menschen kennen, verschlafene Dörfer, grosse Städte, Lavendelfelder, felsiges Gebirge, französische Küche meist vom Markt direkt auf den Gaskocher. Wir fühlten uns frei und fast ein bisschen wie früher, als wir noch ohne Kinder reisten. Okay, pro Tag waren die Distanzen, der Alkohol weniger und der Schlaf mehr. Aber sonst.
Die Sache mit dem WC
Herr Limacher übrigens hielt Wort und leerte jeweils die volle WC-Kassette, zu Beginn noch mit Handschuhen und leicht angespannter Miene (man stelle sich vor, wenn sich die ganze Familiensauce über seine Beine ergiesst), dann mit der Zeit barfuss und entspannt. Der Unterschied vom 3- zu 5-Stern-Campingplatz? Den stellt man ebenfalls auf dem WC fest. Beim 3-Stern-Camping musst du das WC-Papier selbst mitnehmen (was du bei jedem zweiten Mal vergisst, hast ja Ferien … auch im Kopf). Der WC-Ring fehlt gänzlich. Auf dem 5-Stern-Camping findest du WC-Papier und Desinfektionsmittel vor. Der Stellplatz ist gleich gross, gleich nah am Meer … manchmal mit Wasser auf dem Platz, manchmal ohne.
Fazit
Welch schöne Art zu reisen. Eine Einzimmerwohnung auf Rädern. Die Ferien fangen bereits zu Hause an. Kein Packen von Koffern, sondern direkt vom Kleiderschrank in das Wohnmobil. Alles Angefangene aus dem Kühlschrank wird direkt ins Wohnmobil gestellt. Egal, wie weit man kommt, das Feriengefühl stellt sich sogleich ein. Die Kinder haben ihr Bett, auch wenn man jeden Abend an einem neuen Ort übernachtet. Beim Campen sind wir frei und nah dran. Näher in der Natur, näher bei den Sternen, näher am Meer und näher am Dreck. Für uns war klar, so wollen wir auch künftig unsere Familienferien verbringen. So haben wir seither keine Nacht mehr in einem Hotel gebucht und unser eigenes Wohnmobil namens Ferdinand gekauft. So parkt er mal da, mal dort und vor ihm auf dem Teppich: Plastikschuhe. Inzwischen vier Paar!